Ich hasse das!
Morgen ist mal wieder so ein besonders anstrengender und
unerfreulicher Tag. Ich muss zum ärztlichen Gutachten wegen meiner Rente.
Egal, ob der/die Arzt/Ärztin nett, kompetent oder
verständnisvoll ist, ich komme mir da immer doof vor. Wie ein Simulant, ein
Drückeberger, ein Bittsteller.
Dabei bin ich das nicht.
Ich habe ständige Schmerzen im Nacken- und Schulterbereich,
daraus resultieren oft heftige Kopfschmerzen.
Im Winter friere ich wie Sau und beginne schnell zu zittern,
was massig Kraft kostet.
Überhaupt Kraft: Heben und Tragen geht nicht mehr, nach
zwanzig Minuten am Schreibtisch brauche ich eine Pause. Ich schaffe gerade mal
meine täglichen Hunderunden und fühle mich wie über 70.
Dazu kommt noch das Fatigue-Syndrom: ich schlafe oft ein,
könnte fast immer schlafen.
Ach ja: ich wiege 53 Kilo bei 1,72 Meter Körpergröße…
Meine Konzentrationsfähigkeit lässt zu wünschen übrig. Und so
weiter.
Schlimmer sind mein Mund- und Rachenbereich.
Ich habe Kau- und Schluckbeschwerden, das Essen ist äußerst
anstrengend und unästhetisch. Immer kämpfe ich mit der Aspirationsgefahr. Und
schmecken (und riechen) tue ich nur eingeschränkt.
Meine Artikulation ist schwankend, aber immer mies und
verdammt anstrengend.
Und mein Mund fast immer viel zu trocken und wenn da mal
Speichel vorhanden ist, dann sabbere ich wie Sau, weil meine rechte untere
Lippe nahezu gelähmt ist.
Ach ja: den Lippenschluss kriege ich auch nicht hin und
dadurch ist das Trinken mit Strohhalmen unmöglich und das Rauchen extrem
erschwert.
Im Januar 2007 wurde mein Krebs erkannt.
Plattenepithelkarzinom (Ich gestehe: das klingt nicht besonders poetisch). Mir
wurden die Lymphknoten am Hals entfernt (Neck-Dissection heißt das), mein
Gaumen und ein großer Teil des Oberkiefers wurden rausgenommen und durch Transplantate
aus dem linken Handgelenk (Gaumen) und der rechten Hüfte (Oberkiefer) neu aufgebaut.
Ne heftige Strahlentherapie folgte. Dann bekam ich Implantate und habe jetzt
ein wunderschönes Gebiss, wenn auch der Biss nicht richtig stimmt und ich
jeweils nur drei Stifte (statt mindestens vier, im Idealfall sechs) im Kiefer
implantiert bekam.
Aber die Ärzte und der Zahntechniker haben Wunderwerke und
Kunststücke bei mir erschaffen. Das war mehr als okay!
Jetzt ist das über fünf Jahre her.
Und wer den Krebs bis dahin überlebt, der ist wieder gesund.
Sorry, bin ich nicht, werde ich nie werden.
Ich lebe und bin da dankbar und froh. Aber ich bin auf dem
Arbeitsmarkt nicht vermittelbar und ich bin schon gar nicht in der Lage einer
Lohnarbeit nachzugehen.
Und deshalb will ich meine Rente.
Finanziell ist das minimal, liegt unter Hartz IV, aber mir
geht es vor allem um den Status. Und darum, dass ich sie mir verdient habe.
Schließlich habe ich eingezahlt. Und die Vermutung, dass auch meine Arbeit ein
möglicher Krebsauslöser war (aber wer weiß das schon…).
Morgen muss ich also zu einem Gutachter der
Rentenversicherungsanstalt.
Eigentlich müssten meine Krankengeschichte und die Berichte
der behandelnden Ärzte reichen, tun sie aber nicht.
Egal: jeder vernünftige Mensch, der mich und meine
Konstitution sieht sollte wissen, dass ich nicht simuliere.
Und sollte ich wider Erwarten arbeitsfähig begutachtet
werden, dann werde ich halt einen Widerspruch einlegen.
Wer den Krebs überlebt ist nach fünf Jahren geheilt?
Sorry, das ist Blödsinn, auch wenn es schön wäre.
Den Krebs an sich gibt es gar nicht, jede Krankheit ist
eigenständig, individuell. Und die chronischen Beschwerden werden mich mein
Leben lang begleiten, so gerne ich sie loswerden würde.
Mir geht es gut. Den Umständen entsprechend.
Ich lebe. Und selbst das ist ein Wunder.
Ich wäre gerne arbeitsfähig, habe meine Arbeiten als
Krankenpfleger, Praxisanleiter, Wundmanager und Altentherapeut geliebt und
würde sie gerne wieder ausüben.
Okay. Ich bin es nicht.
Ich bin behindert.
Und ein frühzeitig gealterter Schreiber, der das Beste aus
seiner Situation macht.
Und seine Rente will.
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