Was macht eine gute Lesung aus?
Die Location, das Publikum, die Tagesform (der LeserInnen
und HörerInnen), die Ausstrahlung der DichterInnen, die Getränke und natürlich
nicht zuletzt die Qualität des Vortrags und der Texte.
Gestern hatte ich das Glück auf einer Lesung zu Besuch zu
sein, wo alles stimmte:
Lütfiye Güzel und Marvin Chlada lasen in der Spinatwachtel
in Duisburg.
„Let’s go underground“ nannten sie das. Und zum Underground
gehe ich bekanntlich immer gerne.
Die „Spinatwachtel“ in Duisburg-Hochfeld ist ein kleines
Ladenlokal für Ausstellungen, Lesungen und Workshops. Gemütlich, urig, das
gewisse Etwas strahlt da aus und das Schaufenster macht mit interessantem
Schnickschnack neugierig. Dazu gibt es Schnittchen und einen gut gefüllten
Kühlschrank. Bezahlt wird in ein Sparschwein. Äußerst nett!
Einziger Kritikpunkt: Die harten Holzstühle sind für meinen
knochigen Arsch nach kurzer Zeit sehr unbequem. Und da der Laden voll war, war
es mir nicht immer möglich, Blickkontakt zu den Dichtern zu haben. Aber
eigentlich war das egal.
Marvin Chlada kannte ich aus der früheren Social Beat Zeit
(Blutgrätsche). Und als Facebook-Kontakt. Ich wusste, er macht Cut-Ups und ich
wusste, dass er ein außerordentlicher Kenner der Beat-Szene und Protagonist des
deutschen Underground ist.
Lütfiye Güzel kannte ich noch gar nicht, hatte aber schon
viel Lobendes über sie gehört.
Ich war also gespannt, was da kommen würde.
Als wir den Laden erreichten begrüßte uns Marvin und stellte
uns seiner Frau und ihrem Sohn, der mit 3 Monaten nun seine erste Lesung
erleben würde, vor. Sofort war da eine Gemeinsamkeit und Wärme spürbar.
Dann ging es los. Marvin moderierte etwas, dann lasen die
beiden ihre Texte. Und das war einfach stark!
Locker und lässig erzählte Marvin Underground-Anekdoten, las
seine teils witzigen, teils tiefgehenden Texte und versuchte mit Lütfiye und
dem Publikum in den Dialog zu kommen. Lütfiye allerdings wollte weniger
erzählen und ihre Gedichte für sich sprechen lassen. Und das taten sie auch
wahrhaftig!
Ganz groß Marvins Vortrag seines „Theorie & Praxis“ (aus
„Die schöne Verwirrung des Lebens“, Situationspresse Duisburg, 2013). Und natürlich für mich eine
große Ehre, dass ich neben Ginsberg von ihm mit einem Gedicht zitiert wurde.
Lütfiyes Gedichte sind Meisterwerke. Reduziert auf das
Wesentliche knallten die Worte dieser Dichterin in unsere Herzen und Seelen und
ließen uns den Atem anhalten. Ich nehme mir einfach mal die Freiheit raus, aus
ihrem großartigen „herz-terroristin“ (Dialog Edition Duisburg, 2012) zu
zitieren:
„ich habe
scheiße im kopf
& ein lächeln ohne
bedeutung
einen schrank mit dreckiger
wäsche
& kein herz
ich habe
scheiße im kopf
& ein lächeln ohne
bedeutung
einen schrank mit dreckiger
wäsche
& ein herz“
Groß. Wie auch die anderen Gedichte von ihr.
Ich bin zutiefst beeindruckt und mir fehlen die Worte, um
sie gebührend zu loben.
Leute – kauft ihre Sachen!
Nach ca. anderthalb Stunden machten Marvin und Lütfiye
Pause.
Claudia und ich fuhren nach Hause und heute Morgen erfuhr
ich dann, dass die Beiden bis 23.00 Uhr noch weiter gelesen haben.
Mehr braucht man dazu nicht zu schreiben!
Heute (03.07.) ist der Todestag von Brian Jones (1969) und
Jim Morrison (1971).
Ich lebe noch.
Und habe vor, diesen Satz noch ganz häufig schreiben zu
können…
Ach Ägypten:
Ein Jahr nach der Revolution ist scheinbar alles kaputt.
Mursi klebt an seiner (demokratisch gewählten – da hat er Recht) Macht und das
Militär droht mit einem erneuten Putsch. Irgendwie erscheint mir die Wahl
zwischen Militär und Mursi wie die Wahl zwischen Pest und Cholera, auch wenn
ich nicht wirklich weiß, was in diesem Land alles abgeht.
Ich befürchte Bürgerkrieg, Blut und Terror.
Und das ist immer Scheiße. Überall.
Und da fällt mir die Türkei ein. Auch wenn der Protest aus
den Medien verschwunden ist, die Herzen der Bevölkerung und ihr Widerstand sind
immer noch vorhanden. Und Erdogan verhaftet, lässt foltern und unterdrückt.
Und da fallen mir die Pussy Riots wieder ein. FREE PUSSY
RIOT! Dieser Aufruf darf einfach nicht vergessen werden!
Und da fällt mir Snowden und die gespielte Unwissenheit und
Empörung der Politiker ein.
Und die längst überfällige Prozess-Aussetzung um Lothar
König! Und das menschenunwürdige Zeitspiel um Gustl Mollath!
Und die Verstrickung des Vatikans in Geldwäscherei taucht
nur unter den versteckten Nachrichten im Kleingedruckten auf.
Die Underground-Literatur (ich benutze diesen
Schubladenbegriff, weil mir kein besserer einfällt. Gut finde ich diese
Bezeichnung nicht…) scheint einen enormen Schwung zu bekommen und immer mehr
Gehör zu finden. Es sieht im Moment äußerst spannend aus.
Ich freue mich schon auf die vielen Neuerscheinungen im
Herbst oder zum Winter hin. Und auf Lesungen (zum Beispiel das kleine Festival Ende
September in Darmstadt).
LaborBefund, Drecksack, Superbastard, Rogue Nation und Der
Metzger seien hier nur mal als Beispiele für qualitativ hochwertige und gut
laufende (Ich denke mal…) Zines und Anthologien erwähnt!
Es geht voran!
Und ich glaube die Vernetzung und Propaganda im Internet
spielt auch da eine wichtige Rolle.
Ein Regentag Anfang Juli. Aber angeblich soll es ab Morgen
besser werden.
Und jetzt werde ich mich wieder meinen lyrischen Ergüssen
zuwenden.
Zieht Euch warm an (wegen dem Wetter, nicht wegen meiner
Lyrik…)!
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