Mittwoch, 3. Juli 2013

Güzel und Chlada in der Spinatwachtel, Tagesgeschehen, Undergroundliteratur und Regen am Todestag von Brian Jones und Jim Morrison:



Was macht eine gute Lesung aus?
Die Location, das Publikum, die Tagesform (der LeserInnen und HörerInnen), die Ausstrahlung der DichterInnen, die Getränke und natürlich nicht zuletzt die Qualität des Vortrags und der Texte.
Gestern hatte ich das Glück auf einer Lesung zu Besuch zu sein, wo alles stimmte:
Lütfiye Güzel und Marvin Chlada lasen in der Spinatwachtel in Duisburg.
„Let’s go underground“ nannten sie das. Und zum Underground gehe ich bekanntlich immer gerne.
Die „Spinatwachtel“ in Duisburg-Hochfeld ist ein kleines Ladenlokal für Ausstellungen, Lesungen und Workshops. Gemütlich, urig, das gewisse Etwas strahlt da aus und das Schaufenster macht mit interessantem Schnickschnack neugierig. Dazu gibt es Schnittchen und einen gut gefüllten Kühlschrank. Bezahlt wird in ein Sparschwein. Äußerst nett!
Einziger Kritikpunkt: Die harten Holzstühle sind für meinen knochigen Arsch nach kurzer Zeit sehr unbequem. Und da der Laden voll war, war es mir nicht immer möglich, Blickkontakt zu den Dichtern zu haben. Aber eigentlich war das egal.

Marvin Chlada kannte ich aus der früheren Social Beat Zeit (Blutgrätsche). Und als Facebook-Kontakt. Ich wusste, er macht Cut-Ups und ich wusste, dass er ein außerordentlicher Kenner der Beat-Szene und Protagonist des deutschen Underground ist.
Lütfiye Güzel kannte ich noch gar nicht, hatte aber schon viel Lobendes über sie gehört.
Ich war also gespannt, was da kommen würde.

Als wir den Laden erreichten begrüßte uns Marvin und stellte uns seiner Frau und ihrem Sohn, der mit 3 Monaten nun seine erste Lesung erleben würde, vor. Sofort war da eine Gemeinsamkeit und Wärme spürbar.

Dann ging es los. Marvin moderierte etwas, dann lasen die beiden ihre Texte. Und das war einfach stark!
Locker und lässig erzählte Marvin Underground-Anekdoten, las seine teils witzigen, teils tiefgehenden Texte und versuchte mit Lütfiye und dem Publikum in den Dialog zu kommen. Lütfiye allerdings wollte weniger erzählen und ihre Gedichte für sich sprechen lassen. Und das taten sie auch wahrhaftig!
Ganz groß Marvins Vortrag seines „Theorie & Praxis“ (aus „Die schöne Verwirrung des Lebens“, Situationspresse  Duisburg, 2013). Und natürlich für mich eine große Ehre, dass ich neben Ginsberg von ihm mit einem Gedicht zitiert wurde.
Lütfiyes Gedichte sind Meisterwerke. Reduziert auf das Wesentliche knallten die Worte dieser Dichterin in unsere Herzen und Seelen und ließen uns den Atem anhalten. Ich nehme mir einfach mal die Freiheit raus, aus ihrem großartigen „herz-terroristin“ (Dialog Edition Duisburg, 2012) zu zitieren:

ich habe


scheiße im kopf

& ein lächeln ohne bedeutung

einen schrank mit dreckiger wäsche

& kein herz


ich habe


scheiße im kopf

& ein lächeln ohne bedeutung

einen schrank mit dreckiger wäsche

& ein herz“

Groß. Wie auch die anderen Gedichte von ihr.
Ich bin zutiefst beeindruckt und mir fehlen die Worte, um sie gebührend zu loben.
Leute – kauft ihre Sachen!

Nach ca. anderthalb Stunden machten Marvin und Lütfiye Pause.
Claudia und ich fuhren nach Hause und heute Morgen erfuhr ich dann, dass die Beiden bis 23.00 Uhr noch weiter gelesen haben.
Mehr braucht man dazu nicht zu schreiben!



Heute (03.07.) ist der Todestag von Brian Jones (1969) und Jim Morrison (1971).
Ich lebe noch.
Und habe vor, diesen Satz noch ganz häufig schreiben zu können…



Ach Ägypten:
Ein Jahr nach der Revolution ist scheinbar alles kaputt. Mursi klebt an seiner (demokratisch gewählten – da hat er Recht) Macht und das Militär droht mit einem erneuten Putsch. Irgendwie erscheint mir die Wahl zwischen Militär und Mursi wie die Wahl zwischen Pest und Cholera, auch wenn ich nicht wirklich weiß, was in diesem Land alles abgeht.
Ich befürchte Bürgerkrieg, Blut und Terror.
Und das ist immer Scheiße. Überall.

Und da fällt mir die Türkei ein. Auch wenn der Protest aus den Medien verschwunden ist, die Herzen der Bevölkerung und ihr Widerstand sind immer noch vorhanden. Und Erdogan verhaftet, lässt foltern und unterdrückt.

Und da fallen mir die Pussy Riots wieder ein. FREE PUSSY RIOT! Dieser Aufruf darf einfach nicht vergessen werden!

Und da fällt mir Snowden und die gespielte Unwissenheit und Empörung der Politiker ein.
Und die längst überfällige Prozess-Aussetzung um Lothar König! Und das menschenunwürdige Zeitspiel um Gustl Mollath!
Und die Verstrickung des Vatikans in Geldwäscherei taucht nur unter den versteckten Nachrichten im Kleingedruckten auf.



Die Underground-Literatur (ich benutze diesen Schubladenbegriff, weil mir kein besserer einfällt. Gut finde ich diese Bezeichnung nicht…) scheint einen enormen Schwung zu bekommen und immer mehr Gehör zu finden. Es sieht im Moment äußerst spannend aus.
Ich freue mich schon auf die vielen Neuerscheinungen im Herbst oder zum Winter hin. Und auf Lesungen (zum Beispiel das kleine Festival Ende September in Darmstadt).
LaborBefund, Drecksack, Superbastard, Rogue Nation und Der Metzger seien hier nur mal als Beispiele für qualitativ hochwertige und gut laufende (Ich denke mal…) Zines und Anthologien erwähnt!
Es geht voran!
Und ich glaube die Vernetzung und Propaganda im Internet spielt auch da eine wichtige Rolle.



Ein Regentag Anfang Juli. Aber angeblich soll es ab Morgen besser werden.

Und jetzt werde ich mich wieder meinen lyrischen Ergüssen zuwenden.

Zieht Euch warm an (wegen dem Wetter, nicht wegen meiner Lyrik…)!



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen