Mittwoch, 10. Oktober 2012

Wieder einmal das KRANKmachENdeHAUS



Schreiberlinge wollen alle nur das Eine: Schreiben.
Stimmt natürlich nicht ganz. Sie wollen gelesen werden, sie wollen Anerkennung, sie wollen als Menschen auch Liebe, Freiheit, Rausch und Glück.
Egal. Vorrangig will ich schreiben. Und da kommt mir verdammt nochmal zu viel dazwischen.

Heute kam wieder das KRANKmachENdeHAUS dazwischen.
Eigentlich Kinderkram: Routinemäßige Krebsnachsorge. Circa alle drei Monate wird mir das Maul aufgerissen und geguckt, ob sich ein neuer Tumor ankündigt. Bei einer Plattenepithelerkrankung in der Mundhöhle ist diese Untersuchung lebenslänglich insistiert. Ich mache das jetzt über fünf Jahre mit und habe im wahrsten Sinne des Wortes die Schnauze voll.

Also fahre ich auf den Parkplatz des Knappschaftskrankenhauses Bochum Langendreer. Damit bin ich schon privilegiert, nicht jeder Patient oder Besucher ist in der Lage selber zu fahren. Und muss dann die äußerst unerfreuliche Busfahrt oder ein teures Taxi in Kauf nehmen. Ich nicht.

Vor dem Krankenhaus die Raucher. Sie leiden am meisten, abgeschoben in einen kalten von Plexiglas umzäunten Pavillon beruhigen sie sich und versuchen sich mit ihrem Krankenhausschicksal abzufinden. Sie haben müde oder tote Augen, wie fast alle anderen Menschen in einem Krankenhaus auch.

Ich gehe zielstrebig auf die Kiefer- Mund und Gesichtschirurgie-Ambulanz zu, betrete die Anmeldung und zücke meine Krankenkassenkarte und die Überweisung. Das ist wichtig, ohne dem darf man nicht mal sein Begehren äußern. Ich kenne das, wurde ich im Laufe der Jahre doch auch schon mal wieder nach Hause geschickt, weil die Überweisung falsch ausgestellt war.
Dann gehe ich in den Warteflur. Der ist kalt und unfreundlich, noch nicht mal ein Garderobenständer oder Zeitschriften befinden sich dort und oft werden die Türen zu den Untersuchungsräumen einfach aufgelassen und alle Patienten bekommen das Leid der anderen mit.

Über fünf Jahre Krebsscheiße. Eigentlich habe ich alles erreicht, ich lebe immer noch!
Zu Beginn meiner Krebserkrankung hatte ich mir vorgenommen, meinen Roman zu beenden und Tom Waits live zu sehen. Beides hat sich erfüllt, der Roman wurde sogar veröffentlicht und löste viel positive Kritiken aus und für Tom Waits machte ich mich mit Kersten auf einen beschwerlichen Weg nach Paris.
Viel mehr noch, was ich mir nie hätte träumen lassen:
Ich habe meine Liebe gefunden, bin verheiratet und wir haben zusammen den besten Hund der Welt (auch wenn das alle Hundehalter von ihren Tieren behaupten…).
Jetzt wird es also Zeit für neue Ziele. Oder einfach nur fürs Genießen.
Gerade auf einem Krankenhausflur fällt es schwer zu genießen…

Warten, warten, warten.
Ein alter Mann im Rollstuhl wird auf dem Flur darüber aufgeklärt, dass er noch mal operiert werden muss. Seine hilflose Frau, die den Rollstuhl schiebt bekommt eine Wegbeschreibung zur Anästhesieabteilung, die sie unmöglich verstanden haben kann. Dann schieben die beiden ab.
Ich erinnere mich, wie oft ich hilf- und orientierungslos über all die Flure des Hauses geschlurft bin. Begleitung gab es nur am Anfang und natürlich während der Immobilität…

Ich frage mich, was ich hier eigentlich will oder soll!
Selbst wenn ein neuer Tumor entstehen sollte, diese Tortur würde ich kein zweites Mal auf mich nehmen! Ich bin im Bonusprogramm und das ist wunderschön! Und wenn noch etwas passieren sollte, dann passiert es eben! Dann nehme ich noch mit, was irgendwie mitzunehmen ist vom Leben, dann möchte ich möglichst schmerzarm sein und alles andere ist dann egal!
So viel Elend auf den Fluren…

Ich werde unerwartet schnell aufgerufen und darf das Behandlungszimmer betreten. Ich soll mich schon auf den Behandlungsstuhl setzen, bleibe aber auf der Kante sitzen, solche Stühle hatte ich schon zur Genüge!
Dann kommt der Oberarzt in den Raum, er geht zielstrebig zum Computer, an dem meine Akte liegt und in dem die Schwester schon meine Datei geöffnet hat. Immer noch mit dem Rücken zu mir:
„So sie sind also…“
Ich antworte:
„Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tag.“
Immerhin, er dreht sich zu mir um, blickt nochmal auf die Akte.
„Ach, Herr Borgerding. Setzen sie sich bitte ganz in den Stuhl.
Dann wieder die Akte. Wie immer hat auch dieser Arzt keinen Plan. Zu oft wechseln die behandelnden Ärzte in der Uni-Klinik.
„So. Es geht also um ihren Implantationsantrag…“
Ich will nur noch raus. So freundlich, wie möglich, weise ich ihn darauf hin, dass dieser mindestens vier Jahre zurückliegt und die Implantate schon lange in meinem Mund sind.
Er merkt meinen Unmut und wird etwas freundlicher. Überraschenderweise inspiziert er dann meine Mundhöhle ziemlich gründlich und sagt mir sogar, dass alles sehr gut aussieht.
Sehr gut?
Ich würde eher sagen, den Umständen entsprechend. Ich habe keine Lust und keine Kraft mehr, irgendwas zu meinen Beschwerden zu sagen. Ich weiß ja eh, dass diese chronisch sind und bleiben. Aber sein „Sehr gut“ kann er sich sonst wohin schmieren!

Dann habe ich es hinter mir und mache mit der Schwester die neuen Termine klar.

Ich nehme meinen Mut zusammen und besuche kurz die Station 17, auf der ich vor fünfeinhalb Jahren gelegen habe.
Mittlerweile gibt es kein Raucherzimmer mehr, dafür ist vor jedem Patientenzimmer ein Desinfektionsmittelspender installiert worden.
Die Bilder auf dem Flur wurden irgendwann ausgetauscht. Schade: bei meinen Gehübungen auf dem Flur hatte ich mich immer an dem Bild von Chaplin und dem Spruch „Jeder Tag ohne Lächeln ist ein verlorener Tag“ gefreut. Das finde ich nicht mehr.
Auf der Tafel des Personals sehe ich, dass beim Pflegepersonal scheinbar wenig Wechsel stattgefunden haben. Das finde ich gut. Ansonsten ist der Flur menschenleer und still.
Das Elend findet sich hinter den Türen, das weiß ich.

Ich verlasse das Krankenhaus. Stecke mir eine Zigarette an. Bin genervt, trotz zumindest vorläufig optimistischer weiterer Prognose.
Ich beschließe, den Tag am Schreibtisch bei ganz viel Musik zu verbringen und heute einfach mal auf alles zu scheißen. Außerdem habe ich nach dem Krankenhaus immer massig Bierdurst. Ich finde das nicht beängstigend, sondern all zu menschlich.
Und zu Hause warten meine Frau und unser Hund auf mich.
Das Leben ist schön!

Mein Roman braucht einen neuen Verlag, da der alte zum Ende des Jahres aufhört. Und Anfang nächsten Jahres erscheint ein neuer Gedichtband von mir.
In zwei Wochen fangen wir an, eine neue Wohnung zu renovieren und dann umzuziehen. Ich freu mich drauf! Irgendwie ein Neuanfang für alles Mögliche.

Und das KRANKmachENdeHAUS sieht mich erst im Januar wieder.


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