Donnerstag, 4. Juli 2013

Aus einem Leserinnenbrief:



Ich habe mich entschieden:
Der Brief ist einfach zu schön, den will ich Euch nicht vorenthalten.
Die Schreiberin behauptet von sich, dass sie nicht schreiben kann. Eindeutige Fehleinschätzung! Ich habe die zu persönlichen Sachen gestrichen und hier nun der Lesungseindruck eines „Fans“:

„… Jaa, der 2. Mai, 20.00 Uhr, mein 1. Besuch einer Lesung. Und dann auch noch von dem Mann, dessen Buch „Ausgehöhlt“ mich so sehr in den Bann gezogen hat! So sehr, dass ich dachte, mir springt das Herz aus der Brust. Das Buch, dass mich fasziniert hat, mich am Kacken gehalten hat, mich gerettet hat und mich sprachlos gemacht hat (das will was heißen, ich kann nämlich reden ohne Luft zu holen – Fisch halt… Böse Zungen behaupten, ich quatsche alle tot, aber die interessieren mich nicht wirklich, die verstehen nicht, was ich sagen will).
Dann geht’s ab. „Richtung Ruhrstadion“ hat Klaus Märkert gesagt. Gibt es in der Bastion was zu essen? Während sich die ganzen Intellektuellen dort unterhalten könnte man sich gut am Essen hochziehen – ist beschäftigt und die Nervosität fällt nicht so auf…
Dann stehe ich vor der Tür, rauche die 3. Van Nelle Schwarz (wer weiß, ob man da drinnen rauchen darf) und schelle an.
Eine freundliche junge Frau mit wunderschönem langen Haar öffnet mir die Tür.
„Hallo“-jetzt gibt es kein Zurück mehr-„ich wollte zur Buchvorstellung von Hermann Borgerding.“
„OK, komm rein.“ Ich atme durch.
Wir gehen eine rot gestrichene Treppe rauf, die Tür geht auf… Wow – Heimat – Dschungel um mich herum. Eine kleine Bar, eine kleine Gruppe Menschen und … da ist er… Ich sehe ihn sofort. Er sieht auf, ich gehe schnurstracks auf ihn zu, strecke ihm die Hand entgegen und frage blöd: “Du bist Hermann?“ (Mein Gott, natürlich ist er es!) Er nickt freundlich, lächelt, gibt mir seine Hand. Ich sage: “Ich bin Andrea, die Nachbarin von Klaus Märkert.“ Gott sei Dank, er scheint Bescheid zu wissen, sagt, dass es um acht Uhr losgeht und sonst noch was – ich weiß nicht mehr was. Egal, ich sag „okay“ und dass es mein erster Besuch einer Lesung ist. Er nickt erneut und geht wieder zu seiner Gruppe zurück – kurz atmen – ich hole mir erst mal ein Wasser, entdecke die Aschenbecher, man darf hier rauchen – ja, dem Himmel sei Dank!
Ich setze mich hin, erst mal eine drehen, und schaue mich um. Alles Dschungel an den Wänden – klasse. Aus den Augenwinkeln heraus (ganz unauffällig, versteht sich) beobachte ich Hermann.
Da steht er nun – ein ganz zarter, dünner Mensch. Ganz zerbrechlich, gezeichnet von dem scheiß Krebs – und doch irgendwie kraftvoll. Und seine Augen erst… riesengroße Seen von dichten Wimpern umrandet, fast wie geschminkt und doch so ungeschminkt und ehrlich – Seele pur…
(Anmerkung:  Den Absatz über Claudia habe ich ja schon vor ein paar Tagen gepostet, den lasse ich hier jetzt mal aus…)
Wir gehen alle nach unten in einen kleinen Raum, sieht aus wie ein Minikino, eiskalt, aber das macht nix. Mir ist warm. Die Bühne ist in rotes Licht getaucht – HaHa, Redlight District – lange her – holt einen irgendwie doch immer wieder ein… und dann tauche ich in die Lesung ein.
Lieder, Gitarrenklänge, Geschichten, Gedichte – der andere Poet ist auch gut, auch der Gitarrenmensch. Ich höre gut zu und genieße die Atmosphäre…
Pause – wir gehen wieder hoch.
Ich fühle mich etwas aufgelockert und werde von Claudia gefragt, ob es mir gefallen hat. Sie ist wirklich lieb und vermittelt mir ein Gefühl der Sicherheit.
So, es geht wieder weiter. Vorab wieder ein bisschen Musik. Und dann sagt Hermann, er freue sich besonders, weil heute eine bestimmte Person gekommen ist. Ich höre so zu und denke, er wird jetzt Ron Hard ausführlicher vorstellen… Ja, Scheiße! Plötzlich fällt mein Name – ich fühl mich wie vom Blitz getroffen und ich wünsche mir, der Boden tut sich auf und ich rein!!! Aber nix dergleichen passiert und ich muss es aushalten!
Und dann sagt er, dass er jetzt ein Gedicht liest, welches er für Kersten, für mich und Tom Waits geschrieben hat!
Atemstillstand bei mir – Blutdruck 180 – ich beuge mich quer zu seiner Frau vor und drücke meine Hände auf ihre Schultern – sozusagen als Zeichen, wie sehr ich mich freue und… weil ich einfach irgendjemanden drücken muss – sofort.
Und dann liest er und ich sauge jedes Wort in mich auf (ich erkenne den Text, habe ihn sogar schon zu Hause liegen – in Folie) und lasse ihn dabei nicht aus den Augen…
Es ist ein sehr langes Gedicht… Glitter and Doom – Tom Waits Konzert in Paris – ich sehe alles – die Seifenblasen, die Gaukler, Tom und Hermann… Wie er in dem dicken roten Samtsessel sitzt und wie die Tränen über sein Gesicht rinnen…
Mir laufen sie auch übers Gesicht – ich wische sie aber ganz schnell ab. Sie kommen trotzdem wieder – egal, sie laufen, weil ich genau das Gleiche empfinde, wenn ich Waits höre, wenn ich Hermanns Buch lese, wenn ich ihn da so sitzen sehe, lesen höre, glaube ich ganz genau zu wissen, wie der sich da fühlt.
Ach Scheiße, warum bin ich kein Schriftsteller?
(Anmerkung: Du bist es, wenn Du willst! Liebe Andrea, dieser Brief zeigt mir, dass Du schreiben kannst!)
Ich finde einfach nicht die „richtigen“ Worte – nichts ist gut genug – einfach zu wenig…
Die Wellen, die einen so mitreißen – zu extrem halt – kann nicht bei einer Sache bleiben – alles überschlägt sich. Aber dafür gibt es ja Hermann – der kann es, oh ja!
(Anmerkung: Ich werde beim Abtippen rot. Und stolz. Aber in Wirklichkeit kann ich das auch nicht, will es irgendwann können, arbeite dran…)
Tja, es folgten noch weitere Gedichte, auch von Ron Hard. Auch gut, ich werde ihm oben was abkaufen. Erstmal großer Applaus, dann geht es ganz entspannt und gelöst wieder nach oben.
Hermann bedankt sich doch tatsächlich noch mal bei mir und ich bin sehr verlegen, weil… ich muss ihm doch danken ohne Ende…
Ein super Abend, ehrlich!
In meiner Euphorie bin ich sogar nach Hause gelaufen (wer mich kennt weiß – ich laufe nur das Allernötigste)! Weiß bis heute nicht, wie ich es geschafft habe, aber die Hüfte ist noch drin!
Am nächsten Tag habe ich mir erst mal den „Extraball“ zur Brust genommen. Natürlich erst mal nachsehen, ob „Glitter and Doom“ auch wirklich da drin steht…
Ich weiß ja nicht, wie Hermann es schafft, aber bei fast all seinen Erzählungen springen bei mir „Türen“ auf (die ich eigentlich am liebsten geschlossen halten würde). Diesmal besonders bei den Erinnerungen an seine Toten…
Mein Gott, ist Schreiben anstrengend!
So. Und jetzt fühle ich mich irgendwie ganz leicht und werde mir „Somewhere“ reinziehen. Aus der WestSideStory, aber natürlich die Version von Tom Waits – und das Ding trägt mich bis zum Ende aller Tage…“

Ein müder alter Mann an seinem Schreibtisch.
Tippt einen Leserbrief ab und ist dermaßen stolz, dass er zum Riesen heranwächst.
Gießt sich ein Glas Wein ein, dreht sich eine Zigarette und weiß wieder, warum und für wen er diesen Schreiberkram macht.
Und hört niemals auf!

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