Im Rahmen eines Praktikums
während meiner Ausbildung zum Altentherapeuten
traf ich ihn
In einem Alters- und Pflegeheim
(aber die heißen heute ja Residenzen)
bewohnte er ein Zimmer
und war außerhalb der Mahlzeiten kaum zu sehen
Ich hatte Ideale
und organisierte einen Männerstammtisch
und wollte
alle Männer eingeladen und angesprochen haben
Also klopfte ich bei ihm an
Die Pflegekräfte und die Leitung des sozialen Dienstes
sagten mir
dass es sinnlos wäre
und er zu niemanden Kontakt wollte
aber ich wollte es selber wissen
und trat dann in das Zimmer
Freundlich ließ er mich hinein
und das erste
was ich im Zimmer wahrnahm
war das Keyboard
Und dann der Plattenspieler
und das Regal mit den Platten
„Welcome to
my world“
Grinste er
mich an
“Hallo.
Ich bin H.B.
und mache hier ein Praktikum zum Altentherapeuten.
In dem Rahmen wollte ich mich vorstellen.
Und sie fragen,
ob sie nicht auch Interesse an einen Männerstammtisch
hätten.“
Er lächelte.
Schüttelte den Kopf.
Und winkte ab.
„Das ist nichts für mich.
Danke sehr.“
Sein Blick sollte mich zur Tür und hinaus lenken,
ich wollte gehen
aber ich hatte die Schallplatten entdeckt.
„Sind das
Blue Note Records?“
fragte ich aus einer Ahnung heraus.
Er nickte grinsend.
„Sind sie Jazz-Kenner?“
„Leider nein. Ich bin eher Rock’n’Roller.
Aber Blue Note
erkennt doch jeder!“
Er schüttelte den Kopf:
„Hier niemand…“
Jetzt lenkte mich sein Blick zum Sessel
und er lud mich ein,
mich zu setzen.
„Hier: Billie Holliday in der Erstauflage.
und hier John Coltrane.
Ich brauche die Belustigungen vom Personal nicht,
auch wenn sie sich Mühe geben…“
Ich nickte.
„Muss die Hölle sein,
einem schlechten Musiker bei
Schwarzbraun ist die
Haselnuss zuzuhören!“
„Es geht. Aber ich muss es mir nicht antun.“
Rheuma ist eine Höllenplage.
Er hatte ne besondere Form von SLE. Lupus.
Alleinsein ist auch eine Höllenqual.
Er war nicht alleine. Er hatte den Jazz.
Er war um die 70.
Und lebte nun in einem Ghetto der Alten und Kranken.
Mit Bingo und Heimatmusik und WDR 4.
Ich war froh über sein Zimmer
und beschloss
ihn in Ruhe lassen.
„Wenn ich kann,
dann spiele ich auf meinem Keyboard.“
Er konnte nicht mehr oft.
Aber er spielte mir eine Platte vor
die er kurz nach dem zweiten Weltkrieg aufgenommen hatte.
Mit allen möglichen Jazz-Größen.
Und als ich die hörte,
wusste ich,
warum er nicht zu den „Konzerten“ im Heim ging.
Ich blieb viel zu lange bei ihm
(aber ich war Praktikant und schiss drauf…)
und beim ersten Männerstammtisch tauchte er wahrhaftig auf.
Er setzte sich zu den anderen Männern
und hörte zu.
Es wurde viel Blödsinn geredet,
aber generell waren die Männer mal froh
unter sich zu sein
und lästerten und erzählten schlüpfrige Witze und vom VfL
Bochum
und ich merkte,
dass ihnen dies ansonsten im Heim fehlte
(Anmerkung: der Männeranteil
in Heimen liegt bei ca. 20%. Und viele sind nicht wegen Alter, sondern wegen
Erkrankungen oder Behinderungen untergebracht. Und für die Männer ist ein Heim
die Hölle – für jeden Menschen ist ein Heim die Hölle, aber für Männer eben
noch mehr…)
Beim dritten Männerstammtisch setzte er sich ans verstimmte
Piano
und spielte eine kleine Improvisation
bei der ich die Ohren anlegte
und mir ein Glas Wein und eine Zigarette wünschte.
Die anderen Männer waren verstimmt
und wollten lieber Stammtischwitze erzählen.
Er nickte mir zu
und kam die nächsten Male nicht mehr.
Wrong
place, wrong time, wrong man
Was sol ich sagen?
Würde ich seinen Namen erwähnen
würden Jazz-Kenner aufhorchen
aber ich werde den Teufel tun.
Ich habe keine Ahnung vom Jazz
aber ich weiß
dass Blue Note Records das ultimative Label für Jazz ist.
„Als Blue Notes bezeichnet man Töne, die in
besonderem Maß den Bluescharakter von Melodien prägen. Im engeren Sinne
versteht man darunter die kleine Terz, die kleine Septime und die verminderte Quinte.“
Ich habe keine Ahnung
von vielen Dingen.
Und ich kann die Welt nicht retten.
Und nicht alle Einzelschicksale.
Wenn ich könnte
würde ich einen Song für den Jazz Pianisten schreiben.
Ein Instrumental
mit einer langen Keyboard-Phrase.
N Schlagzeug mit Swing-Touch.
N Sax und n dezenter Gitarren-Background.
Und ein Contra-Bass, der in die Eiern knallt.
Basis wären Blue Notes
- und das würde ich sogar hinkriegen,
aber nicht in der Qualität der Meister –
Ich kann das nicht.
Ich kann nur dieses Gedicht.
Und hoffe
ihm geht es gut
- den Umständen entsprechend…
ah, dank dir, bestens!!
AntwortenLöschenToller Text - ich gratuliere - kannte selbst so einen begnadeten Jazzer!
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