Meiner Frau gefiel dieses Gedicht, dass ich ihr zum heutigen Hochzeitstag schenkte. "Veröffentliche doch mal so was Schönes!" und nicht nur immer Gedichte über Scheiße!"
...
Ihr Wunsch sei mir Befehl:
Eine Hochzeit
Mann, war ich nervös
So nervös war ich nicht
bei meinem Abitur,
nicht bei meiner
Kriegsdienstverweigerung
(und damals mussten wir noch
vor einen mündlichen Untersuchungsausschuss…),
nicht bei meiner
Krankenpflegeprüfung
und auch nicht vor meiner
Krebs-OP
(okay, da hatten sie mich
unter Drogen gesetzt…)
Meine (in-zwei-Stunden-) Frau
war an diesem Morgen
die schönste Frau der Welt
auch schon bevor sie mit
Schminken fertig war
und Mann, das dauerte!
Sie war wahrscheinlich
mindestens so nervös
wie ich
Wir stiegen in den VW-Beagle
von Anne
schwarz, frisch poliert, mit
wunderschönem Hochzeitsschmuck
und fuhren zum Standesamt
Thomas, mein Trauzeuge, hatte
eine heftige Grippe
er hielt sich standhaft
Ulrike, Claudias Trauzeugin,
strahlte mit ihren Kindern um
die Wette
Unsere Mütter waren sichtbar
stolz
und dann füllten wir mit
Freunden, Verwandten und Bekannten
das Standesamt
und sprengten das Trauzimmer
Wahrscheinlich waren wir
eines der älteren Paare
das der Standesbeamte trauen
durfte
(na ja – Mitte 40 finde ich
völlig okay…)
aber wir waren mit Sicherheit
eines der glücklichsten und
schönsten
Claudia hatte ein
wunderschönes schwarzes Kleid an
mein teures Jackett passte
hervorragend
zu meiner Jeans und meinen
neuen Turnschuhen
und dem schwarzen Schal
und unser Strahlen war
unschlagbar
Unsere Hände waren feucht
und ließen sich nicht
voneinander lösen
unsere Blicke trafen sich
andauernd und
die Umgebung nahmen wir kaum
wahr
und wir küssten uns andauernd
–
schon vor der offiziellen
Erlaubnis des Standesbeamten
Und dann kam der Moment
wo wir JA sagten
und ich habe seitdem und
vorher
selten so klar, deutlich und
laut artikuliert
Und schwebte
als meine (in-einer-Sekunde-)
Frau das Gleiche sagte
Zittriger Ringtausch,
Unterschriften
Sekt und Glückwünsche
entgegennehmen
und dann in unsere kuschelige
Wohnung
zu Kaffee und Kuchen
im erweiterten engen Kreis
und dann durfte ich endlich
in Ruhe eine Zigarette
rauchen
bevor es auch schon in die
Kneipe weiterging
Die Kneipe gehörte dem
ehemaligen Wirt
meiner ehemaligen Stammkneipe
Der Saal war riesig
und unsere über hundert Gäste
füllten ihn gemütlich
Die Dinosaurier im Putz
und die schwarze Decke und
die Sterne
passten für uns wie die Faust
aufs Auge
und zwei Tage vorher hatten
Claudia und Freunde
den Saal wunderschön
geschmückt
und mein Patenkind
den Blumenschmuck für uns
gemacht
und ich hatte mit meiner
ehemaligen Band
die Bühne klargemacht und
Thorsten kam extra aus Berlin
und machte den DJ
und es war genug und lecker
zu Essen und zu Trinken da
und die Party konnte steigen
Claudia und ich rotierten
und rasten von einer Ecke zur
anderen
und von einem lieben Gast zum
nächsten
Das Buffet musste ohne uns
geleert werden
Zum Glück gab es kaum
Spielereien
und die Polterei und selbst
das Schunkeln zu PUR
(ich gestehe!) nahmen wir
voller Rührung und Wärme
entgegen
und dann
enterte Beggars Banquet
(meine Ex-Band) die Bühne
und meine Freunde und ich
spielten vier Lieder
für die Gäste und vor allem
für Claudia
Ich sang das erste Mal seit
vier Jahren
und es sollte für lange Zeit
zum letzten Mal sein
und die Stimmung stieg
spürbar
und dann begann der Tanz
Ein Fest ganz nach unserem
Geschmack
mit Spießeranteil und massig
Rock’n’Roll
und genügend Punk
aber vor allem massig Herz und
lauter strahlende Menschen
genau wie wir es uns
gewünscht hatten:
Ein Fest voller Liebe und
ein Fest für die Liebe
Irgendwann in der Nacht oder
am frühen Morgen
war es dann vorbei
aber die anschließende
Hochzeitsnacht
mussten wir vertagen
Ich glaube
wilde Hochzeitsnächte sind
eine Illusion nach wilden Feiern
und
das war so was von egal!
Wir haben sie noch oft
nachgeholt
Unsere Liebe begann zwei
Jahre vorher
Ich hatte meinen miesen fiesen
Mundhöhlenkrebs hinter mir
war gescheitert
beim Versuch der
Wiedereingliederung als Krankenpfleger
und
– um die Zeit bis zum
drohenden HartzIV-Bezug zu verzögern -
wollte eine einjährige
Weiterbildung zum Altentherapeuten machen
Noch völlig abgekämpft und
als zahnloses Monster
wurde ich mal wieder Schüler
Claudia war Krankenschwester
und konnte aus
gesundheitlichen Gründen (Knie)
nicht mehr stationär arbeiten
Wir trafen uns mit zwanzig
anderen gescheiterten Existenzen
in Castrop-Rauxel beim IGW
So standen wir in den Pausen
auf dem Schulhof
und ich rauchte so schnell
wie ich konnte
eine Kippe nach der anderen
und beobachtete meine
Mitschülerinnen
wie ich es gerade am Anfang
einer neuen Gemeinschaft
immer gerne mache
und Claudia kam zu mir
und mir gefiel ihr schwarzes
Outfit
und die roten Chucks
und ihre offene und herzliche
Art
obwohl ich auch gerne für
mich alleine geblieben wäre
Und so redeten wir und ich
entdeckte Gemeinsamkeiten
und wurde neugierig
Zuerst hatte sie Mitleid mit
mir
außerdem musste sie immer nah
an mich rankommen
weil ich so schwer zu verstehen
war
Und dann weckte ich wohl auch
ihre Neugier
und mir wurden die Gespräche
mit ihr immer lieber
und ich versuchte bei
Gemeinschafts- oder Zweiergruppen
immer mit ihr zusammen zu
kommen
Ohne Hintergedanken –
ehrlich!
Mit Frauen hatte ich abgeschlossen
Ich war entstellt
hatte keine Zähne mehr
wog um die 50 Kilo
pennte andauernd ein
und war körperlich überhaupt
nicht belastbar
Mir blieb die Erinnerung
und ich fand das ganz okay so
auch wenn ich eine tiefe
Sehnsucht nicht verleugnen konnte
Claudia hatte auch ihre
Erfahrungen gemacht
und war jetzt Single
und behauptete
damit zufrieden zu sein
Ich nahm es ihr nicht ab
widersprach von Anfang an
und sagte ihr
dass sie schon den Richtigen
finden würde
(Ohne dabei im Geringsten an
mich zu denken
und im Verdrängen meiner
Trauer war ich eh ein Meister)
Einer Freundin hatte sie
versprochen
in der Weiterbildung eh
nichts mit einem Mann anzufangen
Außerdem:
da sind nur drei Männer im
Kurs
und der einzig interessante
ist schwerkrank
und n Zyniker
Ehrlich:
Ich lud sie zum New Model
Army Konzert ein
um ihr eine Freude zu
bereiten
und war entsetzt
als sie absagte
weil am gleichen Tag Unheilig
spielte
Ehrlich:
Ich lud sie zu meinem
Geburtstag ein
weil ich sie mochte
und mir eine Freundschaft
vorstellen konnte
- da war nicht mehr
Und ich schenkte ihr meinen
Gedichtband
damit sie mich vielleicht
etwas näher kennenlernen könnte
In der Silvesternacht lief
bei ihr einiges daneben
so saß sie nachts in ihrer
Wohnung
während ein Freund besoffen
und komatös
auf dem Sofa pennte
und meine Gedichte
begleiteten sie in das neue Jahr
Zwei Tage später trafen wir
uns bei mir zum Kaffee
und redeten und redeten
und blickten uns in die Augen
und ich sagte
„Mit Frauen
das habe ich mir abgeschminkt
Ohne Zähne und entstellt wäre
das unrealistisch
außerdem weiß ich gar nicht
ob ich noch könnte“
Irgendwie landeten wir kurz
darauf im Bett
und ich konnte doch noch
und es war der Himmel auf
Erden
und wir kamen zusammen
damals ahnte ich noch nicht
dass es FÜR IMMER sein sollte
Unser erstes Jahr war eine
Achterbahnfahrt
und immer wieder beendeten
wir unsere Beziehung
und kamen wieder zusammen
weil die Liebe größer war
Claudia vermutete einen
Machtkampf zwischen uns
aber den hatte ich nicht
nötig
und nicht im Sinn
Ich war das Alleine-leben
gewohnt
und verstand einfach nicht
dass ich mir meine Schwäche
und Überlebensängste
eingestehen durfte
Irgendwie so
Achterbahnfahrt – stressig –
und das Vertragen war jedes
Mal wunderbar
Entweder ganz
oder gar nicht
Das war dann irgendwann absolut
klar
Und wenn
dann für immer
Ich machte ihr einen
Hochzeitsantrag
und wir zogen zusammen
und verbündeten uns
gegen all den Mist in diesem
schwierigen Leben
Und so standen wir dann im
Standesamt
und waren das glücklichste
Paar auf der Welt
(ich weiß
das behaupten viele…)
Jetzt
zwei Jahre später
Wir hatten unzählige Hochs
und einige Tiefs
Leben
eines der schönsten
und mit Sicherheit eines der
schwersten
Aber
wir haben uns noch immer
und werden uns immer haben
und haben damit
gewonnen
Um uns herum gehen viele
Paare den Bach runter
oder arrangieren sich mit
faulen Kompromissen
bei uns ist das anders
Und man kann es
in unserem gemeinsamen Umgang
wahrnehmen
Wir gehören zusammen
mag da kommen
was will
Und dieses WIR
sollte alles sagen…
Claudia:
dies hier ist für Dich!
(Ich kann es ja nicht lassen
vielleicht überarbeite ich es irgendwann
und gebe es dann der Öffentlichkeit…)
Ich liebe Dich!
Hallo Hermann,
AntwortenLöschenich bin schwer beeindruckt von der Kraft und Lyrik deiner Sprache! Das geht echt unter die Haut!
Einen ganz lieben Gruß,
Ecki aus Dortmund
Jemandem ein Liebesgedicht zu schreiben, ist ewiger als jede Tätowierung.
AntwortenLöschen@Lästerschwester: Wow! Das ist ein wunderbarer Kommentar! Danke!
AntwortenLöschen@Ecki: Auch Dir herzlichsten Dank!
Hallo Herrmann,
AntwortenLöschendas ist ein ganz tolles Gedicht,
Klasse in Aussage und Worten.
Ihr könnt glücklich sein so zusammen.
Und ich, nein wir wissen in etwa,
wie besonders es sein kein, sich so
spät und verworren dann doch noch
gefunden zu haben.
Wir wünschen Euch viel Glück und
Gesundheit udn Zufriedenheit.
Und vielelicht auf eine lange, schöne
und allseits fröhliche Freundschaft.
Uli und Brigitte