Samstag, 29. Oktober 2011

Halloween


3 Halloween-Gedichte


1
„Trick or treat“
sagte das kleine schwarze Männchen
mit Kürbiskopf

Ich gab ihm
was es verdiente
und
habe es nie wieder gesehen



2
„Trick or treat“
wollte der kleine verkleidete Junge sagen

Ich nahm meine Maske ab
da rannte er weg
und ließ mir seine Süßigkeiten

Seitdem mag ich Halloween



3
Der große Kürbis
wird nicht kommen
Ich brauche keine Horrormasken
ich sehe täglich die Fratzen der Politiker
Ich brauche auch keine Gruselschocker
mir reichen die Nachrichten
Die Zeitumstellung mag ich
und mit der geschenkten Stunde
können meine Frau und ich viel anfangen
auch
wenn es ein Geschenk mit Rückgabepflicht im Frühjahr ist

Halloween?
Ich brauche keine Plastiktraditionen aus Amiland
verspüre ich doch schon bei Karneval verstärkte Fluchttendenzen
und eines ist mir mittlerweile bitter klar geworden:
Der große Kürbis
wird nicht kommen

Dienstag, 25. Oktober 2011

Ich denke oft an Piroschka


Ich denke oft an Piroschka


Budapest funktionierte nicht
bei mir
die Stadt versank im Smog
und da war nix
mit Romantik
da waren arme Menschen
viel Schmutz
und hochnäsige Touristen
wie wir
und beim schwarzen Geldtausch wurde mein Freund beschissen
er hatte es nicht anders verdient

Da war nix mit Puszta-Romantik
das Gulasch war lauwarm
und der Palatschinken schleimig und zäh
und teuer
Aber das Bier war billig
und unsere Medizin gegen Staub, Luftverschmutzung, Lärm
und Atemnot
Das ist jetzt zwanzig Jahre her
aber so was bleibt halt hängen
und die Stadt hat es schwer bei mir

Ich liebe Prag und Paris,
mag (mittlerweile) Berlin und Hamburg,
hasse Frankfurt und
lande in Amsterdam
immer sofort im Nutten- und Drogenviertel
London und Rom kenne ich noch nicht
und Budapest funktioniert nicht

Ungarn ist klein
und arm
Nach dem Zerfall des real existierenden Mus
hatte ich Hoffnung
mittlerweile schüttele ich verzweifelt den Kopf:
Nationalismus und Faschismus machen sich breit
das Budapester Theater hat jetzt einen Nazi als Intendanten
die Pressefreiheit ist so gut wie abgeschafft
und in einem menschenunwürdigen Sozialprogramm
werden die Roma deportiert um Sklavenarbeiten zu verrichten
All das
fast unbemerkt im europäischen Bankenchaos und
ohne große Proteste und Aufschreie

Ich denke oft an Piroschka
und hoffe
dass sie sich im Grab umdreht
und der nachgemachte Zigeuner
mit seinem Katzendarmgejammer
kann sich sonst wo hin verpissen

Budapest
funktioniert nicht

Wo mein Herz ist

Wo mein Herz ist:

Du triffst sie morgens am Kiosk
mit zittrigen Fingern bestellen sie sich
ihren Frühstücksflachmann oder ihr Guten-Morgen-Bier
um dann Berufen nachzugehen
die nicht Berufung sondern Knochenmühle bedeuten
oder wenigstens so zu tun
damit die Nachbarn oder die Familie nichts von der Arbeitslosigkeit merken

Oder du triffst sie auf den kalten Fluren der Ämter
wo sie warten
um dann unterwürfig unwürdige Fragen zu beantworten
und sinnlose Maßnahmen oder billige Jobs zu bekommen
oder mit hartzigen Almosen weggeschickt werden

Du triffst sie in den Alters- und Pflegeheimen
den Wartezimmern zum Tod
wo sie die Abreibungen
der Wasch- und Fütterhandlanger über sich ergehen lassen müssen
und das innere Frieren sich nach außen überträgt
und leider ist dies nicht nur Übertreibung

Du triffst sie in den FußgängerZONEN
in den Ein-Euro-Shops, den Spielhallen und Wettbüros
Immer seltener am Tresen der Eckkneipen
denn das Gezapfte ist unbezahlbar geworden
und der Platz hinter dem Tresen
macht den Wirten und Wirtinnen immer weniger Spaß
und sie knallen die Gläser mürrisch und wortlos vor dir hin
und dann ist es besser
sich mit Billigwein oder Billigbier zu zukippen
und den Frust alleine zu erleben
vielleicht sogar zu überleben

Du triffst sie vor den Krankenhäusern
im Jogginganzug oder im Morgenmantel
umklammern sie ängstlich ihre Zigaretten
und telefonieren mit ihren Liebsten:
„Nein. Mach dir keine Sorgen. Nein. Ich weiß noch nichts. Bis später.“
und auf den Zimmern ist die Dauerberieselung der Glotze
und die Fischmaulatmung des sterbenden Bettnachbarn
die einzige Ablenkung
von den eigenen Schmerzen und Ängsten

Du triffst sie in einsamen Wohnungen
und vor kalten PC-Bildschirmen
im Eros-Center und am Hauptbahnhof
ohne Zug und ohne Ziel
und in Schulen und an Fließbändern
vor und hinter Tresen und Theken und Supermarktkassen
auf dem Friedhof
ober- und unterhalb der Erde
Du triffst sie überall

Der Kopf ist meistens auf den Boden gerichtet
in den Augen leuchtet nicht mehr viel
Was nutzt Farbfernsehen
wenn das Leben in Grau abläuft?
Wenn dir die Scheiße bis zum Hals steht
ist es schwer
sich frei zu schwimmen

Und ich fühle mich beinahe schuldig
und traue mich nicht
ihnen mein „Trotzdem!“ entgegen zu schreien
Sie würden es nicht verstehen
und sich beleidigt fühlen
und mein „Das Leben ist wunderbar":

Sie werden einen Dreck drauf geben
aber
sie sind in meinem Herzen
ob sie wollen oder nicht



Samstag, 22. Oktober 2011

Leseprobe aus "Ausgehöhlt"

Eigentlich mal wieder Zeit, für ein Gedicht. "Postkarzinome Frustrationsbewältigung". Wird wohl demnächst auch in der nächsten Maulhure veröffentlicht. Und während ich das hier tippe, stelle ich fest, dass ich dieses Gedicht schon vor dem Urlaub in den Blog gesetzt habe. Also doch nicht.
Stattdessen folgender Romanauszug.

Ansonsten ist es kalt. Und Herbst. Und ich hab Kopf und Rücken und Glieder. Und übAhaupt.
 Tom Waits singt in mein Herz.

Demnächst (da bin ich mir sicher) wird der Roman veröffentlicht werden. Und als Vorgeschmack setze ich jetzt folgenden Auszug als Werbung hier rein:


Es gibt Momente, Situationen, Gefühle, die kann man unmöglich in Worte fassen. Jegliche Formulierung scheitert an der Grausamkeit der Realität. Nachvollziehen können solche Extremsituationen nur Menschen, die ähnliches erlebt haben. Und selbst da ist es bei jedem Menschen anders, abhängig von seiner Stärke. Beim Blick in den Spiegel sterbe ich, beim Blick in den Spiegel werde ich wiedergeboren. So ähnlich. Mit voller Wucht knallt die Konsequenz der Krebserkrankung und der Operation auf mich ein. Natürlich weiß ich ungefähr Bescheid, es ist aber ganz was anderes, dies dann auch direkt zu sehen. Ein Werwolf blickt nach seiner ersten Verwandlung in einen Spiegel. Das hässliche Entlein spiegelt sich zum ersten Mal im Teich und erkennt, dass es anders aussieht, als alle anderen. Hermann erkennt sich als Monster.

Die Schwellungen und Blutergüsse werden vergehen, das ist nicht schlimm. Die tiefen Ringe und Augensäcke hatte ich manchmal auch schon vor meiner Erkrankung, scheiß drauf. Weiße und graue Haare habe ich seit zwei Jahren, es ist nicht schlimm, dass sich dies innerhalb einer Woche extrem gesteigert hat. Meine Nase ist etwas unförmig und dick, aber eigentlich im Rahmen des Erlaubten.
Schlimm wird es unterhalb der Nase bis zum Brustbein:
Die Oberlippe ist faltig und zieht sich in das Loch, dass bei Menschen der Mund ist. Unterhalb der Nase sitzt kein Knochen mehr und damit fällt die Mundpartie völlig in sich zusammen. Meine Zunge ist ein dicker Fleischklumpen. Von dreifacher Dicke zu sprechen ist nicht übertrieben. Am Hals mehrere dicke Verbände, darunter müssen sich heftige Narben befinden. Als höhnische Klimax dann unterhalb des Kehlkopfes die Plastikkonstruktion des Tracheostomas. Aus der Kanüle fließt der dickflüssige Schleim.
Mich packt der Ekel und ich will nur noch sterben. Dieses Ding auf meinem Hals gehört nicht zu mir! Ich weigere mich, das zu akzeptieren!

Ein weiterer Nervenzusammenbruch zieht auf. Ich schaffe es, mich auf dem Hocker vor dem Waschbecken fallen zu lassen. Meine Gedanken fahren Geisterbahn. Nach ein paar Minuten greife ich mir einen Waschlappen und entferne zumindest die geronnenen Blutreste aus meiner Fresse. Dann sortiere ich alle Infusionen und Schläuche und krieche zurück zum Bett. Entledige mich der Krankenhauskleidung und ziehe frische Unterwäsche und einen Schlafanzug an.
Ich kann nicht mehr. Ich weine.





Donnerstag, 6. Oktober 2011

Musiklaberei


Warum müssen Frauen immer so anstrengend sein? Die elfenhafte Björk und die wunderbare Tori Amos, beide haben neue Werke rausgebracht. Während Björk mit Apps und Computerspielereien aufwartet, präsentiert Tori sich und ihr Klavier im klassischen Umfeld. Was beide Werke gemeinsam haben: sie sind erstmal anstrengend. Und damit für mich momentan nicht angesagt.
Ich will Melodien, ich will Songs, ich will tanzen und singen, wenn auch nur im Kopf. Und den kann ich mir wunderbar mit anderen Sachen zermartern, dafür brauche ich keine Musik. Ich brauche auch keine weitere Patti Smith best of („Outside society“). Schließlich gibt es die schon mit „Land“. Patti, ich will was Neues von dir! Aber mach es mit mehr Herz und weniger Kopf als Tori und Björk!

Eigentlich brauche ich auch keine Lindenberg-MTV-Unplugged. Das Ding ist ein Fake: es gibt die Reihe der Unplugged-Konzerte schon länger nicht mehr. Und die magischen Auftritte von Nirvana, Eric Clapton (Ja! Wirklich!) oder zum Beispiel den Ärzten und den Fanta4 (Geil!) sind eh nicht zu toppen. Lindis CD ist kein Konzertmitschnitt, sondern ein Zusammenschnitt. So wie das Ding auch nicht im Hotel Atlantik, sondern auf einer Bühne, die dem nachempfunden war, stattfand. Ich glaube, es ist eine der schlechteren Lindenberg-„Live“-CDs. Und trotzdem – damit ist sie immer noch besser als das meiste andere aktuelle Deutschzeugs. Und wenn er nicht so unverschämt teuer wäre, ich wäre bei der kommenden Deutschlandtour liebend gerne Zuschauer, bin halt irgendwie auch im Clan der Lindianer…

Manchmal gibt es solche Scheiben: beim ersten Hören denke ich „Naja“, lege sie zur Seite, bin enttäuscht. Dann probiere ich es noch mal und irgendwas macht Klick. Und dann höre ich das Ding immer öfter und dann packt mich die Begeisterung. „Keep you close“ von dEUS ist so ein Meisterwerk. Oh Mann! Schwärm!

Ansonsten „Superheavy“ mit Jagger und Josh Stone und Marley. Netter Reggae, aber von einem viel zu ängstlichen Dave Stewart kaputtproduziert und glatt gebügelt. Überflüssig. „Covering Ground“ von Chuck Ragan ist klasse und der Nightwatchman Tom Morello (Ja, der von Rage against the machine) spielt den Soundtrack der Revolution. Jay-Z und Kanye West (ich weiß, das ist HipHop…) hauen mich vom Hocker, die neue Katzenjammer macht Spaß, auf der neuen Wilco ist eine grandiose 12 Minuten Ballade und ich warte sehnsüchtig auf die neue Tom Waits und auf das spannende Projekt von Lou Reed mit Metallica.

Genug Platten-Laberei.
Und heute Abend habe ich das Vergnügen John Cale live zu erleben. Mit den Bochumer Symphonikern spielt er in einem bezaubernden Saal in Essen die geniale „Paris 1919“ und im zweiten Teil des Konzerts einen Querschnitt aus seinen anderen Meisterwerken. Ich bin total gespannt. Und habe (vielleicht zu) hohe Erwartungen.


Es wird Herbst. Ja, ich glaube, jetzt sind wir wirklich dran. Es wird kälter. Und diesen Sommer können wir endgültig als durchwachsen abhaken.
Egal, an meinem Schreibtisch wartet eh viel Arbeit auf mich. Und ich liebe die Abende mit meiner Frau. Und unser Bett. Und überhaupt.

Steve Jobs ist tot. Apple hat seinen Papa verloren. Übrigens: die Arbeiter/Sklaven von Apple, die in China produzieren, werden keine Tränen weinen.
Apple und Nokia: bekommt ihr auch blutige Ohren beim Telefonieren? Kapitalismus at his best. Ich könnte kotzen, am besten vor die Tür irgendeiner Bank. Oder vor die Börse.
Die weltweiten Empörungen werden irgendwann auch Dland erreichen, die Wall Street hat es ja schon erwischt. Immerhin: es gibt zwar wenig Gründe dafür, aber ich habe so was wie Hoffnung.

So. Und jetzt muss ich weiter am Titelbild, Kladdentext und Satzkorrektur für den „Roman“  arbeiten. Davon und darüber dann bald mehr…