Sonntag, 31. März 2013

Ein Leser, auf den ich wirklich stolz bin



Ein Leser, auf den ich wirklich stolz bin
für U.

U. gefällt der „Extraball“
Er sitzt in unserer Küche
blättert den Andruck durch
und ist begeistert
und will das Buch haben
sobald es dann raus ist

Nach n paar Minuten:
„Hey Hermann,
ich bin schon auf Seite 11
und ich will das gar nicht mehr weglegen
dabei lese ich eigentlich kaum,
Bücher langweilen mich sonst“

U. wurde oft genug vom Leben verarscht
und schlägt sich mehr oder weniger gut durch
Immer irgendwelche Scheiße am Arsch
und nie Kohle
und manche behaupten
er wäre behindert
aber
ich behaupte
dass wir das ja irgendwo alle sind
und schätze die Freundschaft und Hilfsbereitschaft von ihm
die uns bei unseren Umzug oft gerettet hat
und auf die wir uns immer verlassen können
und
ich lasse einfach nichts auf ihn kommen!

Er ist ein Loser
seit seiner Geburt
aber ich will das jetzt nicht weiter ausführen
Für mich ist er ein Winner
indem er sich trotzdem immer wieder aufrappelt
und weitermacht
Manchmal nervt mich U.
und ich kann ihn nur kurz ertragen
aber so geht es mir
bei allen Menschen
das meine ich
nicht böse

„Eine Frage. Ein Wort kenne ich nicht:
Was ist ein Misanthrop?“
Ich erkläre es ihm
und bin froh
über Menschen
die genug Arsch in der Hose haben
und zugeben
dass sie nicht alles wissen
Gerade das
macht sie für mich
irgendwie weise
im Sinne von wissbegierig

Und jetzt sitzt er in unserer Küche
unsere Hündin liegt zu seinen Füßen
- sie liebt ihn einfach –
und er hat wohl den ersten Gedichtband in seinem Leben in den Fingern
und ich bin stolz
und irgendwie sprachlos

Leute,
das Lob von U. ist mir wichtiger
als so manche klugscheißerische Rezension

und alleine dafür
hat sich das Buch gelohnt

Freitag, 29. März 2013

Wir Katholikenkinder

Ostern. Was liegt da näher, als über den Katholizismus zu schreiben. Hier also ein etwas älteres Gedicht, zu dem ich voll und ganz stehe. Auch wenn uns der neue Pope Besserungen suggeriert:




Wir Katholikenkinder



„Er lachte viel und spielte Tischtennis mit uns

er sang zur Gitarre

und war unser aller Freund

als er mich überall streichelte

und dann meine Hand nahm und um sein Glied legte

dachte ich nur

ich kann ihm nichts verweigern

und dass es unser Geheimnis sei

und ich nichts sagen dürfte

Nur

dass ich an diesem Geheimnis zerbrochen bin

und

dass ich jetzt erfahre

wie viele von uns zerbrochen und geschändet wurden

-

Er ist dann in eine andere Gemeinde versetzt worden

…“

Mit der Muttermilch wurde uns die Sünde eingetrichtert

Wir konnten noch nicht laufen

aber waren schon schuldig

Und lernten beichten bevor wir sündigen konnten

Reue überdeckte Spaß

Statt aufrechter Gang wurde uns das Knien beigebracht

Sonntags ging es in die Kirche

und was die Nachbarn dachten

war wichtiger als eine glückliche Kindheit

Unsere Eltern wollten stolz auf uns sein

statt uns zu lieben

Komischerweise wuchsen wir trotzdem auf



Kommunionskleidung und Messdienergewand

und beim Weihrauch kippten wir schon mal um

Wenn wir Glück hatten und schlau waren

hörten wir weg

während die Pfaffen vom Himmelreich sprachen

und uns Duckmäusertum predigten

Die Nächstenliebe durften wir praktizieren

aber bloß nicht zu sehr

Die Scheinheiligkeit und der Zölibat

ließ viele von uns zu Opfern werden

In Berufsgruppenzugehörigkeit stehen Geistliche ganz vorne

in Kindermissbrauchstatistiken



Als Katholikenkind fällt es schwer

an einen Gott zu glauben

Hexenverbrennungen, Kreuzzüge, geweihte Panzer,

dogmatische Unfehlbarkeitsansprüche von Tattergreisen

Heuchelei und Lüge

Gold, Prunk und Macht

verhungernde Kinder, ermordete Kinder, geschändete Kinder

und ein großes Nein zur Sexualität und Verhütung

Die Kirche als Verbündeter der Aidsverbreitung

Homosexualität ist Krankheit

Evolution beinahe Teufelswerk

und die Erde am liebsten noch immer eine Scheibe



Unsere Mütter sind Jungfrauen und hatten nie Sex

unsere Väter sind unerreichbare Götter

oder nur Stellvertreter auf Erden

Und wir selbst sind gar nichts

außer geborene Sünder und Untertanen



Ich habe nichts gegen Religionen

manchmal würde ich selber gerne glauben und beten

Der Katholizismus meiner Kindheit hat es mir verdorben

das ist aber auch das einzig Gute,

was mir zum Katholizismus einfällt











Donnerstag, 28. März 2013

Fragt mich bloß nix zu Büchern und Schreiber!

Andreas Balck und sein LaborBefund sind Schuld.
Andreas fragte mich, ob ich etwas zu einer der nächsten Ausgaben beisteuern könne. Begeistert stimmte ich zu und setzte mich sofort daran, einen Text zu schreiben. Blöderweise über das Thema, bei dem ich schwafeln kann, ohne zu einem Ende zu kommen.
Das hat er jetzt davon!
Wenn er überhaupt mit dem Text was anfangen kann...
Damit die Schreiberei zumindest für mich lohnenswert ist poste ich das schon mal hier im Blog:




Fragt mich bloß nix zu Büchern und Schreiber!

Aus einer Mail von Andreas Balck (Herausgeber vom „LaborBefund“):
„Wenn ich einen Wunsch äußern dürfte : Welches Buch hat Dich in Deiner Kindheit oder Jugend am meisten beschäftigt? Welches Buch hast Du damals geliebt und liebst es evtl. auch heute noch? (Oder hasst es heute, kann ja auch sein.) Hatte es sogar evtl. Auswirkungen auf Dein Leben? - Es ist hierbei völlig egal, ob es ein unbekanntes Kinderbuch oder einer der "Klassiker" ist (Huck Finn, Tom Sawyer, Pipi Langstrumpf etc.) - wichtig wäre mir Dein rein subjektives Erleben/Empfinden. Deine Liebe zu dem Buch oder auch Deine Abneigung ihm gegenüber, das ist völlig wurscht. Gern auch mit kleineren Anekdoten oder wie auch immer. Bitte keine Rezension, sondern die reine Polemik!!! "Literatur aus der Wirklichkeit" ist immer subjektiv, aber gut muss sie sein.“

Bücher sind Scheiße.
Glaubt es mir, ich bin jetzt schon n paarmal in meinem Leben umgezogen und da bleibt am Ende des Umzugs immer ein stöhnender Fluch:
Bücher sind Scheiße!
Das Einpacken, der Transport, das Auspacken und – am schlimmsten – das Einordnen in die Bücherregale und das ständige Aussortieren und dabei die Fragen, welche endgültig weg können und welche in den Keller müssen und dann die Feststellung, dass es immer noch viel zu viele Bücher sind, von denen ich mich nicht trennen will und die einfach in die Regale gehören – Bücher sind einfach Scheiße!

Wann hat das angefangen? Schon sehr früh, ich glaube, ab dem ersten oder zweiten Schuljahr, als ich selbstständig lesen konnte.
Ich gestehe, es begann mit den „Fünf Freunde“-Büchern von Enid Blyton. Ich denke, die sind fürchterlich, aber ich traue mich heutzutage nicht mehr, eins davon zu lesen, um mir ne aktuelle Meinung zu bilden.
Dann natürlich Karl May. Dazu stehe ich. Wenn auch mit Vorbehalten.
Astrid Lindgren steht über allen anderen. Und die Krönung war für mich Pipi Langstrumpf.
Und dann Erich Kästner. Den liebe ich noch heute. Auch wenn ich mittlerweile eingestehe, dass er ein fürchterlicher Moralist und ein weicheiiges Muttersöhnchen war.

Ich beginne zu schwafeln. Über Bücher und Autoren könnte ich seitenlang schwafeln. Immerhin einer meiner Lebensinhalte.

Mein erstes Erwachsenenbuch klaute ich mit – ich glaube – 14 Jahren aus dem Bücherschrank meines Vaters. Mein Vater war kein großer Leser, aber die Bücher von Simmel habe ich in der Pubertät dann doch gelesen. Und so entdeckte ich ein Buch mit dem Hinweis, dass es nur für Erwachsene wäre:
Henry Miller – „Wendekreis des Steinbock“
Ich war vom Sternzeichen her Steinbock, also los. Ich gestehe, ich habe es damals nicht verstanden, ergötzte mich aber an den Fickszenen, die ich auch beim schnellen Durchblättern fand, und benutzte es als Onaniervorlage.
Mittlerweile onaniere ich nicht mehr zu Miller. Vielleicht lese ich ihn deshalb eher selten, obwohl ich ihn verehre.

Anyway, der Deutschunterricht und ein, wenn auch nur halbherziges, Germanistikstudium konnten meine Liebe zur Literatur nicht bremsen. Heute sind es hauptsächlich amerikanische Sachen (so schön locker und leicht…) und dann natürlich all die Helden der Untergrund- oder Subkultur. Oder wie auch immer man das bezeichnen will.
Viele der Dichter kenne und schätze ich persönlich, die meisten mag ich.
Nachteil der Indie-Szene: Die Bücher, Zeitschriften und Fanszines sehen im Regal oft Kacke aus und lassen sich doof einsortieren oder stapeln.
Aber darum geht es ja nun wirklich nicht…

Ein exemplarisches Buch und meine Erfahrungen oder meinen persönlicher Werdegang damit zu nennen fällt schwer (Sorry für diesen Satz, klingt etwas holprig. Mir fällt im Moment keine bessere Formulierung ein…).
Ich nehme jetzt einfach mal „Schloß Gripsholm“ von Tucholsky.
Ich habe es sehr früh für mich entdeckt und tauche da immer wieder drin ein. Einfach mal eine Prise Urlaub lesen. Genießen, abschalten und zustimmend mit einem Grinsen im Gesicht nicken.
Tucholsky hat mir mit diesem Meisterwerk gezeigt, dass man auch über scheinbare Belanglosigkeiten wunderschöne Bücher schreiben kann. Das beeinflusste mich persönlich und machte mir klar, dass ich nicht immer auf Teufelin komm raus ne Message rüberbringen muss.
Einfach über das Leben und die Liebe zu schreiben kann völlig okay sein, muss nicht vor Kitsch überlaufen und darf auch durchaus mal optimistisch und positiv sein. Danke, Tucho!

Es fällt mir schwer, mich beim Literatur- und Dichter-Thema zu zügeln. Ist genauso, wenn Ihr mich über Rockmusik ansprecht. Ich kann da endlos labern und schwafeln.

Jetzt nur noch kurz zur Qualitätsfrage, das ist dann nämlich endlich die Sache, von der ich keine Ahnung habe und mir kein Urteil anmaße.
Qualität hat für mich, was mich berührt und begeistert.
Thomas Mann zum Beispiel langweilt mich nur.
Und „Ullysses“ habe ich immer noch nicht geschafft zu lesen, obwohl ich diesem Buch niemals seine Qualität absprechen würde.

So. Und damit habe ich auch erst mal genug geschwafelt…



Montag, 25. März 2013

Nie das Positive aus den Augen verlieren



Nie das Positive aus den Augen verlieren
für Uli


Nee
Ich doch nicht
auch
wenn es manchmal verdammt schwer fällt

Mitch Ryder aus den Boxen
funktioniert fast immer
Meine heutige Medizin
Ich erinnere mich an seinen legendären Rockpalastauftritt
Es war ein geniales Konzert
aber eigentlich
eine Unverschämtheit
Getoppt wurde Ryder noch von Patti Smith
Ich fand es göttlich
kenne aber auch Menschen
die den Auftritt zum Kotzen fanden
Anyway
Scheinbar scheint Musik wieder zu funktionieren
und um mich zu erden
höre ich die neue Scheibe von Billy Bragg
die ist wunderschön
Soviel dazu

Essen und Trinken funktioniert noch immer nicht richtig
und meine Bauchnaht schmerzt
Immerhin: ich habe mir jetzt die restlichen Fäden gezogen
und der Schnitt ist verdammt gut
die Narbe wird klein bleiben

Kein Frühling in Sicht
immer noch nicht
aber er wird kommen
da bin ich mir sicher

Neue Gedichte warten
auf meine Finger auf der Tastatur
Ich schaffe es noch nicht
sie aus den Tiefen meiner Seele hochzuholen

Gefangen in meinen vier Wänden
Liegesessel, Schreibtisch, Küchentisch, Bett
Immer nur kurz vor die Tür
zu mehr reicht die Kraft noch nicht

Telefonisch und per Internet
erreichen mich Schreckensnachrichten
J. wird blind
K. ist in der Psychiatrie
und E. musste von seiner Mutter Abschied nehmen
Und ich sitze hier
sprachlos
machtlos
und trotzdem ziemlich glücklich

Auch wenn ich sie momentan körperlich nicht ausleben kann
spüre ich die Liebe meiner Frau mit jedem Atemzug
und manchmal
wenn ich sie anschaue
wird mir so was von warm
- und eigentlich friere ich immer –
das lässt sich nicht beschreiben
Was sollen da die lächerlichen Wehwehchen!

In ein paar Tagen habe ich meinen neuen Gedichtband
in den Fingern
und kann die ersten Exemplare verschicken
Und mich erwarten spannende Lesungen
und ein Leonard Cohen Konzert

Der Frühling wird kommen
Und der Sommer
und im nächsten Winter werde ich 50
und - Mann! – das wird gefeiert!

Nein
Ich verliere nicht das Positive aus den Augen
und ich genieße es
mit jeder Faser meines ausgemergelten Körpers
Es gibt eben Zeiten
da fällt es schwerer

Aber auch das Thermometer
wird irgendwann wieder 20° erreichen
Plusgrade wohlgemerkt

Und dann werden wir gemeinsam lachen
und stolz sein
diesen Winter überstanden zu haben