Mittwoch, 20. Januar 2016

Ein scheiß Tag. In einem mit Sicherheit ziemlich beschissenem Jahr





Um 6.30 Uhr klingelt unser Wecker: Um 10.00 Uhr müssen wir in Bochum im KrankMachendenHaus sein und wir haben ca. anderthalb Stunden Fahrt vor uns, bei unsicherem Wetter.

Eindeutig nicht meine Uhrzeit…

Egal. Hundegang, Auto frei kratzen. Auf die Autobahn.
Wir schaffen es, 20 Minuten vor dem Termin da zu sein.

Die Frau an der Anmeldung der Mund-, Gesichts und Kieferchirurgieambulanz grüßt mich freundlich. Sie kennt mich nach 9 Jahren.

„Dieses Jahr werden wir uns wohl wieder öfters sehen…“
„Haben Sie denn einen Termin, Herr Borgerding?“
Sie findet ihn nicht. Wirkt generell gestresst.
„Dann setzen Sie sich mal in den Wartebereich…“

Claudia (meine Frau wollte unbedingt mit und diesmal konnte ich ihr das nicht verwehren…) und ich warten eine dreiviertel Stunde. Die türkische Frau und ihr Sohn neben uns warten schon zwei Stunden.
„Das kann hier passieren…“, lächele ich sie an.

Mittlerweile sind alle Stühle im Wartebereich besetzt. Die PatientInnen müssen halt stehen.
Claudia merkt an:
„Keine Garderobe, kein Wasserspender, nichts zu spielen, um die Kinder abzulenken – ich habe selten einen schlimmeren Wartebereich gesehen!“
Ich gebe ihr Recht:
„ So etwas spielt hier keine Rolle.“

Ich habe hier schon einigen Scheiß erlebt. Und vor dem Umbau gab es noch keine automatischen Türen zu den Behandlungsräumen, was damals zur Folge hatte, dass die Türe immer offen standen, jeder Wartende die Behandlung eines anderen armen Schweines hören konnte. Immerhin – das ist besser geworden (dafür fehlen die Hinweisschilder und jeder Neuhinzukommende muss sich durchfragen…).

Dann werden wir aufgerufen.
Ich habe schon einige Ärzte in der Mund- und Kieferchirurgie erlebt. Einige waren klasse, einige waren aber auch unter aller Sau und bei einem habe ich vor Jahren mal die Weiterbehandlung verweigert. Nach einer viertel Minute weiß ich, dass dieser Arzt zumindest menschlich nichts taugt:

Er sitzt vor dem Computer, studiert meine Daten, begrüßt uns nicht und stellt sich nicht vor.
Meiner Frau wird kein Platz angeboten und die Krankenschwester rollt mit den Augen (nicht wegen uns – ich kenne sie…) und bittet mich auf den Behandlungsstuhl.
Ich winke mit dem Arm ab, gestikuliere zu Claudia, dass das nichts bringen wird und sie ruhig bleiben soll. Ich atme tief durch, will nur noch raus.
Ich kenne so was. Nach neun Jahren weiß ich in diesem KrankMachendenHaus Bescheid, rege mich trotzdem immer noch auf.

Heute werde ich nicht untersucht. Der Arzt stellt mir Fragen, geht auf meine Fragen nicht ein und scheint mich nicht zu verstehen. Dabei ist meine Aussprache momentan gar nicht so schlecht. Die Übersetzungshilfen meiner Frau bringen aber auch nichts.
Claudia wird sauer, ich will nur noch weg.
Immerhin: Ich erfahre, dass ich am 15.02. stationär aufgenommen werde, mir meine Implantate (ob alle oder unter Umständen welche, wusste er nicht genau) entfernt werden und ich mich auf einen fünftägigen Aufenthalt und eine dreiwöchige nasale Magensondenernährung gefasst machen sollte.
Drei Monate später wird mir dann Knochen aus der Hüfte entnommen und zum Knochenaufbau in den Kiefer eingesetzt.
Scheiße, ich hatte gehofft, diese beiden OPs in einem Abwasch zu erledigen.
Sechs Monate später kommen dann die neuen Implantate und (das sagte der Arzt nicht, weiß ich aber) nach weiteren Monaten kann mein Zahnarzt und sein Techniker mir ein neues Gebiss verpassen oder das alte anpassen …

Die Patientenaufklärung zu Risiken war dann ein Witz. Dieser Arzt sagte uns ohne Pause und Erklärung:
„Normale OP-Risiken, Schmerzen, Infektionen, Entzündungen (er nannte wirklich beides!), Knochenbruch und weitere Risiken.“
Dann: „Hier müssen Sie unterschreiben. Das zweite Formular ist für eine Blutuntersuchung.“
Ich unterschrieb beide Formulare, wobei das zweite Formular um meine Einwilligung zu einer HIV-Untersuchung war. Mir egal. Ich habe da mittlerweile nix zu befürchten und habe früher eh immer freiwillig den „Aids-Test“ gemacht.
Bloß sagen sollen – das hätte dieser „Doktor“ schon machen müssen…

Dann nur noch raus.

Claudia blickte mich ungläubig an:
„Was war das denn! Da willst du dich operieren lassen? Das war doch unter aller Sau!“
Ich antwortete genervt:
„Dieser Wichser wird mich nicht operieren. Ich will nur weg. Und vor neun Jahren haben die Chirurgen mein Leben gerettet und insgesamt einen Superjob gemacht. Die Kieferchirurgie in Bochum-Langendreer hat einen sehr guten Ruf und den Kieferaufbau übernimmt der Chefarzt persönlich. Und dem vertraue ich.“

Auf dem Rückweg fuhren wir noch bei meiner Mutter vorbei.
Und meine Sorgen wurden nicht kleiner.
Und wieder zuhause machte uns dann Claudias Mutter Sorgen.
Aber jetzt liegt Aron zu meinen Füßen und ich höre Dylan und momentan ist alles okay.

Eigentlich passiert nix Schlimmes.
Nix Lebensbedrohendes.
Nur etwas, was die Lebensqualität dieses Jahr zerstört.
Nee:
Spaß macht das nicht.
Aber kaputtmachen
lasse ich mich davon auch nicht!

Und:
Ab 15.02. (besser, ab 22. 02., wenn ich dann wieder zuhause bin…) werde ich nur noch über Textnachrichten (Mails, Facebook, SMS) erreichbar sein. Ohne Zähne spricht es sich beschissen. Und das muss ich erst wieder lernen…

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