Freitag, 11. Oktober 2013

Absolute Empfehlung: "Wo du bist" von Sven-André Dreyer!



Ich kann normalerweise wenig mit Kurzgeschichten anfangen. So kenne ich die Munro auch nur flüchtig aus einer Anthologie. Hemingway, der hatte es drauf, ansonsten hat mich Klaus Märkert positiv überrascht und seine Geschichte „Schlagt sie tot in den Wäldern“ ist mir äußerst lieb geworden.

Und natürlich Sven-André Dreyer.

Schon sein letzter Band „Die Luft anhalten bis zum Meer“ haute mich um: Was für eine sprachliche Meisterleistung! Was für lyrische Prosa!
So war ich mehr als gespannt auf sein aktuelles Werk „Wo du bist“ ( frisch erschienen bei michason&may). Und die Begeisterung steigt nochmal.

Ja. So können Kurzgeschichten wirklich Nobelpreiswürdig sein. Und hat die Munro eine ähnliche Klasse, dann hat sie den Preis verdient.

Die aktuelle deutsche Kurzgeschichtenszene (wenn es überhaupt so was gibt) krankt ja an dem Lesebühnenfieber. Immer was Neues, immer einen Lacher und kurzfristig das Publikum fesseln. Darunter leidet die Tiefe.
Dreyer widersetzt sich dem und das ist löblich.
Er schreibt nicht für den direkten Beifall, mir erscheint es, als würde er für die Ewigkeit schreiben.

Auf dem Rückumschlag des Buches steht, dass Dreyer ein „Virtuose des verdichteten Prosa-Pop“ sei. Das ist Blödsinn. Sven-André Dreyer ist viel mehr:
Er ist ein Virtuose, seine Sprache ist verdichtet und reduziert, aber er hat viel zu viel Tiefe für Prosa-Pop.
Jedes Wort sitzt, jeder Satz dringt in dich ein. Und zwischen den Zeilen muss ich durchatmen und genießen. Dann lese ich weiter, verschlinge das Buch in einem Zug, um es am nächsten Tag ein zweites Mal zu lesen. Das passiert mir sonst nur bei außerordentlichen Lyrikbänden. Und eigentlich ist die Kurzprosa von Dreyer ja auch äußerst lyrisch.

Für die erste Geschichte („Wo du bist“) müsste ich vor Dreyer niederknien, aber das wäre dann doch überzogen.
Dreyer schreibt über Demenz eines Vaters. Und besser kann man das nicht schreiben – glaubt es mir, mein Vater litt an Demenz und ich bin tief ergriffen, über die Gänsehautverbreitende Schilderung von Dreyer.

Fast alle Geschichten handeln von Abschied und sind von Traurigkeit durchzogen. Trotzdem habe ich nach dem Lesen ein Lächeln im Gesicht.

„Wo du bist“ ist ein Meisterwerk. Und jetzt schon tief in meinem Herzen.

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