Ich kann normalerweise wenig mit Kurzgeschichten anfangen.
So kenne ich die Munro auch nur flüchtig aus einer Anthologie. Hemingway, der
hatte es drauf, ansonsten hat mich Klaus Märkert positiv überrascht und seine
Geschichte „Schlagt sie tot in den Wäldern“ ist mir äußerst lieb geworden.
Und natürlich Sven-André Dreyer.
Schon sein letzter Band „Die Luft anhalten bis zum Meer“
haute mich um: Was für eine sprachliche Meisterleistung! Was für lyrische
Prosa!
So war ich mehr als gespannt auf sein aktuelles Werk „Wo du
bist“ ( frisch erschienen bei michason&may). Und die Begeisterung steigt
nochmal.
Ja. So können Kurzgeschichten wirklich Nobelpreiswürdig
sein. Und hat die Munro eine ähnliche Klasse, dann hat sie den Preis verdient.
Die aktuelle deutsche Kurzgeschichtenszene (wenn es
überhaupt so was gibt) krankt ja an dem Lesebühnenfieber. Immer was Neues,
immer einen Lacher und kurzfristig das Publikum fesseln. Darunter leidet die
Tiefe.
Dreyer widersetzt sich dem und das ist löblich.
Er schreibt nicht für den direkten Beifall, mir erscheint
es, als würde er für die Ewigkeit schreiben.
Auf dem Rückumschlag des Buches steht, dass Dreyer ein „Virtuose
des verdichteten Prosa-Pop“ sei. Das ist Blödsinn. Sven-André Dreyer ist viel
mehr:
Er ist ein Virtuose, seine Sprache ist verdichtet und
reduziert, aber er hat viel zu viel Tiefe für Prosa-Pop.
Jedes Wort sitzt, jeder Satz dringt in dich ein. Und
zwischen den Zeilen muss ich durchatmen und genießen. Dann lese ich weiter,
verschlinge das Buch in einem Zug, um es am nächsten Tag ein zweites Mal zu
lesen. Das passiert mir sonst nur bei außerordentlichen Lyrikbänden. Und
eigentlich ist die Kurzprosa von Dreyer ja auch äußerst lyrisch.
Für die erste Geschichte („Wo du bist“) müsste ich vor
Dreyer niederknien, aber das wäre dann doch überzogen.
Dreyer schreibt über Demenz eines Vaters. Und besser kann
man das nicht schreiben – glaubt es mir, mein Vater litt an Demenz und ich bin
tief ergriffen, über die Gänsehautverbreitende Schilderung von Dreyer.
Fast alle Geschichten handeln von Abschied und sind von Traurigkeit
durchzogen. Trotzdem habe ich nach dem Lesen ein Lächeln im Gesicht.
„Wo du bist“ ist ein Meisterwerk. Und jetzt schon tief in
meinem Herzen.
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