Sonntag, 2. Dezember 2012

3. Türchen



3. Türchen:


Arnd Dünnebacke:

Ich war hier

Etwas Unsterbliches vollbringen,
wie Beethoven oder Fante oder Rodin,
Neil Armstrong oder Sophie Scholl –
ist es nicht diese Aussicht
auf die Unsterblichkeit einiger
weniger, die uns diesen Marathon
aus Einkaufszetteln und Liebe
und Totgeburten und Fettflecken,
Spritpreiswahnsinn, Krebs
und Sex und Schlachthöfen
und Rosen und Jahreszeiten
durchhalten lässt?

»Willst du noch was?«
fragte Helena aus der Küche,
als ich vom Sofa aus
durchs Vorabendprogramm
zappte und auf N24 hängen
blieb, dem Sender,
wo mindestens zehnmal
am Tag die Welt unterging –
atomare Supergaus,
Menschheit ohne Öl,
Monsterwellen
und Asteroiden,
so groß wie Hamburg.
»Bring mir noch’n Bier mit«,
rief ich zurück und dachte,
hm, von ‘nem Kühlschrank
ohne Bier ham sie noch
nie berichtet.
Die wirklich naheliegenden
Katastrophen sparten
sie einfach aus.

»Hier«, sagte sie
und stellte die Flasche
neben ihren Salat.
»Oh nee, Tjaden, komm,
schalt um. Das geht mir
echt auf die Nerven …«
Der Asteroid schlug grade
im Atlantik ein und
entfesselte einen
Riesentsunami, der auf
New York losfetzte.
Na gut, dann halt Springfield,
wo Homer und Bart ihre
katastrophentauglichen
Talente testeten.

Ich machte das Bier auf
und schaute in unser
Bücherregal, das unter
unzähligen Romanen und Kunst-
und Gedichtbänden ächzte.
»Suchst du was?«
»Nee. Ich überlege nur,
was wäre, wenn wirklich
morgen so’n Ding
auf die Erde plumpst
und hier mit einem Schlag
die Lichter ausgingen …
Was wäre all das dann
wert, was komponiert
oder gemalt oder
geschrieben wurde?
Was für einen Sinn
hätte es gehabt?«

Sie spießte ein Stück
Tomate mit Feta auf die Gabel,
schob es sich in den Mund
und kaute.

»Es war da«, sagte sie schließlich.

Und da ging mir zum ersten Mal auf,
dass eigentlich überhaupt
nichts schiefgehen
konnte.

Dünnebacke ist einer meiner ganz großen Favoriten für die Neuentdeckungen 2012. Sein Debut „Glück ist ein brennendes Flugzeug“ erschien jüngstens beim Acheron-Verlag. Sein Blog „Falsch gefrühstückt“ lohnt immer einen Klick.
Am stärksten finde ich seine persönlichen und intimen Texte, ich hoffe, ich mache euch hiermit neugierig und dann könnt ihr selbst urteilen…

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