Versuch: Die Liebe 2
Das Gedicht
habe ich vor über zehn Jahren geschrieben. Kersten Flenter (genialer Dichter
und Freund, damals auch Herausgeber der edition roadhouse) veröffentlichte es
damals und ich glaube, dass ich nie wieder ein schöneres Cover hinkriegen
werde.
Jetzt ist die
Ausgabe von Kersten vergriffen und ich plane eine Neuauflage. Und daraus
zitiere ich jetzt mal n paar Seiten vom Anfang und vom Ende:
Null:
10
Jahre später…
So
viel ist passiert
So
viel hat sich geändert
Da
ist immer noch ein dicker fetter Mond am Himmel
da
ist immer noch eine wärmende Sonne
Die
Baby-Enten auf dem Hiltroper Teich
lassen
sich dieses Jahr Zeit
der
einsame Reiher wacht und scheint der Chef des Teiches zu sein
Unsere
Hündin will immer noch jagen
wird
aber etwas ruhiger
als
wüsste sie
dass
sie eh keine Chance hat
Der
Regen nervt und die Feuchtigkeit tut körperlich weh
und
ich werde keine Glanzparaden im Tor mehr vollbringen
Schröder
wurde von Merkel abgelöst
die
USA haben einen farbigen Präsidenten
der
sogar den Friedensnobelpreis bekam
es
hat sich trotzdem
nicht
viel verändert
Weltweit
scheint es schneller bergab zu gehen
Die
Wehrpflicht ist abgeschafft und
der
Atomausstieg in Dland wurde erst verschoben um nach Fukushima
dann
doch vorangetrieben zu werden und plötzlich dann doch nicht
was
weiß ich, wem glaube ich, Scheiße
Aber
bei einer Sache bin ich sicher:
der
VfL Bochum ist endgültig abgestiegen
…
Ich
hatte mich im Job fest etabliert
bis
ein mieser fieser Mundhöhlenkrebs mich endgültig raus katapultierte
(ich
verspreche: das ist die einzige Krebszeile auf den folgenden Seiten!)
Ich
bin nun Schreiberling, Rentner und Überlebender
Verheiratet
und zwei Bücher und zehn Jahre später
tippe
ich nun
an
einer Wiederaufarbeitung von
„Versuch:
Die Liebe“
(…)
Zwölf:
Da ist zum Beispiel Karl
15 Jahre verheiratet, 13 Jahre Hausbesitzer
die Kinder 12 und 10 Jahre alt
und der Hahn seiner Zapfanlage
läuft therapeutisch und analgetisch ohne
Unterbrechung
Karl liebt sein Haus, seinen Sohn, seinen
Job, seine Tochter, seine Frau
in dieser Reihenfolge
aber Karl liebt sein Leben nicht mehr
und vermisst die wilden Jahre und die
Freiheit
und rastet immer öfters aus
Da ist zum Beispiel Jürgen
seine erste Frau liebte er endlos
und starb beinahe
als er sie beim Fremdgehen erwischte
Und arrangierte sich dann letztendlich mit
einer anderen
um zu überleben
und nicht alleine zu sein
Ein Drittel Liebe, zwei Drittel Bier
Und manchmal dreht er durch und weint
und ich frage mich heimlich
ob damals Verzeihen nicht besser als das heutige
Arrangement gewesen wäre
Tickende Zeitbomben
Da ist Christiane
eine starke Frau mit vielen geheimen
Altlasten ihrer Vergangenheit
die sie sorgsam so fest verschlossen hat
dass sie selber nicht mehr rankommt
Sie läuft Marathon und versucht
sich das Leben schön zu reden und
mit den vielen Drogen ihres Lebens klar zu
kommen
Ihr Partner ist ein Kompromiss
den sie mal wirklich liebte
den sie aber mittlerweile nur aus Gewohnheit
und Bequemlichkeit behält
Da sind Miriam und Johann
die vor fünfzehn Jahren ein Paar waren
und seitdem nicht mehr fest zusammen kommen
obwohl sie ihr ganzes Leben gemeinsam
verbringen
und gar keine Chance auf eine andere Liebe
zulassen
Da sind Petra und Michael
die seit über dreißig Jahren verheiratet sind
und sich wirklich und ernsthaft immer wieder
zusammengerauft haben
Ich denke, sie haben es geschafft:
sie haben ihre Liebe immer wieder repariert
anstatt sie wegzuschmeißen
Und da sind Claudia und ich
und es scheint
als wären wir beide angekommen
bei uns
…
Nein
Es ist nicht das Paradies auf
Erden
Ab und zu
– aber immer seltener -
streiten wir uns
Ich bin früher jedem Streit aus
dem Weg gegangen
habe mich einfach verpisst
und den Schwanz eingezogen
Jetzt lerne ich
das Streiten gar nicht dumm sein
muss
wenn man sich wieder verträgt und
Lösungen findet
und nicht an dem Grundsätzlichen
zweifelt:
Liebe und Respekt
Claudia hat die Beschwerden einer
Frau in den Wechseljahren
und das nervt uns beide
Ich habe meine Krebsüberbleibsel
und meine depressiven Momente
außerdem bin ich Schreiberling
und dieser Menschenschlag ist
einfach fürchterlich
und eigentlich beziehungsunfähig
Aber dann umarmen wir uns
und gucken in unsere strahlenden
Augen
und streicheln uns und
berühren uns da
wo es was auslöst
und – ich mach jetzt mal drei
Pünktchen –
…
Wir heben ab
Oder ich gehe mit unserer Hündin
spazieren
und weiß schon auf dem Rückweg
dass Claudia uns erwartet
und das ist so ein warmes Gefühl
und das ist dann wirklich ZUHAUSE
und das geht
nur mit ihr
Dreizehn:
Unsere Mütter nerven
wie es Mütter nun mal tun
Wir lieben sie
Unsere Väter sind tot
Sie hätten sich am Tresen sicher
gut verstanden
Unsere Geschwister
machen uns Sorgen
aber sie haben ihre eigenen Leben
und wir haben kein Recht
uns da einzumischen
Wir haben uns
und Eins und Eins macht immer noch
Zwei
aber gerade indem wir das
akzeptieren
werden wir unverwundbar
oder so
Geld- und Zukunftssorgen kennen
wir zur Genüge
und die Weltlage kotzt uns an
und der Alltag kann schon mal
tierisch runterziehen
aber dann
kommt – im wahrsten Sinne des
Wortes – wieder so ein Augenblick
und all das ist dermaßen egal…
…
Ich glaube
das ist es:
Liebe
Nein
es ist nicht das Paradies auf
Erden
Es ist besser
(…)
Vierzehn:
Zehn
Jahre im Schnelldurchgang
und
ich bin ein alter Mann geworden
sichtbar
angeschlagen
aber
immer noch nicht besiegt
und
auf keinen Fall zu unterschätzen
Kein
Ende in Sicht
und
zurück auf Start
versuche
ich noch immer:
Die
Liebe
Es
scheint zu funktionieren…
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Ein mittlerweile über fünfzig Seiten langes Liebesgedicht ist Wahnsinn.
Aber auch wahnsinnig schön.
Ich kämpfe noch mit dem Lay-Out und überlege, wie ich es unter die Leute schmeiße. Aber es soll noch dieses Jahr rauskommen...
Vielleicht habe ich Euch ja neugierig gemacht...
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