Sonntag, 25. September 2016

Ich war ein schlechter Krankenpfleger:



(Folgendes ist nicht ausformuliert, sondern spontan runtergeschrieben.
Vielleicht glorifiziere ich mich ein bisschen, aber ich glaube so ähnlich war es wirklich:)


Ich war ein schlechter Krankenpfleger.
Im Nachhinein muss ich das so sagen, gerade, wenn ich die heutigen Verhältnisse in der Pflege berücksichtige, von denen ich lese, die ich teilweise noch live mitbekomme oder mir erzählen lasse.

Nach meiner Ausbildung wollte ich n halbes Jahr arbeitslos sein und danach in der Psychiatrie anfangen. Aber das Arbeitsamt drückte mir eine Stellenempfehlung zur ambulanten Pflege (die ich ausdrücklich abgelehnt hatte!) aufs Auge und ich musste mich bewerben.
Meine zukünftige Chefin hatte sich bei meiner ehemaligen Schulleiterin erkundigt und ich sollte Probearbeiten und hatte dann einen Job, den ich eigentlich gar nicht wollte.
Okay. Ich sagte mir, ich könne das ja n halbes Jahr machen. Und dann was anderes.
Ich blieb über sieben Jahre, bis mein Krebs nen Schlußstrich zog. Kurzfassung.

Ich war ein schlechter Krankenpfleger.
Ich war nie der Schnellste und ich machte Ärger.
Meine Chefin schüttelte oft den Kopf. Und sagte:
„Ich wusste sofort, dass ich mit dir keinen Indianer, sondern einen Häuptling eingekauft habe. Aber es muss auch Häuptlinge geben.“
Und dann stritten wir uns weiter.

Was ist wichtig in der ambulanten Pflege?
Du musst natürlich Autofahren können. Als Ex-Taxifahrer konnte ich das. Und musste jedes Mal im Winter die plattgefahrenen Reifen meiner Kolleginnen wechseln. (Immer wieder schleuderten die bei Eis an die Bordsteine.)
Du betrittst fremde Wohnungen und bist Gast. Also: Kaugummi aus dem Mund, Jacke ausziehen, Schuhe abklopfen und freundlich grüßen. Immer! So viel Zeit muss sein.
Benehmen ist nicht nur Glückssache, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Schnelles Treppensteigen und ein forsches Schrittempo sind dringenst zu empfehlen.
Telefonieren beim Autofahren möglichst vermeiden, zur Not aber auch akzeptieren. Nein: Pflegedienste bezahlen keine Freisprecheinrichtung.
Ja: Das Handy ist schweinewichtig!
Fachkompetenz sollte bei der Krankenpflege eh immer dazugehören.
In der ambulanten Pflege oft ein Gewissenskonflikt, da Hausärzte oft nicht immer auf Höhe der Pflege sind und nicht alle Ärzte an gemeinsamen Lösungen interessiert sind.
Die PatientInnen und ihre Angehörigen haben in der ambulanten Pflege immer Recht. Schließlich betrittst du ihre Privatsphäre. Ich persönlich fand das meistens okay. Und ließ ihnen ihren Willen. Es sei denn, es ging eindeutig in Richtung Selbstverletzung oder gefährliche Pflege.
Ganz wichtig: Egal was passiert – Keine Panik!
Immer ruhig bleiben! Tief durchatmen, weiter machen.

Nach nem halben Jahr hatte ich es drauf.
Und wurde zu einem schlechten Krankenpfleger:
Eine Insulinspritze konnte bei mir schon mal ne halbe Stunde dauern, wenn der/die PatientIn eindeutig schlecht drauf war. Manchmal ist ein Gespräch genauso wichtig, wie die Medikamentengabe. Und dann dauert das eben, auch wenn es nicht bezahlt wird.
Eine Ganzkörperpflege dauerte bei mir auch mal anderthalb Stunden. Wenn der/die Patientin förderbare Ressourcen hatte, dann förderte ich. Auch wenn ich die Ganzkörperwäsche in einer viertel Stunde im Bett hätte erledigen können.
Bei anderen PatientInnen dauerte die große Grundpflege dafür manchmal höchstens zehn Minuten: Wenn der/die Patientin unwillig war, oder unter starken Schmerzen litt unternahm ich nur die unvermeidbaren Schritte und ließ sie in Ruhe.
Nicht immer war es möglich, aber manche PatientInnen brauchten die gemeinsame Tasse Kaffee genauso wie die medizinische Versorgung.
Und ich hatte ein paar Patienten, da ging gar nichts, ohne anschließende gemeinsame Zigarette.
Nach anderthalb Jahren vertraute mir meine Chefin voll und ganz.
Und ich bekam immer mehr die schwierigen Fälle. Dafür aber ein großzügiges Zeitfenster.
Und dann übernahm ich irgendwann die Schülerausbildung. Ließ mich zum Praxisanleiter weiterbilden.
Und revolutionierte die Schülerarbeit, indem ich Vor- und Nachbereitungsgespräche als Arbeitszeit ansah und nicht nur zwischen den Einsätzen im Auto durchführte. Und darauf bestand, einmal im Monat ein obligatorisches Treffen mit allen Schülern durchzuführen. Egal, welche Einsätze oder Touren sie begleiteten. Da bestand ich drauf.
Und meine Chefin schüttelte den Kopf, stimmte aber zu.
Gespräche mit den KrankenpflegelehrerInnen und der Leiterin der Krankenpflegeschule waren für mich selbstverständlich.
Und auch selbstverständlich Arbeitszeit.
Ich war ein schlechter Krankenpfleger: Ich kostete auch Geld.
Andererseits brachte das uns aber auch ständig KrankenpflegeschülerInnen, die uns bei der Arbeit auch entlasteten und ein hohes Ansehen im Krankenhausverbund, dem wir angehörten.

Ich war ein schlechter Krankenpfleger. Bei medizinischen oder pflegerischen Fragen, die ich spontan nicht beantworten konnte, sagte ich den SchülerInnen oder Angehörigen oft, „Ich weiß nicht, aber ich mache mich schlau und sage es Dir/Ihnen dann.“ Normale Reaktion wäre gewesen, souverän darüber hinwegzugehen und irgendwas zu erzählen. Aber ich stellte fest, dass ich immer häufiger gefragt wurde. Und meine Antworten Gewicht erhielten.
Dafür musste ich oft noch einiges lesen oder nachforschen, auch wenn ich eigentlich schon längst Feierabend hatte.

Spätestens, als ich in die Mitarbeitervertretung (Betriebsrat der kirchlichen Arbeitgeber) gewählt wurde, wurde ich zum schlechten Krankenpfleger: Ich saß zwischen allen Stühlen und konnte es niemanden recht machen.
Ich sah die Notwendigkeit von Wirtschaftlichkeit ein, war aber strikt gegen Selbstausbeutung der Angestellten. Und ich ließ mich von meiner Chefin nicht vor dem Karren spannen, musste allerdings auch manchmal KollegInnen widersprechen, die ihre Beschwerden nur mir gegenüber aussprachen, im direkten Konflikt aber den Schwanz einzogen und mich dann da alleine stehen ließen (auch Frauen können da den Schwanz einziehen, wirklich!).

Ich war ein schlechter Krankenpfleger.
Und wurde immer zynischer, mein Humor immer schwärzer.
Natürlich nicht vor den PatientInnen, sondern nur im internen KollegInnenkreis. Und so richtig verstand mich nur meine Lieblingskollegin, mit der mir ein Verhältnis nachgesagt wurde.
Das hatten wir nie. Aber wir genossen beide das Gerücht und lachten uns schlapp.

Ich war ein schlechter Krankenpfleger: Es gab wahrhaftig ein paar PatientInnen, die ich duzte.
Grundsätzlich machte ich das nicht. Aber das waren die Ausnahmen, die darauf bestanden und ansonsten tierisch beleidigt gewesen wären.
Ich war ein schlechter Krankenpfleger:
Ich ließ mich sogar darauf ein, zweimal meine private Telefonnummer anzugeben.
Aber immerhin – nur zweimal!

Wo ich ein guter Krankenpfleger war:
Ich konnte zuhören. Und hatte Geduld. (Wenn auch Nahrung anreichen nicht unbedingt mein Lieblingsding war.)
Und ich hatte angeblich „heilende Hände“ (ist natürlich Blödsinn, haben aber drei PatientInnen wirklich behauptet), was aber nur daran lag, dass ich nicht nur wusch, sondern leicht körperanregend massierte. Was eigentlich immer dazu gehört.
Da ich Spritzen über alles hasse hatte ich einen Heidenrespekt davor. Und spritzte vorsichtig. Egal, ob sc (unter die Haut) oder im (Aua! in den Muskel).
Katheter- Trachealkanülen- und Stomataversorgung machte ich nie mit links, sondern immer sehr sorgfältig.
Weil ich diesen Scheiß hasste.

In meinem letzten Jahr war ich ein wirklich schlechter Krankenpfleger.
Ich war ausgebrannt und wurde (auch wenn ich es da noch nicht wusste) von meinem Krebs verzerrt.
Ich schleppte mich zur Arbeit und schleppte mich oft durch die Arbeit.
Manche PatientInnen oder Angehörige, die, zu denen ich ein persönliches Verhältnis aufgebaut hatte, machten sich Sorgen um mich.
„Hermann, Sie sehen schlecht aus! Spannen Sie mal aus!“, hörte ich in meiner letzten aktiven Zeit öfters.
Ich überhörte es.
Was ich im Nachhinein komisch finde: Meine KollegInnen oder meine Chefin sagten mir sowas nicht.

Dann ging es sehr schnell. Und plötzlich lag ich Krankenhaus und erwachte ohne Kiefer und mit Krebs und an Arbeit war nicht mehr zu denken.
Ich versuchte nochmal, in anderer Funktion zurückzukommen, aber es ging nicht.
Also schmiss ich hin (Ich Trottel: der oberste Chef sagte mir, ich solle bleiben und finanziell hätte ich besser dagestanden. Aber ich wollte einen sauberen Schnitt.).
Ich probierte dann nochmal, ob ich als Altentherapeut ins Arbeitsleben zurückkehren könnte, scheiterte da aber an mir und an dem System, das nun wirklich zum Kotzen ist. Aber dies ist ein anderes Thema.

Ich bin jetzt seit acht Jahren aus der Krankenpflege raus.
Erlebe sie nur noch, wenn ich mal wieder ins Krankenhaus muss.
Erlebe sie im Fernsehen und in Artikeln.
Ich wäre heute ein schlechter Krankenpfleger:
Mir würde es um die Menschen gehen.
Ich wäre wirtschaftlich nicht tragbar.





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen