Montag, 1. Oktober 2012

Zum Hochzeitstag



Meiner Frau gefiel dieses Gedicht, dass ich ihr zum heutigen Hochzeitstag schenkte. "Veröffentliche doch mal so was Schönes!" und nicht nur immer Gedichte über Scheiße!"
...
Ihr Wunsch sei mir Befehl: 

Eine Hochzeit

Mann, war ich nervös
So nervös war ich nicht
bei meinem Abitur,
nicht bei meiner Kriegsdienstverweigerung
(und damals mussten wir noch vor einen mündlichen Untersuchungsausschuss…),
nicht bei meiner Krankenpflegeprüfung
und auch nicht vor meiner Krebs-OP
(okay, da hatten sie mich unter Drogen gesetzt…)

Meine (in-zwei-Stunden-) Frau war an diesem Morgen
die schönste Frau der Welt
auch schon bevor sie mit Schminken fertig war
und Mann, das dauerte!
Sie war wahrscheinlich mindestens so nervös
wie ich

Wir stiegen in den VW-Beagle von Anne
schwarz, frisch poliert, mit wunderschönem Hochzeitsschmuck
und fuhren zum Standesamt
Thomas, mein Trauzeuge, hatte eine heftige Grippe
er hielt sich standhaft
Ulrike, Claudias Trauzeugin,
strahlte mit ihren Kindern um die Wette
Unsere Mütter waren sichtbar stolz
und dann füllten wir mit Freunden, Verwandten und Bekannten
das Standesamt
und sprengten das Trauzimmer

Wahrscheinlich waren wir eines der älteren Paare
das der Standesbeamte trauen durfte
(na ja – Mitte 40 finde ich völlig okay…)
aber wir waren mit Sicherheit
eines der glücklichsten und schönsten
Claudia hatte ein wunderschönes schwarzes Kleid an
mein teures Jackett passte hervorragend
zu meiner Jeans und meinen neuen Turnschuhen
und dem schwarzen Schal
und unser Strahlen war unschlagbar



Unsere Hände waren feucht
und ließen sich nicht voneinander lösen
unsere Blicke trafen sich andauernd und
die Umgebung nahmen wir kaum wahr
und wir küssten uns andauernd –
schon vor der offiziellen Erlaubnis des Standesbeamten

Und dann kam der Moment
wo wir JA sagten
und ich habe seitdem und vorher
selten so klar, deutlich und laut artikuliert
Und schwebte
als meine (in-einer-Sekunde-) Frau das Gleiche sagte

Zittriger Ringtausch, Unterschriften
Sekt und Glückwünsche entgegennehmen
und dann in unsere kuschelige Wohnung
zu Kaffee und Kuchen
im erweiterten engen Kreis
und dann durfte ich endlich
in Ruhe eine Zigarette rauchen
bevor es auch schon in die Kneipe weiterging

Die Kneipe gehörte dem ehemaligen Wirt
meiner ehemaligen Stammkneipe
Der Saal war riesig
und unsere über hundert Gäste füllten ihn gemütlich
Die Dinosaurier im Putz
und die schwarze Decke und die Sterne
passten für uns wie die Faust aufs Auge
und zwei Tage vorher hatten Claudia und Freunde
den Saal wunderschön geschmückt
und mein Patenkind
den Blumenschmuck für uns gemacht
und ich hatte mit meiner ehemaligen Band
die Bühne klargemacht und Thorsten kam extra aus Berlin
und machte den DJ
und es war genug und lecker zu Essen und zu Trinken da
und die Party konnte steigen





Claudia und ich rotierten
und rasten von einer Ecke zur anderen
und von einem lieben Gast zum nächsten
Das Buffet musste ohne uns geleert werden
Zum Glück gab es kaum Spielereien
und die Polterei und selbst das Schunkeln zu PUR
(ich gestehe!) nahmen wir
voller Rührung und Wärme entgegen
und dann
enterte Beggars Banquet (meine Ex-Band) die Bühne
und meine Freunde und ich spielten vier Lieder
für die Gäste und vor allem für Claudia
Ich sang das erste Mal seit vier Jahren
und es sollte für lange Zeit zum letzten Mal sein
und die Stimmung stieg spürbar
und dann begann der Tanz

Ein Fest ganz nach unserem Geschmack
mit Spießeranteil und massig Rock’n’Roll
und genügend Punk
aber vor allem massig Herz und
lauter strahlende Menschen
genau wie wir es uns gewünscht hatten:
Ein Fest voller Liebe und
ein Fest für die Liebe

Irgendwann in der Nacht oder am frühen Morgen
war es dann vorbei
aber die anschließende Hochzeitsnacht
mussten wir vertagen
Ich glaube
wilde Hochzeitsnächte sind eine Illusion nach wilden Feiern
und
das war so was von egal!
Wir haben sie noch oft nachgeholt









Unsere Liebe begann zwei Jahre vorher

Ich hatte meinen miesen fiesen Mundhöhlenkrebs hinter mir
war gescheitert
beim Versuch der Wiedereingliederung als Krankenpfleger
und
– um die Zeit bis zum drohenden HartzIV-Bezug zu verzögern -
wollte eine einjährige Weiterbildung zum Altentherapeuten machen
Noch völlig abgekämpft und als zahnloses Monster
wurde ich mal wieder Schüler
Claudia war Krankenschwester
und konnte aus gesundheitlichen Gründen (Knie)
nicht mehr stationär arbeiten
Wir trafen uns mit zwanzig anderen gescheiterten Existenzen
in Castrop-Rauxel beim IGW

So standen wir in den Pausen auf dem Schulhof
und ich rauchte so schnell wie ich konnte
eine Kippe nach der anderen
und beobachtete meine Mitschülerinnen
wie ich es gerade am Anfang
einer neuen Gemeinschaft immer gerne mache
und Claudia kam zu mir
und mir gefiel ihr schwarzes Outfit
und die roten Chucks
und ihre offene und herzliche Art
obwohl ich auch gerne für mich alleine geblieben wäre
Und so redeten wir und ich entdeckte Gemeinsamkeiten
und wurde neugierig

Zuerst hatte sie Mitleid mit mir
außerdem musste sie immer nah an mich rankommen
weil ich so schwer zu verstehen war
Und dann weckte ich wohl auch ihre Neugier
und mir wurden die Gespräche mit ihr immer lieber
und ich versuchte bei Gemeinschafts- oder Zweiergruppen
immer mit ihr zusammen zu kommen
Ohne Hintergedanken – ehrlich!






Mit Frauen hatte ich abgeschlossen
Ich war entstellt
hatte keine Zähne mehr
wog um die 50 Kilo
pennte andauernd ein
und war körperlich überhaupt nicht belastbar

Mir blieb die Erinnerung
und ich fand das ganz okay so
auch wenn ich eine tiefe Sehnsucht nicht verleugnen konnte

Claudia hatte auch ihre Erfahrungen gemacht
und war jetzt Single
und behauptete
damit zufrieden zu sein
Ich nahm es ihr nicht ab
widersprach von Anfang an
und sagte ihr
dass sie schon den Richtigen finden würde
(Ohne dabei im Geringsten an mich zu denken
und im Verdrängen meiner Trauer war ich eh ein Meister)
Einer Freundin hatte sie versprochen
in der Weiterbildung eh nichts mit einem Mann anzufangen
Außerdem:
da sind nur drei Männer im Kurs
und der einzig interessante ist schwerkrank
und n Zyniker

Ehrlich:
Ich lud sie zum New Model Army Konzert ein
um ihr eine Freude zu bereiten
und war entsetzt
als sie absagte
weil am gleichen Tag Unheilig spielte
Ehrlich:
Ich lud sie zu meinem Geburtstag ein
weil ich sie mochte
und mir eine Freundschaft vorstellen konnte
- da war nicht mehr
Und ich schenkte ihr meinen Gedichtband
damit sie mich vielleicht etwas näher kennenlernen könnte



In der Silvesternacht lief bei ihr einiges daneben
so saß sie nachts in ihrer Wohnung
während ein Freund besoffen und komatös
auf dem Sofa pennte
und meine Gedichte begleiteten sie in das neue Jahr

Zwei Tage später trafen wir uns bei mir zum Kaffee
und redeten und redeten
und blickten uns in die Augen
und ich sagte
„Mit Frauen
das habe ich mir abgeschminkt
Ohne Zähne und entstellt wäre das unrealistisch
außerdem weiß ich gar nicht
ob ich noch könnte“

Irgendwie landeten wir kurz darauf im Bett
und ich konnte doch noch
und es war der Himmel auf Erden
und wir kamen zusammen
damals ahnte ich noch nicht
dass es FÜR IMMER sein sollte


Unser erstes Jahr war eine Achterbahnfahrt
und immer wieder beendeten wir unsere Beziehung
und kamen wieder zusammen
weil die Liebe größer war

Claudia vermutete einen Machtkampf zwischen uns
aber den hatte ich nicht nötig
und nicht im Sinn
Ich war das Alleine-leben gewohnt
und verstand einfach nicht
dass ich mir meine Schwäche und Überlebensängste
eingestehen durfte
Irgendwie so
Achterbahnfahrt – stressig –
und das Vertragen war jedes Mal wunderbar

Entweder ganz
oder gar nicht
Das war dann irgendwann absolut klar
Und wenn
dann für immer
Ich machte ihr einen Hochzeitsantrag
und wir zogen zusammen
und verbündeten uns
gegen all den Mist in diesem schwierigen Leben

Und so standen wir dann im Standesamt
und waren das glücklichste Paar auf der Welt
(ich weiß
 das behaupten viele…)


Jetzt
zwei Jahre später

Wir hatten unzählige Hochs
und einige Tiefs
Leben
eines der schönsten
und mit Sicherheit eines der schwersten
Aber
wir haben uns noch immer
und werden uns immer haben
und haben damit
gewonnen

Um uns herum gehen viele Paare den Bach runter
oder arrangieren sich mit faulen Kompromissen
bei uns ist das anders
Und man kann es
in unserem gemeinsamen Umgang wahrnehmen
Wir gehören zusammen
mag da kommen
was will
 

Und dieses WIR
sollte alles sagen…


Claudia:
dies hier ist für Dich!
(Ich kann es ja nicht lassen
 vielleicht überarbeite ich es irgendwann
 und gebe es dann der Öffentlichkeit…)
Ich liebe Dich!



4 Kommentare:

  1. Hallo Hermann,
    ich bin schwer beeindruckt von der Kraft und Lyrik deiner Sprache! Das geht echt unter die Haut!
    Einen ganz lieben Gruß,
    Ecki aus Dortmund

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  2. Lästerschwester3. Oktober 2012 um 01:38

    Jemandem ein Liebesgedicht zu schreiben, ist ewiger als jede Tätowierung.

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  3. @Lästerschwester: Wow! Das ist ein wunderbarer Kommentar! Danke!
    @Ecki: Auch Dir herzlichsten Dank!

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  4. Hallo Herrmann,
    das ist ein ganz tolles Gedicht,
    Klasse in Aussage und Worten.
    Ihr könnt glücklich sein so zusammen.
    Und ich, nein wir wissen in etwa,
    wie besonders es sein kein, sich so
    spät und verworren dann doch noch
    gefunden zu haben.
    Wir wünschen Euch viel Glück und
    Gesundheit udn Zufriedenheit.

    Und vielelicht auf eine lange, schöne
    und allseits fröhliche Freundschaft.

    Uli und Brigitte

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