Montag, 26. August 2013

Ab jetzt fange ich bei 1 an



The Who und Bob Dylan über die Anlage. Stauder und Van Nelle Zware. Neben mir die Hündin und im Wohnzimmer Claudia.
Das Paradies auf Erden, ihr habt das schon öfters von mir zu lesen bekommen.

Wie so oft in diesem Jahr hatte (oder hat) mich der Krebs in seinen Zwängen.
Dauermüdigkeit und Beschwerden, die als Alarmsignale bei mir ankommen, mich zu gehassten Arztbesuchen zwingen.
Der HNO-Arzt heute (und Claudia immer neben mir, schließlich hat sie mich sanft zu dem Besuch gezwungen) war nett und hat mir ein Sorgenpaket abgenommen, zumindest kurzfristig.
Andererseits war er doof: Er sagte, ich hätte eine außergewöhnliche Nase (okay: hat er ja auch Recht mit…).
Jetzt könnte sich meine angsterfüllte und gelähmte Phase langsam lösen. Als Dokument dieses Gedichtfragment, ich hoffe, ich werde es nie fertig schreiben:

Das x-te Krebsgedicht


Diese unendliche Geschichte
vom endlichen Leben
Langsam sollte ich durchstarten
die Zeit wird knapp

Jedes Wiedersehen
beinhaltet den möglichen Abschied
für immer
Aber wer weiß das schon

Da sind Bücher
zu lesen und zu schreiben
Da warten noch unzählige Songs darauf
gehört zu werden
Ich habe
lange nicht mehr gemalt
oder meine Gitarren bespielt

Leben endet
immer
Das steht fest
Ich habe das Gefühl
ich sollte mich beeilen
Mit allem

Ach Freunde
Das ist Krebs:
Bei jedem Wehwechen
und bei jedem Arztbesuch
diese lähmende Angst vor Rezidiven
Und dann die Frage
ob ich meine Sorgen lieber für mich behalte
oder teile
Früher oder später kommt es dann doch immer raus

Ach Freunde
Auch das ist Krebs:
Ständige Müdigkeit
und fast alles ist zu viel
und dieses Sabbern kotzt mich an
auf Essen habe ich schon keinerlei Lust
Und dann das Wissen
dass Zigaretten, Bier und Koffein
nicht die beste Medizin sind
aber eben am besten schmecken

Irgendwie will ich nicht mehr
und kriege nicht die Kurve
Obwohl:
die habe ich in den sechs Jahren
immer wieder gekriegt
Also kein Grund zur Panik

2007 war das Jahr des Krebses
2009 war das Jahr des Mittelfingers für den Krebs
2010 wurde geheiratet
und alles war gut

2013 fickt mich
und der Krebs ist zurück
Klammheimlich steht er irgendwie hinter mir
und tritt mir andauernd in den Arsch
wahrscheinlich aus Rache für den Mittelfinger

Momentan ist es mir
beinahe scheißegal
und das sollte es nicht sein

                 
Claudia kommt an meinem Schreibtisch und umarmt mich. Eigentlich tritt sie mir auch in den Arsch und mahnt, ich solle nicht so viel rauchen. Außerdem sollte ich mal wieder was Lustiges schreiben, ihretwegen sogar über sie.
Ich halte mich ja zurück bei meiner Schreiberei über meine Frau. Sie hat es nicht leicht: Sie hat mich, sie hat Wechseljahresbeschwerden, ein kaputtes Bein und eine ausklingende Depression. Ich glaube, ich bin ihre schwerste Last, aber sie widerspricht mir da sofort.
Claudia ist voller Liebe, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft. Dafür liebe ich sie.
Manche Menschen machen sich gerade darüber lustig und nutzen sie aus. Das sind die Menschen, die ich wirklich hasse.
Jetzt sagt sie gerade, dass 2013 zwar Scheiße sei, ich aber nicht die guten Jahre davor vergessen sollte und einfach sagen solle, dass es wieder besser wird. Und würde ich von der Brücke springen, dann könne sie das nicht ertragen. Sie ist zwar Krankenschwester, aber bei Blut und Matsche müsse sie kotzen. Das will ich natürlich nicht!
Habe ich schon erwähnt, dass ich sie liebe?

Ich plane meine Geburtstagsfeier.
50. Das an sich ist schon ein Grund zu feiern. Und dass ich den Krebs und alle Statistiken besiegt habe auch. Zumindest vorerst.
Meine ehemalige Band wird spielen (auch wenn es weh tut, dass ich nur als Gast für n paar Minuten dazu stoße).
Ich hoffe, dass viele Freunde kommen werden, auch auswärtige. Und diese grandiosen Dichterkollegen (Flenter und Hard haben schon unter Vorbehalt zugesagt…). Mann! Das wird groß!
Ich wollte ja schreiben, dass ich das noch erleben will. Claudia überzeugt mich, dass ich schreiben solle, dass ich das erleben WERDE und danach ALLES GUT WIRD und wir gerade DIE ZUKUNFT FEIERN werden! Und sie hat Recht. Wie so oft.
Also gibt es Ende Dezember eine Feier auf die Zukunft. Und auf das Leben.
Und natürlich auf die Liebe.

Ab jetzt benutze ich meine Blogeinträge für ein neues Buch. Das habe ich mir gestern Nacht bei einer Zigarette in einer Schlafpause überlegt. Also werde ich chronologischer als bisher meinen Senf abgeben und versuchen, einen Zusammenhang bei den einzelnen Beiträgen herzustellen. Und irgendwann kommt das dann in Buchform (oder auch nicht, so ist das bei Ideen nun mal…).
Gestern Nacht plante ich das als Abgesang und Krebskampf, so wie Schlingensief das gemacht hat.
Heute plane ich das als Dokument eines müden, alten Mannes, der immer noch zornig und sentimental und romantisch ist und leben will.
Und leben wird!
So schnell kann sich das ändern…

Aber nebenbei (und hauptsächlich) muss ich erst mal meine Rock’n’Roll Notizen beenden. Und das ist massig Kram.
Und Gedichte will ich ja auch nicht vernachlässigen.
Und meine Freunde und Freundinnen will ich wieder verstärkt sehen. Es wird Zeit. Und ich weiß nicht, wie viel Zeit ich noch habe.
Das weiß kein Mensch und das ist okay so. Ich werde versuchen, nicht mehr in die Zukunft zu verschieben, sondern JETZT zu leben.
So.

Claudia kommt und bittet mich, ihren Rücken zu kratzen und nach Pickeln zu untersuchen.
Ich mag das. Sie auch. Obwohl da schon fast eine Manie raus geworden ist. Ihr Rücken ist meistens glatthäutig, trotzdem juckt er sie.
Und der Absatz über ihre Pickel wurde jetzt zensiert.

Leben:
Gestern dachte ich noch einen Abgang, jetzt denke ich an eine Wiedergeburt oder an eine Neuaufnahme des Kampfes gegen den Krebs, den ich ja eigentlich schon besiegt habe.
Und ich denke an meine Liebe.
Nicht mehr, wie ich sie am besten alleine lasse, sondern wie wir gemeinsam weiterhin das Leben meistern.
Und das bleibt und wird spannend.
Und wahrscheinlich werde ich euch dran teilhaben lassen.

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