Dienstag, 23. Oktober 2018

55





Ich werde also dieses Jahr wirklich 55 Jahre
& damit offiziell alt
Mit 20 hätte ich gesagt
ein Greis
& mit 44 hätte niemand darauf gewettet
dass ich jemals die 50er Grenze schaffe
& ich glaube
dass wird noch einige Jahre weitergehen
soweit
so gut


Natürlich wache ich jeden Morgen mit Schmerzen auf
natürlich
fordern mein Lebensstil & mein Krebs ihren Tribut
aber ich laufe jeden Tag mindestens zwei Stunden mit den Hunden
& renoviere & ackere nebenbei
& bin selten akut krank
& für einen Totgesagten kann ich mehr als zufrieden sein
auch wenn es ein harter Kampf bleibt


Ich traue immer noch
niemanden über 30
(und da ich seit 25 Jahren diese Grenze überschritten habe
 weiß ich auch, weshalb)
aber ich traue mittlerweile
immer weniger der Jugend
& irgendwie
bleibt da nicht viel


Ich kann auf einem Computer tippen
erinnere mich aber noch an meine Jugend
in der ich noch geschrien habe
„Zerschlagt die Computer!“
& niemals so ein Teil bedienen wollte
Ein Freund von mir hatte eines der ersten Mobiltelefone
er brauchte es in seinem Job
& es hatte die Größe eines Koffers
Bis mein Vater im Todeskampf lag weigerte ich mich
mir ein Handy anzuschaffen
Jetzt habe ich natürlich auch ein Smartphone
(immer die ausrangierten Teile meines Schwagers…)
& kann WhatsApp & Telefonieren & n bisschen
aber die meisten Sachen & Apps sind mir einfach zu viel
& ich will das gar nicht raffen


Ich mache bei Facebook mit
aber das ist ja eh ein RentnerInnenclub
Ich verlinke meine Blogeinträge auf Twitter
ignoriere das aber ansonsten
Ich freue mich über Briefe & Postkarten
schreibe aber selber keine mehr…
Irgendwie komme ich mit der jetzigen Zeit halbwegs klar
aber eben nur halbwegs


Ich werde alt
& wahrscheinlich werde ich noch eine Zeit erleben
in der niemand mehr Geld zählt
Früher habe ich davon geträumt
- mir aber niemals träumen lassen
dass ich Bargeld will
& keinen Bock darauf habe
dass alles nur noch über Karten oder Smartphone läuft
& niemand mehr Geld zählt
aber immer mehr Menschen
irgendwann den Überblick verlieren
weil alles nur noch über Abbuchungen läuft


Ich werde alt
In meiner Jugend
gab es Berufsverbote gegen Linke & Libertäre
& es gab den Kriegsdienst
& ich musste noch vor einem Ausschuss meine Verweigerung begründen
In meiner Jugend gab es den Kalten Krieg

Aber es gab auch Widerstand & Utopien
& davon sehe ich fast nichts mehr
& Konstantin Wecker muss immer noch den Willy singen
& ich glaube
dass selbst Konstantin kaum noch positive Ansätze sieht
& mir zustimmt
wenn ich behaupte
dass wir in harten & kalten Zeiten leben
& es immer schlimmer wird


Ich bin zu alt
für die erste Reihe beim Pogo
& ich bin zu schlapp
für aggressive Demos
aber der sogenannte „Schwarze Block“
ist mir eh zu viel Verfassungsschutz & Bullerei
& die Grabenkämpfe der sogenannten Linken:
Mann, ich bin müde
Ich kenne den Scheiß seit 40 Jahren
& habe keinen Bock mehr


55 im Jahr 2018
Burn Out aus Gründen
Midlifecrisis
Noch Fragen?


Eigentlich
will ich mit meiner Frau & unseren Hunden
nur Ruhe haben
Ich will Musik hören & schreiben
& vielleicht sogar Musik machen & malen
(Die Schwiegermutter & die Baustellen könnte ich vielleicht ertragen)
Aber die deutsche Realität ignorieren
ist schwierig
& gerade die macht mich sprachlos


Ich werde 55
ich bin noch da
& ich glaube
dass ich kurz davor bin
wieder durchzustarten


Ein Dinosaurier
mit einem Fragment Text
den er ungeschliffen in seinen Blog setzt
einfach so
Weil er weiß
dass noch n paar Bücher kommen werden

Samstag, 20. Oktober 2018

BurnOut





Keine medizinische Diagnose

Nur Selbstbeobachtung

& resignierendes Achselzucken





Dauermüdigkeit, Prokrastination, Reizbarkeit, Antriebslosigkeit

Schreiblähmung

Wenig Spaß an Musik oder Literatur

Tabaksucht, Bierdurst

So sieht es aus





Da brauche ich keinen Psychologen oder Psychiater





Selbst die Ursachenforschung ist einfach

(ich werde hier nicht ins Detail gehen:

 Chronische Schmerzen, Kauprobleme, ne nervige demente Schwiegermutter,

 überall Baustellen, Trauerverarbeitung,

 ne immer populistischer werdende BRD

 & so weiter)

Bringt mich allerdings nicht weiter





Ich bin ausgebrannt

& würde im Moment liebend gerne

In Ruhe vor mich hin rosten





Meine Medikation & Therapie:

Das Unvermeidliche akzeptieren

& durchatmen

& einfach hoffen &

Wieder durchstarten





Ich bin

Wenn überhaupt nur

Scheintod

& schon so oft wieder aufgestanden

Dass ich weiß:

Es geht auch wieder aufwärts





Zum Beispiel heute

Habe ich die Tastatur meines Compis geputzt

& mich mit meiner Frau gestritten & (wichtiger!) wieder vertragen

& zumindest diesen Kram getippt





Es geht weiter

Donnerstag, 11. Oktober 2018

Sollte ich jemals erwachsen werden werde ich Anarchist





Die Möglichkeit, jemals in meinem Leben erwachsen zu werden ist gering. Ich werde bald 55 Jahre alt und fühle mich immer noch nur bedingt erwachsen.
Okay, ich schnalle mich mittlerweile beim Autofahren an und übernehme Verantwortung für meine Frau und meine Hunde,
ansonsten ist da wenig, was ich mit dem Begriff „Erwachsen“ verbinde.
Was kann ich tun?
Ich bin aus dem Arbeitsleben gezwungenermaßen raus
(vor 11 Jahren war ich beinah erwachsen, aber dann kam dieser miese fiese Krebs – ich muss allerdings gestehen, dass ich mir erwachsen und etabliert nicht besonders gefiel…)
und will leben und scheiße darauf, erwachsen zu werden.
Vielleicht das Rezept für ewige Jugend, wer weiß…

Anarchie. Meine Utopie, mein Traum.
Ich mag Worte / Begrifflichkeiten / Sachen,
die sich nicht eindeutig definieren lassen,
die Spielraum für viele Deutungen und Theorien offenlassen.
Seele.
Liebe.
Poesie.
Und eben auch Anarchie.

Anarchie ist allgemeingültig erstmal die Lehre
(Halt: Ne Philosophie? Ne Utopie? N Gesellschaftsmodell? Vielleicht nur ein Synonym?)
von absoluter Freiheit und Herrschaftslosigkeit.
Punkt.
Soweit, so klar.

Und spätestens ab diesem Punkt gibt es zahlreiche theoretische Ansätze und Schriften, die sich unterscheiden und teilweise auch widersprechen.
Ich bin da kein Fachmann, theoretische Schriften langweilen mich und ich habe irgendwann aufgehört, sie zu lesen. Ich bin noch nicht erwachsen.

Ich selbst bezeichne mich als „Gefühlsanarchisten“.
Diesen Begriff habe ich zum ersten Mal bei Konstantin Wecker gelesen und kann ihn für mich einfach nur übernehmen.
Was ist erstrebenswerter,
als eine Welt, in der niemand regiert und alle Menschen frei sind?
Eine Welt, in der Geld und Macht unbedeutend sind?
In der alle miteinander in Frieden und Liebe leben?
Natürlich ist das eine Utopie.
Aber was spricht gegen Träume?

Ich habe keine konkreten Aktionsvorschläge bis zu meinem Traum.
Ich werde ihn auch nie verwirklicht sehen.
Wahrscheinlich braucht es noch zig Revolutionen oder auch Untergangsszenarien, bis er Wirklichkeit wird.
Aber er kann Wirklichkeit werden.
Genau wie die Menschheit, die vielleicht irgendwann menschlich werden kann.

Ich bin ein Träumer, kein Aktivist.
Meine Aktivitäten beschränken sich auf die Tastatur meines Compis.
Gerne würde ich sagen, „This machine kills faschism“.
Ich weiß, dass dies nicht so ist.

Ich glaube einfach an die Anarchie.
Manche Menschen glauben an Götter und Göttinnen, das sollen sie tuen.
Ich glaube an den Menschen und die Menschheit,
auch wenn sie mich jeden Tag vom Gegenteil überzeugen.

Gesellschaftsformen und Modelle sind fast alle gescheitert.
Absolute Monarchie war fast nie der Bringer.
Autokratien ebenfalls nicht.

Der damals real existierende Mus, ob Kommunismus, Sozialismus oder der unmenschliche Faschismus sind jeweils fürchterlich gescheitert.
Die Demokratie entwickelt sich leider weltweit momentan zu einem weiteren Mus, den Populismus. Auch der wird scheitern.
Vielleicht erst in ein paar Jahren, aber dann kommt eine Katastrophe auf uns zu, die ich mir nicht ausmalen möchte, vor der ich Angst habe und wo ich mir sage, „Scheiße, aber wir haben es nicht besser verdient.“

Nein.
Ich will momentan keine Revolution.
Mir fehlen die Ziele.
Und ich muss gestehen, dass wir in einem Staat und einer Staatsform leben, in dem wir noch relativ viele Freiheiten haben. Das Grundgesetz ist ja nicht verkehrt und diese Demokratie wäre eine Basis, um mehr Freiheiten zu erreichen.
Leider geht es genau in die entgegengesetzte Richtung und da versuche ich gegenzuhalten.
Mit meinen Fingern an der Tastatur.
Mehr kann ich nicht.

Freiheit.
Herrschaftslosigkeit.
In kleinen Bereichen, zum Beispiel bei indigenen Völkern oder bei alternativen Lebensgemeinschaften hat es funktioniert.
Scheiterte allerdings oft auch fürchterlich.
Trotzdem: Ich darf doch träumen, oder?

Ich bin nicht erwachsen.
Ich laufe mit den Hunden über die Felder und freue mich.
Ich liebe die Frau meines Lebens.
Und ich scheitere bei den gesellschaftlichen und politischen Bewegungen in diesem Land und dieser Welt. Und resigniere.

Wäre ich erwachsen, dann wäre ich vielleicht Anarchist.
Mit allen Konsequenzen.
Wie immer die aussehen würden…