Mittwoch, 28. September 2016

Notes from the Kieferfront



Ein Termin um 8.30 Uhr und um 12.30 Uhr komme ich dran.
Das ist normal, das kenne ich.
Andere PatientInnen nicht, sie gehen den Krankenhausflur auf und ab, fluchen vor sich hin und fragen immer wieder das genervte Pflegepersonal, das ja auch nix dafür kann.
Die Mund-, Gesichts- und Kieferchirurgie ist ein optimaler Ort für einen optionalen Amoklauf.

Der Chefarzt guckt mich ernst an:
„Da haben wir uns aber viel vorgenommen…“
Irgendwie habe ich das Gefühl, er wollte sagen, dass er da keinen Bock drauf hat.
Er untersucht meinen Unterkiefer und geht in den Nebenraum, um die Röntgenbilder und Untersuchung der Knochendichte und alles Mögliche aus meiner dicken Krankenakte (nach neun Jahren Krebspatient ist die sehr dick…) zu entnehmen.
„Es ist einfach zu riskant. Wir lassen den Knochenaufbau, versuchen stattdessen, vier Implantate zu setzen, an denen vielleicht eine Prothese befestigt werden kann. Das muss jetzt noch durch den Amtsweg und von der Krankenkasse genehmigt werden, dazu schreibe ich Ihnen ein Gutachten und wenn die grünes Licht geben, dann machen wir das.
Ambulant, aber unter Vollnarkose, da das bei Ihnen mit Sicherheit länger dauern wird.“

Dann übernimmt die Oberärztin, macht eine gründliche Tumornachsorgeuntersuchung. Immerhin: Ich bin weiterhin tumorfrei. Mit ihren Worten: „Ich konnte nichts Spannendes feststellen.“
Nächste Woche noch ein CT und ein Röntgenbild meiner Lunge, dann habe ich Ruhe, bis grünes Licht für die Implantationen gegeben wird.

Tja.
Positiv: Tumorfrei.
Und: Keine große OP, da hatte ich schon Bammel vor.
Negativ: Die letzten 10 Monate wären nicht nötig gewesen, neue Implantate hätten die auch direkt einsetzen können.
Aber Hey! Es war einen Versuch wert!
Und: Is nix mit vernünftigem Unterkiefer. Die Hoffnung ist endgültig passee. Und ich hatte da schon massig Hoffnung drauf gesetzt.

Völlig geplättet verlassen meine geliebte Frau, die mich bei der Scheiße unterstützt hat, und ich das KrankMachendeHaus.
Völlig geplättet werde ich auch die nächsten Tage sein.

Aber immerhin weiß ich jetzt Bescheid.
Und werde damit leben können.
Noch nicht heute, wahrscheinlich auch morgen noch nicht.
Aber vielleicht übermorgen…




Dienstag, 27. September 2016

I Don't Want To Talk About It




Deine Augen sagen mir

dass du viel geweint hast, immer noch weinst
Die Sterne am Himmel bedeuten viel

für dich sind sie ein Spiegel.

Ich möchte nicht darüber reden

wie du mein Herz gebrochen hast
Doch wenn ich hier nur ein klein wenig länger bleibe
könntest du meinem Herzen zuhören

Wenn ich für mich alleine bin

wird der Schatten die Farben meines Herzens verdecken
Traurig wegen der Tränen

betroffen, wegen deiner Ängste

gerade in der Nacht

Ich möchte nicht darüber sprechen,

wie du mein Herz gebrochen hast
Dieses alte Herz wurde schon oft gebrochen

Aber versuche einfach mal

es zu hören



Es schlägt für dich



(nach Rod Stewarts „I don’t want to talk about it“. Keine direkte Übersetzung, aber eine Übertragung meiner Gefühle bei diesem wundervollen Lied)


Für Iris und Jerk






Die Fähre fährt nach Calais
& das ist
die falsche Richtung
aber manchmal
hat man keine Wahl

Zurück
heißt nicht immer nach Hause
& Heimat – was ist das?

Kranksein
kann man überall

Noch ein Ale kippen
der Sonnenuntergang auf dem Meer
& die Gedanken
die in Aufgaben & unerledigten Kram
& ungewisse Zukunft fließen

Die Fähre fährt nach Calais
- Irgendwann
wird sie auch wieder nach Dover fahren
mit euch!

Montag, 26. September 2016

Bestandsaufnahme: Hochzeitstag, Besuchsausladungen, USA, Herbst



Bekanntermaßen fickt mich 2016.
Und gerade jetzt will ich eigentlich nur feiern. Zum Beispiel am Samstag unseren sechsten Hochzeitstag.
Aber familiäre Pflegefälle drehen am Rad, Claudia ist beruflich momentan stark eingespannt und wir kriegen einfach nichts geregelt.

Ich hänge bis mindestens Mittwoch in der Luft, hoffe aber, dann zumindest bei meiner Wiederherstellung einen Schritt weiterzukommen.

Wir bekommen (da wir am Arsch der Welt wohnen) ja relativ selten Besuch. Und freuen uns dann immer tierisch.
Aber dieses Jahr mussten wir schon einige lieben Verabredungen canceln und leider sehe ich da noch kein Ende.
Fuck!
Es ist auch kein Trost, dass ich eh nicht in Form bin und jeglicher Besuch mich tierisch anstrengt. Und bis ich wieder einen Kiefer habe kann dauern, so lange will ich nicht warten.
Nicht schön momentan.
Gar nicht schön.



Es ist übrigens noch wunderschönes Wetter. Und ziemlich warm.
Es gibt also keinerlei Grund zu frieren.
Ich friere trotzdem. Jetzt schon.



Heute Nacht findet in den USA ein Rededuell zwischen einer korrupten, machtgeilen, verlogenen, kriegstreiberischen und einfach schlimmen Frau und einem verrückten, rassistischen, machtgeilen, verlogenen und einfach fürchterlichen Mann statt.
So what?
Obama war eine Enttäuschung. Weil er Erwartungen und Optimismus auslöste und sich schließlich nur als Marionette des amerikanischen Systems präsentierte.
Trump oder Clinton?
Ist mir schnuppe.
Obwohl: Eigentlich will ich Trump. Da ist das Arschloch sofort erkennbar. Und vielleicht löst das ja mal ne Gegenbewegung aus.

Aber eigentlich geht mir das am Arsch vorbei.
Gegen Big Brother haben wir in Teilen Europas wirklich noch sowas wie Demokratien.



NoMeansNo haben sich aufgelöst.
Und das geht mir nicht am Arsch vorbei.



Würde der FC Bayern München und Red Bull Leipzig nicht in der Bundesliga mitspielen, dann fände ich die Tabelle momentan reizvoll.
Und könnte auch zum Saisonende damit leben.



Bald ist Herbst.

Die Plätze auf den Schienen werden wieder gefragter,
die dicken Äste,
die einen Strick aushalten,
werden begehrter.
Mancher putzt sich die Zähne mit einem Schrotgewehr.

Ich habe keine Suizid-Gedanken.
Bin bloß fürchterlich müde.
Und könnte dann doch noch neue Kicks gebrauchen.
Irgendwas.

Ich bin mir sicher, dass kommt auch bald. Vielleicht schon übermorgen.
Lasst euch überraschen.
Ich lasse mich auch überraschen, habe das Gefühl, eh nix anderes tun zu können.



So.
Noch einmal mit dem Hund gehen.
Und dann versuchen, zu schlafen.

Gute Nacht!

Sonntag, 25. September 2016

Ich war ein schlechter Krankenpfleger:



(Folgendes ist nicht ausformuliert, sondern spontan runtergeschrieben.
Vielleicht glorifiziere ich mich ein bisschen, aber ich glaube so ähnlich war es wirklich:)


Ich war ein schlechter Krankenpfleger.
Im Nachhinein muss ich das so sagen, gerade, wenn ich die heutigen Verhältnisse in der Pflege berücksichtige, von denen ich lese, die ich teilweise noch live mitbekomme oder mir erzählen lasse.

Nach meiner Ausbildung wollte ich n halbes Jahr arbeitslos sein und danach in der Psychiatrie anfangen. Aber das Arbeitsamt drückte mir eine Stellenempfehlung zur ambulanten Pflege (die ich ausdrücklich abgelehnt hatte!) aufs Auge und ich musste mich bewerben.
Meine zukünftige Chefin hatte sich bei meiner ehemaligen Schulleiterin erkundigt und ich sollte Probearbeiten und hatte dann einen Job, den ich eigentlich gar nicht wollte.
Okay. Ich sagte mir, ich könne das ja n halbes Jahr machen. Und dann was anderes.
Ich blieb über sieben Jahre, bis mein Krebs nen Schlußstrich zog. Kurzfassung.

Ich war ein schlechter Krankenpfleger.
Ich war nie der Schnellste und ich machte Ärger.
Meine Chefin schüttelte oft den Kopf. Und sagte:
„Ich wusste sofort, dass ich mit dir keinen Indianer, sondern einen Häuptling eingekauft habe. Aber es muss auch Häuptlinge geben.“
Und dann stritten wir uns weiter.

Was ist wichtig in der ambulanten Pflege?
Du musst natürlich Autofahren können. Als Ex-Taxifahrer konnte ich das. Und musste jedes Mal im Winter die plattgefahrenen Reifen meiner Kolleginnen wechseln. (Immer wieder schleuderten die bei Eis an die Bordsteine.)
Du betrittst fremde Wohnungen und bist Gast. Also: Kaugummi aus dem Mund, Jacke ausziehen, Schuhe abklopfen und freundlich grüßen. Immer! So viel Zeit muss sein.
Benehmen ist nicht nur Glückssache, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Schnelles Treppensteigen und ein forsches Schrittempo sind dringenst zu empfehlen.
Telefonieren beim Autofahren möglichst vermeiden, zur Not aber auch akzeptieren. Nein: Pflegedienste bezahlen keine Freisprecheinrichtung.
Ja: Das Handy ist schweinewichtig!
Fachkompetenz sollte bei der Krankenpflege eh immer dazugehören.
In der ambulanten Pflege oft ein Gewissenskonflikt, da Hausärzte oft nicht immer auf Höhe der Pflege sind und nicht alle Ärzte an gemeinsamen Lösungen interessiert sind.
Die PatientInnen und ihre Angehörigen haben in der ambulanten Pflege immer Recht. Schließlich betrittst du ihre Privatsphäre. Ich persönlich fand das meistens okay. Und ließ ihnen ihren Willen. Es sei denn, es ging eindeutig in Richtung Selbstverletzung oder gefährliche Pflege.
Ganz wichtig: Egal was passiert – Keine Panik!
Immer ruhig bleiben! Tief durchatmen, weiter machen.

Nach nem halben Jahr hatte ich es drauf.
Und wurde zu einem schlechten Krankenpfleger:
Eine Insulinspritze konnte bei mir schon mal ne halbe Stunde dauern, wenn der/die PatientIn eindeutig schlecht drauf war. Manchmal ist ein Gespräch genauso wichtig, wie die Medikamentengabe. Und dann dauert das eben, auch wenn es nicht bezahlt wird.
Eine Ganzkörperpflege dauerte bei mir auch mal anderthalb Stunden. Wenn der/die Patientin förderbare Ressourcen hatte, dann förderte ich. Auch wenn ich die Ganzkörperwäsche in einer viertel Stunde im Bett hätte erledigen können.
Bei anderen PatientInnen dauerte die große Grundpflege dafür manchmal höchstens zehn Minuten: Wenn der/die Patientin unwillig war, oder unter starken Schmerzen litt unternahm ich nur die unvermeidbaren Schritte und ließ sie in Ruhe.
Nicht immer war es möglich, aber manche PatientInnen brauchten die gemeinsame Tasse Kaffee genauso wie die medizinische Versorgung.
Und ich hatte ein paar Patienten, da ging gar nichts, ohne anschließende gemeinsame Zigarette.
Nach anderthalb Jahren vertraute mir meine Chefin voll und ganz.
Und ich bekam immer mehr die schwierigen Fälle. Dafür aber ein großzügiges Zeitfenster.
Und dann übernahm ich irgendwann die Schülerausbildung. Ließ mich zum Praxisanleiter weiterbilden.
Und revolutionierte die Schülerarbeit, indem ich Vor- und Nachbereitungsgespräche als Arbeitszeit ansah und nicht nur zwischen den Einsätzen im Auto durchführte. Und darauf bestand, einmal im Monat ein obligatorisches Treffen mit allen Schülern durchzuführen. Egal, welche Einsätze oder Touren sie begleiteten. Da bestand ich drauf.
Und meine Chefin schüttelte den Kopf, stimmte aber zu.
Gespräche mit den KrankenpflegelehrerInnen und der Leiterin der Krankenpflegeschule waren für mich selbstverständlich.
Und auch selbstverständlich Arbeitszeit.
Ich war ein schlechter Krankenpfleger: Ich kostete auch Geld.
Andererseits brachte das uns aber auch ständig KrankenpflegeschülerInnen, die uns bei der Arbeit auch entlasteten und ein hohes Ansehen im Krankenhausverbund, dem wir angehörten.

Ich war ein schlechter Krankenpfleger. Bei medizinischen oder pflegerischen Fragen, die ich spontan nicht beantworten konnte, sagte ich den SchülerInnen oder Angehörigen oft, „Ich weiß nicht, aber ich mache mich schlau und sage es Dir/Ihnen dann.“ Normale Reaktion wäre gewesen, souverän darüber hinwegzugehen und irgendwas zu erzählen. Aber ich stellte fest, dass ich immer häufiger gefragt wurde. Und meine Antworten Gewicht erhielten.
Dafür musste ich oft noch einiges lesen oder nachforschen, auch wenn ich eigentlich schon längst Feierabend hatte.

Spätestens, als ich in die Mitarbeitervertretung (Betriebsrat der kirchlichen Arbeitgeber) gewählt wurde, wurde ich zum schlechten Krankenpfleger: Ich saß zwischen allen Stühlen und konnte es niemanden recht machen.
Ich sah die Notwendigkeit von Wirtschaftlichkeit ein, war aber strikt gegen Selbstausbeutung der Angestellten. Und ich ließ mich von meiner Chefin nicht vor dem Karren spannen, musste allerdings auch manchmal KollegInnen widersprechen, die ihre Beschwerden nur mir gegenüber aussprachen, im direkten Konflikt aber den Schwanz einzogen und mich dann da alleine stehen ließen (auch Frauen können da den Schwanz einziehen, wirklich!).

Ich war ein schlechter Krankenpfleger.
Und wurde immer zynischer, mein Humor immer schwärzer.
Natürlich nicht vor den PatientInnen, sondern nur im internen KollegInnenkreis. Und so richtig verstand mich nur meine Lieblingskollegin, mit der mir ein Verhältnis nachgesagt wurde.
Das hatten wir nie. Aber wir genossen beide das Gerücht und lachten uns schlapp.

Ich war ein schlechter Krankenpfleger: Es gab wahrhaftig ein paar PatientInnen, die ich duzte.
Grundsätzlich machte ich das nicht. Aber das waren die Ausnahmen, die darauf bestanden und ansonsten tierisch beleidigt gewesen wären.
Ich war ein schlechter Krankenpfleger:
Ich ließ mich sogar darauf ein, zweimal meine private Telefonnummer anzugeben.
Aber immerhin – nur zweimal!

Wo ich ein guter Krankenpfleger war:
Ich konnte zuhören. Und hatte Geduld. (Wenn auch Nahrung anreichen nicht unbedingt mein Lieblingsding war.)
Und ich hatte angeblich „heilende Hände“ (ist natürlich Blödsinn, haben aber drei PatientInnen wirklich behauptet), was aber nur daran lag, dass ich nicht nur wusch, sondern leicht körperanregend massierte. Was eigentlich immer dazu gehört.
Da ich Spritzen über alles hasse hatte ich einen Heidenrespekt davor. Und spritzte vorsichtig. Egal, ob sc (unter die Haut) oder im (Aua! in den Muskel).
Katheter- Trachealkanülen- und Stomataversorgung machte ich nie mit links, sondern immer sehr sorgfältig.
Weil ich diesen Scheiß hasste.

In meinem letzten Jahr war ich ein wirklich schlechter Krankenpfleger.
Ich war ausgebrannt und wurde (auch wenn ich es da noch nicht wusste) von meinem Krebs verzerrt.
Ich schleppte mich zur Arbeit und schleppte mich oft durch die Arbeit.
Manche PatientInnen oder Angehörige, die, zu denen ich ein persönliches Verhältnis aufgebaut hatte, machten sich Sorgen um mich.
„Hermann, Sie sehen schlecht aus! Spannen Sie mal aus!“, hörte ich in meiner letzten aktiven Zeit öfters.
Ich überhörte es.
Was ich im Nachhinein komisch finde: Meine KollegInnen oder meine Chefin sagten mir sowas nicht.

Dann ging es sehr schnell. Und plötzlich lag ich Krankenhaus und erwachte ohne Kiefer und mit Krebs und an Arbeit war nicht mehr zu denken.
Ich versuchte nochmal, in anderer Funktion zurückzukommen, aber es ging nicht.
Also schmiss ich hin (Ich Trottel: der oberste Chef sagte mir, ich solle bleiben und finanziell hätte ich besser dagestanden. Aber ich wollte einen sauberen Schnitt.).
Ich probierte dann nochmal, ob ich als Altentherapeut ins Arbeitsleben zurückkehren könnte, scheiterte da aber an mir und an dem System, das nun wirklich zum Kotzen ist. Aber dies ist ein anderes Thema.

Ich bin jetzt seit acht Jahren aus der Krankenpflege raus.
Erlebe sie nur noch, wenn ich mal wieder ins Krankenhaus muss.
Erlebe sie im Fernsehen und in Artikeln.
Ich wäre heute ein schlechter Krankenpfleger:
Mir würde es um die Menschen gehen.
Ich wäre wirtschaftlich nicht tragbar.