Donnerstag, 18. April 2013

Über die Bedeutung von Sprache in meinem Leben




Der Gebrauch der Sprache war für mich eigentlich immer das Wichtigste im Leben. So richtig deutlich wurde mir das erst, als ich einen großen Teil meiner Sprachmöglichkeit durch eine heftige Krebsoperation verlor. Als mein Mund im wahrsten Sinne des Wortes ausgehöhlt wurde und ich plötzlich nicht mehr artikulieren konnte, erst langsam wieder das Artikulieren lernen musste und mir klar wurde, dass ich für den Rest meines Lebens mit starken Einschränkungen leben muss.
Ich sabbere, habe ein Taschentuch vor meinem Mund und spreche trotzdem. Und betone dabei immer, wie sehr ich das Leben liebe. Und Sprache macht einen großen Teil des Lebens aus.
Sprache?
Gestik, Mimik, Tonfall, Ehrlichkeit. Wunderbare Rhetorik, wahre Sätze, Kraft.
All das. (Natürlich kann das auch demagogisch, verführend und einfach nur blöd sein.)
Sprache?
Strahlende Augen, Kinderlachen, weinende Gesichter, Gemälde, Lieder: all das spricht zu mir. Und natürlich Gedichte oder Prosa von wunderbaren Schriftstellern.

Direkt nach meiner OP hatte ich ein Tracheostoma und eine dermaßen geschwollene Zunge, dass Sprechen unmöglich war. Ich tippte auf meinem Laptop. Satzfetzen, damit eine „Unterhaltung“ möglich wurde.
Später dann das Internet und soziale Netzwerke in denen ich kommunizierte.
Irgendwann konnte ich wieder lernen zu sprechen. Das war anstrengend und tat weh, aber das war auch einfach klasse.
Ich hatte keine Zähne mehr im Mund, eine deformierte Zunge und einen nachgebauten Gaumen aus meinem linken Unterarm.
Damit bestritt ich dann auch meine erste Lesung. Nur kurz, voller Panik und sehr anstrengend. Aber es wurde immer besser. Und dann wurde mein Kiefer wieder aufgebaut und Zähne implantiert und das hatte zwar nicht die Wirkung, die ich mir erhofft hatte, aber es war okay. Und das Leben ging weiter.

Ich mag die deutsche Sprache. Was bleibt mir anderes übrig – sie ist meine Heimatsprache, die einzige Sprache, die ich beherrsche und somit mein Handwerkszeug.
In einer Kritik wurde mir mal „Herzlichkeit im Gossenjargon“ unterstellt.
Gossenjargon? Finde ich gut.
In der Gosse findest du die wahre Sprache. Ehrlichkeit. Gefühl und Härte. Natürlich auch Lüge, ich will hier nichts glorifizieren, die Gosse ist eben auch ein Spiegelbild der Gesellschaft und der Menschen. Und da gibt es genug Scheiße.

Sprache sollte verbinden, nicht trennen. Fremdwörter und hochgestochene Sprache können okay sein. Wird die Sprache hierbei aber nur für eine Abgrenzung und zum Klugscheißern benutzt, so ist das dämlich.
Ich mag Anglizismen und Neologismen. Ich mag alles, was die Sprache vielfältiger und bunter macht. Ich mag Gossenjargon und ich mag Schimpfwörter.

Und ich mag gesungene Sprache oder gelesene Sprache.
Singen ist bei mir nicht mehr drin. Das mute ich mir und niemanden sonst mehr zu. Aber ich lese meine Gedichte und meinen anderen Kram mittlerweile wieder öffentlich vor. Das ist für die Zuhörer und für mich anstrengend, aber auf alle Fälle authentisch und es funktioniert.
Und macht Spaß.

Okay. Hier sitze ich an meinem Schreibtisch und knalle mir die Sprache von Neil Young in die Ohren: Seine Gitarre spricht zu mir, sein Gesang spricht zu mir und ich tanze innerlich. Und beschäftige mich mal wieder wie meistens mit meinem Lieblingsgebrauch der Sprache: Ich tippe Kram.
Vorgestern wurde an meiner Zunge rumgeschnippelt und das tut immer noch weh und ist völlig blöd, wenn ich sprechen muss. Also schreibe ich lieber. Meine Frau versteht das. Zumal meine Gedanken und Gefühle eh im Krebschaos feststecke - ich ihr nicht so nah sein kann, wie ich möchte, wie sie es verdient hätte. Ich bin ja nicht einmal mir nahe!

Olli bat mich, einen Blog über Sprache im Leben zu schreiben.
„Könntest du dir vorstellen, eine Art kleinen Blog über die Bedeutung der Sprache in deinem Leben zu verfassen? Würde deine Kraft gerne mit vielen Lesern teilen..... Würdest du? Muss auch nicht so lang sein...“
Sprache gibt mir Kraft. Sprache bedeutet mir verdammt viel. Kann man das teilen? Keine Ahnung.
Ich denke nur insofern, dass ich jeden Menschen ermutigen kann, seine eigene Sprache auszuprobieren und zu finden.
Macht Euer Ding und steht dazu. Egal, ob Eure Sprache hochgestochen oder plump erscheint. Hauptsache, es ist Eure.
Irgendwann ist es dann auch nicht mehr wichtig, ob Ihr Zähne im Mund habt oder sabbert.
Vielleicht in der Art.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen