Donnerstag, 1. August 2013

Aus meiner Zivi-Zeit:



Die Nummer auf dem Oberarm



Sie muss Mitte Siebzig gewesen sein
graue Haare, zum Knoten geflochten
Falten, Fett
aber schön.
Da war eine Wärme und Kraft
da war etwas Großmütterliches.
Keine Ahnung
aber
so eine Oma hätte ich gerne gehabt.

Ich war Anfang Zwanzig
und Zivildienstleistender.
Sollte ihre Küche und ihren Flur putzen
da machten ihre Knochen und Gelenke nicht mehr mit.
„Meine Putzjungens“ nannte sie uns Zivis vom MSHD
sie sagte das voller Zuneigung und Respekt
und bot mir erst mal einen Kaffee an.

Dankend setzte ich mich in ihre spartanische Küche.
Ihr könnt es mir glauben:
Ein Kaffee auf dem Kohleofen gekocht und warmgehalten
da könnt ihr eure Kaffeevollautomaten wegschmeißen!

Es war Sommer
und schweineheiß
und sie trug einen ärmellosen Kittel.
Sie war in ihrem Leben dreimal verheiratet gewesen
hatte sechs Kinder, elf Enkel und zwei Urenkel.
Trotzdem lebte sie alleine
schlug sich durch
und schien es zu genießen.
Ihre Ehen wurden vom Tod geschieden:
„Ich habe sie alle überlebt!“
Staublunge, Herzinfarkt, KZ.

Auf ihrem Oberarm war eine Nummer eintätowiert.
Sie bemerkte meinen Blick
und streichelte über ihre Tätowierung:
„Das ist mein Orden
 Einen anderen habe ich nie bekommen.“
Sie wurde damals als KPDlerin einkassiert
überlebte das KZ
und auch ihren Mann.
Das war alles
was sie dazu sagte
und ich fragte nicht nach.
„Es ist heiß. Ich will ärmellose Kittel tragen.“
Ein Blick auf ihren Arm
und dann – grinsend:
„Scheiß drauf, würdet ihr wohl sagen.“
Ich nickte.

Ich mochte diese alte Frau
und noch heute sehe ich diese Nummer vor meinen Augen.
Das ist für mich Mahnung und Aufforderung in Einem
und ein Tapferkeitszeichen aber
bestimmt kein Makel.

Sie bekam eine minimale Rente
und Unterstützung vom Amt
anstatt des Denkmals
das sie verdient gehabt hätte

Wie so viele andere.


1994, überarbeitet 08/2013

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