Mittwoch, 10. August 2016

Den Umständen entsprechend gut






Sollte der Doc mich morgen fragen
(was nicht unwahrscheinlich ist)
„Wie geht es Ihnen?“
würde ich gerne folgendes antworten:

„Mir geht es beschissen
und ich kann beinahe nicht mehr.
Vor meiner Krebserkrankung und der Operation in diesem Haus
hatte ich
einen Job als Krankenpfleger, Praxisanleiter und Wundmanager
in der mobilen Pflege.
Relativ gut bezahlt und sicher versorgt.
Ich war Sänger und Gitarrist in einer Rockband
und fing gerade wieder an
zu schreiben und meinen Kram zu veröffentlichen.
Alles lief blendend und dann bekam ich diese Krebsdiagnose
mit einer wahnsinnig schlechten Prognose
und wahrscheinlich extremen Folgeerscheinungen.
Ihr Chirurgen habt dann einen wahnsinnig guten Job gemacht
und mich während einer 13-Stunden-OP
im wahrsten Sinne des Wortes
zurück ins Leben geholt.
Seitdem habe ich chronische Schmerzen
bin behindert
frühgealtert und körperlich ein Wrack
aber nach anderthalb Jahren
habt ihr mir sogar wieder ein Gebiss gebastelt
und ich konnte halbwegs vernünftig essen und sprechen.
Okay.
Existentiell wurde es prekär und
ich musste mich
an ein Leben als Erwerbsminderungsrentner gewöhnen.
Aber ich lernte meine Frau kennen
und hatte sogar n bisschen Erfolg als Schreiberling.
Ich hatte mich eingerichtet.
Und ich überlebte den Krebs.
Dann kam in diesem Januar die Hiobsbotschaft
dass die Implantate im Kiefer nicht mehr saßen
und ich erneut ohne Zähne und Gebiss leben müsste
bis der Knochenaufbau erneut durchgeführt würde.
Seitdem krieche ich auf dem Zahnfleisch:
Ich sabbere vermehrt
bin sprachlich kaum zu verstehen
und Essen ist zur reinen Nahrungsaufnahme degradiert.
Hinzu kommt die Ungewissheit
ob der Kieferaufbau überhaupt funktioniert.
Ich leide an Depressionen
und fühle mich gesellschaftlich außenstehend.
Ich will endlich Bescheid wissen.
Ich will die nächste OP und damit den nächsten Schritt
und ich weiß
dass es dann noch lange dauert
bis Implantate gesetzt werden können
aber ich hätte dann wenigstens wieder Hoffnung.
Wenn nicht –
dann müsste ich mich mit der momentanen Scheiße
auf Dauer arrangieren.
Nicht schön
aber irgendwie bestimmt machbar.

Momentan hänge ich zu lange schon in der Luft
und kann nicht mehr.“

Sowas in der Art würde ich gerne sagen.

Ich kenne mich.
Auf dem Behandlungsstuhl
bringe ich bei der Frage nur folgendes raus:

„Den Umständen entsprechend gut.“


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