Sonntag, 9. Dezember 2012

9. Türchen

9. Türchen:


Hermann Borgerding:



Ein etwas anderes Weihnachtsgedicht



Wir waren beide todmüde

Sie hatte ihre Arbeit gerade beendet

und wurde von mir nach Hause gebracht

Ich musste noch zwei Stunden bis zu meiner Ablöse

im Taxi sitzen aber die Hektik war jetzt vorbei:

ab 5.00 Uhr morgens war endgültig Schluss

mit dem Heiligabendverkehr und jetzt war es wirklich

eine stille Nacht

Bis dahin fuhr ich wie ein Wahnsinniger

es hatte am Abend angefangen

zu schneien und viele trauten sich nicht

mit ihrem Privatwagen zu fahren und dachten

ein Taxi wäre sicherer und so

schlinderte ich durch die Nacht

und hatte am Ende einen Rekordverdienst

nicht nur wegen dem teils üppigen Trinkgeld

und – Ja, ich hatte das verdient:

kannte ich doch auch die anderen Nächte

in denen ich mit minimalem Verdienst nach Hause kam



Sie zündete sich eine Zigarette an

„Kannste hier mal anhalten

ich will noch nicht alleine sein!“

Ich nickte und rutschte rechts ran

Trotz ihrer Müdigkeit wirkte sie zufrieden

sie war Stammkundin

schon öfters hatte ich sie in den frühen Morgenstunden nach Hause gefahren

und ich kannte auch ihr anderes Gesicht

wenn man ihr anmerkte

wie sehr sie all das ankotzte

und wie sehr sie es satt hatte

Dann saß sie schweigend neben mir

und ich hielt ebenfalls meinen Mund

was mir nicht gerade unrecht war



Sie war schön

ihr schlanker Körper war ihr Kapital aber

dieses Grinsen jetzt – das bekam ich umsonst

„Heute war es nett

keine Arschlöcher

gutes Geld und beinahe so was wie Weihnachtsstimmung.

Sag mal – was hörste denn da?

Mach ma lauter!“

Ich drehte am Knopf des Radios

meine John Martyn Kassette lief fast die ganze Nacht

sobald ich alleine in der Droschke saß konnte ich schweben

Jetzt lief „Over the rainbow“ und ich drehte mir eine Zigarette

und so saßen wir da

rauchend, lauschend, schweigend

während sich draußen ein weißer Film auf

das Ruhrpottgrau der Provinzstadt

legte und ich mich

ohne ironischen Hintergedanken

über dieses Bilderbuchklischee freute



„Willste noch mit hoch auf n Kaffee oder so?

Ist doch eh nichts mehr los…“

Ich grinste:

„Nee. Lass ma. Ich kann dich nicht bezahlen.“

„Hey! Heute ist Weihnachten! Da drücke ich ein Auge zu.“

Ich schüttelte den Kopf

„Lass uns bei der geschäftlichen Basis bleiben

und gib mir das Trinkgeld in bar.

Meine Freundin wartet bei mir zu Hause“

Sie grinste ebenfalls

„Ist für uns beide billiger. War nur so ein Weihnachtsgedanke.

Aber eine Zigarette rauchen wir jetzt noch hier…“

Und das taten wir

und dann

setzte ich sie ab und

brachte die Schicht zu Ende und

fuhr platt nach Hause

wo ich mir ein Bier öffnete, ein Gedicht schrieb und

mich dann zu meiner Liebe ins warme Bett legte

„Frohe Weihnachten“

sagte ich zu ihr aber

sie konnte mich nicht hören

und so kam ich zu ihr und begleitete sie

in ihrem tiefen Schlaf



Hermann Borgerding fällt heute nix ein oder ist zu faul lange zu suchen oder nen Text neu zu tippen und setzt sich deshalb selber in den Weihnachtskalender. Dafür aber mit einem Weihnachtsgedicht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen