Das erste Drittel der Reha habe ich hinter mir.
Der Tag setzt sich zusammen aus den Mahlzeiten, den
Anwendungen und Langeweile.
Oder auch nicht: ich schreibe viel, gehe ins Schwimmbad und
in die Sauna, umrunde den See, telefoniere, versuche ins Internet zu kommen.
Volles Programm…
Blöd ist immer die kurze Pause zwischen Anwendungen. 10 oder
15 Minuten reichen nicht einmal, um in den Raucherpavillon zu gehen. Einfach
doof.
Ich hab ja schon erwähnt, dass der Speisesaal für mich
Folter bedeutet. Diese wird gemildert durch die mittlerweile wirklich nette und
witzige Tischrunde.
Der alte Herr, der die ersten drei Mahlzeiten keinen Ton
rausbekam, ist mittlerweile zum Witzereißer und Quasselkopf mutiert. Klasse!
Eine Dame mit Tracheostoma und ein Herr mit künstlichem Kniegelenk und ein
Junge von 21 Jahren mit Zustand nach kollabierter Lunge vervollständigen mit
mir das Quintett. Und wir unterhalten uns angeregt und haben Spaß. Soviel Spaß,
dass eine alte Dame am Rollator vorbeikam und uns fragte, wie wir es schaffen,
die ganze Zeit zu lachen.
Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung wie wir es schaffen.
Aber wir schaffen es.
Die manuelle Logopädie tut weh. Sie tut verdammt weh aber
sie tut auch verdammt gut. Mit Fingern und Händen bearbeitet die Therapeutin
meinen Schädel und dann hauptsächlich meinen Kiefer und Gaumen. Sie findet alle
Muskeln und Verspannungen und versucht, diese zu lockern. Und ich merke
wahrhaftig positive Effekte. Geil! Dafür nehme ich die Schmerzen gerne in Kauf:
Ich werde nicht klarer artikulieren können, aber ich habe zumindest zeitweise
einen weniger verspannten Schädel.
Meine Logopädin war Leistungssportlerin in der DDR.
Turnerin. Sie hat eine kaputte Wirbelsäule, aber die haben alle Turnerinnen.
Weltweit.
Die Horrorstories, die wir damals im Westen über den
DDR-Sport hörten, stimmen nur zum Teil. Zum anderen Teil spielte da eine Menge
Neid und Propaganda (die gab es auch bei uns im Westen) mit.
Und die DDR hatte eine hervorragende Sportförderung, ein
Scouting, das schon in den Schulen ansetzte und eine wissenschaftliche
Begleitung, die teilweise auch Verbrechen verübte, aber oft einfach nur
wissenschaftliche Erkenntnisse und Training kombinierte.
Tja. Und jetzt habe ich auch einen Kurschatten. Nein. Nicht,
was ihr denkt!
Seit meiner Kindheit ziehe ich die Außenseiter und Freaks
an. Das war schon immer so. Und gestern stand er dann im Raucherpavillon
plötzlich neben mir. Vielleicht bemerkte er eine Art gleicher Geschichte, da
ich mir meine Zigaretten selber drehe. Keine Ahnung. Er zitterte, hatte keine
Zähne mehr im Mund und war völlig abgemagert. Noch ein Gollum mehr. Genauso sah
ich vor sechs Jahren aus.
„Ich habe gerade die Bestrahlung hinter mir und bin jetzt in
der Anschlussheilbehandlung. Was für ein Mist!“
Ja. Mist. Aber eigentlich brauche ich nicht andauernd
Erinnerung an die schlimmste Phase meines Lebens.
Ich mag kein Mitleid, ich habe selber genug gelitten und ich
möchte nicht, dass andere das mit mir teilen. Und ich kann nicht das Leid der
ganzen Welt teilen, dafür – siehe oben – habe ich zu viel hinter mir.
Nein. Ich bin nicht so ein kaltes Arschloch, wie das hier
rüberkommt. Trotzdem.
Es gibt noch so vieles zu berichten. Es gibt eigentlich nix
zu berichten. Irgendwie dazwischen.
Morgen (oder, wenn ich das ins Netz stelle heute) kommen
meine Nichte und ihr Freund, die auch irgendwo in Thüringen wohnen und befreien
mich für n paar Stunden aus der Reha.
Das wird schön. Ich freue mich.
Gute Nacht!
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