Hermann Borgerding:
Ein etwas anderes
Weihnachtsgedicht
Wir waren beide todmüde
Sie hatte ihre Arbeit gerade beendet
und wurde von mir nach Hause gebracht
Ich musste noch zwei Stunden bis zu meiner Ablöse
im Taxi sitzen aber die Hektik war jetzt vorbei:
ab 5.00 Uhr morgens war endgültig Schluss
mit dem Heiligabendverkehr und jetzt war es wirklich
eine stille Nacht
Bis dahin fuhr ich wie ein Wahnsinniger
es hatte am Abend angefangen
zu schneien und viele trauten sich nicht
mit ihrem Privatwagen zu fahren und dachten
ein Taxi wäre sicherer und so
schlinderte ich durch die Nacht
und hatte am Ende einen Rekordverdienst
nicht nur wegen dem teils üppigen Trinkgeld
und – Ja, ich hatte das verdient:
kannte ich doch auch die anderen Nächte
in denen ich mit minimalem Verdienst nach Hause kam
Sie zündete sich eine Zigarette an
„Kannste hier mal anhalten
ich will noch nicht alleine sein!“
Ich nickte und rutschte rechts ran
Trotz ihrer Müdigkeit wirkte sie zufrieden
sie war Stammkundin
schon öfters hatte ich sie in den frühen Morgenstunden nach
Hause gefahren
und ich kannte auch ihr anderes Gesicht
wenn man ihr anmerkte
wie sehr sie all das ankotzte
und wie sehr sie es satt hatte
Dann saß sie schweigend neben mir
und ich hielt ebenfalls meinen Mund
was mir nicht gerade unrecht war
Sie war schön
ihr schlanker Körper war ihr Kapital aber
dieses Grinsen jetzt – das bekam ich umsonst
„Heute war es nett
keine Arschlöcher
gutes Geld und beinahe so was wie Weihnachtsstimmung.
Sag mal – was hörste denn da?
Mach ma lauter!“
Ich drehte am Knopf des Radios
meine John Martyn Kassette lief fast die ganze Nacht
sobald ich alleine in der Droschke saß konnte ich schweben
Jetzt lief „Over the rainbow“ und ich drehte mir eine
Zigarette
und so saßen wir da
rauchend, lauschend, schweigend
während sich draußen ein weißer Film auf
das Ruhrpottgrau der Provinzstadt
legte und ich mich
ohne ironischen Hintergedanken
über dieses Bilderbuchklischee freute
„Willste noch mit hoch auf n Kaffee oder so?
Ist doch eh nichts mehr los…“
Ich grinste:
„Nee. Lass ma. Ich kann dich nicht bezahlen.“
„Hey! Heute ist Weihnachten! Da drücke ich ein Auge zu.“
Ich schüttelte den Kopf
„Lass uns bei der geschäftlichen Basis bleiben
und gib mir das Trinkgeld in bar.
Meine Freundin wartet bei mir zu Hause“
Sie grinste ebenfalls
„Ist für uns beide billiger. War nur so ein
Weihnachtsgedanke.
Aber eine Zigarette rauchen wir jetzt noch hier…“
Und das taten wir
und dann
setzte ich sie ab und
brachte die Schicht zu Ende und
fuhr platt nach Hause
wo ich mir ein Bier öffnete, ein Gedicht schrieb und
mich dann zu meiner Liebe ins warme Bett legte
„Frohe Weihnachten“
sagte ich zu ihr aber
sie konnte mich nicht hören
und so kam ich zu ihr und begleitete sie
in ihrem tiefen Schlaf
Hermann Borgerding fällt heute nix ein oder ist zu faul lange zu suchen oder nen Text neu zu tippen und setzt sich deshalb selber in den Weihnachtskalender. Dafür aber mit einem Weihnachtsgedicht.
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