Donnerstag, 3. Mai 2012

Schwarze Gedanken zum Ersten Mai


Erster Mai.
Quatsch: mittlerweile schon der dritte Maitag. Manche Texte dauern etwas länger.

Ich höre Konstantin Wecker, n bisschen Wader, Slime und Heiter bis Wolkig, massig Rio Reiser und TonSteineScherben. Meine Revolutionstraummusik. Oder so.
Ansonsten scheint da nicht mehr viel vom Revolluzzertraum geblieben zu sein. Und auch nicht vom Arbeiterkampftag.

Erster Mai 2012. Das Ganze ist so unbedeutend wie Christi Himmelfahrt. Eben ein freier Tag. Und noch nicht mal ein Brückentag. Prost. Und tschüss.

Zum Beispiel die Gewerkschaften. Probiere mal als Aushilfskraft oder Zeitarbeiter oder Arbeitsloser in eine Gewerkschaft zu kommen! Gar nicht so einfach!
Und eigentlich sollten doch Gewerkschaften gerade für die am meisten ausgebeuteten Menschen da sein! Ja scheiße…

Zum Beispiel die Sozialdemokraten oder die Grünen – ach, lassen wir das!
Zum Beispiel die FDP des Internets, ich meine die Piraten… Forget it!

Die Zerstrittenheit der Linken hat Tradition, jetzt grenzt sich Occupy gegen jegliche Militanz ab. Ich bin auch nicht militant, aber ich finde, die militanten und autonomen Kräfte auszugrenzen ist der größte Fehler, den eine Bewegung machen kann. Dann bewegt sich nämlich gar nichts mehr.

Ich kann mich erinnern, damals in meiner Jugend sangen Cochise:

„Und was uns jetzt noch trennt
von dem was man Freiheit nennt
unsre Zerstrittenheit
die sind wir längst schon leid…“

Ja.
Ich hab keinen Bock auf Zerstrittenheit und Spalterei. Aber ich glaube, es ist heftiger, als je zuvor. Und irgendwie verliere ich die Hoffnung.

Gibt es eine fortschrittliche Zukunft? Ich befürchte nicht.
Und damit sehe ich dermaßen schwarz für überhaupt eine Zukunft, da ist das punkige No Future noch äußerst zuversichtlich gewesen!

Deutschland geht den Bach runter, auch wenn es als Vorbild für Europa gehandelt wird.
Niedriglöhne, Zeitarbeiten und kaum eine Familie, die mit einem Einkommen auskommt. Und während die Konten halbwegs funktionieren verkümmern die Seelen.
Und die Kids sprechen nicht mehr, sie verschicken SMS und kommunizieren ihre Belanglosigkeit über Facebook, da sieht niemand die Tränen und die Verzweiflung.
Und ich sitze am Computer und grabe mich in meine wohlfühlige Ehe ein. Das ist schön. Das habe ich mir verdient. Trotzdem werde ich mein schlechtes Gewissen und mein schlechtes Gefühl einfach nicht los. Ich werde in zehn Tagen wählen gehen (schließlich haben sich unsere Vorfahren für dieses Recht foltern und abschlachten lassen), obwohl ich weiß, dass Wahlen nicht wirklich was ändern. Und ich weiß, wo ich mein Kreuz mache.
Ob ich damit den jungen Menschen in Spanien, von denen mittlerweile jeder Zweite arbeitslos ist, helfe, bezweifele ich.
Nein – ich weiß – das ist nicht strukturiert, nicht klar analysiert, vielleicht zu platt und auf jeden Fall zu schwarzmalerisch. Trotzdem ist es leider wahr. Und leider nicht geil.

Eine Revolution ohne Lachen und Tanzen ist für mich von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Eine Zukunft ohne Liebe ist keine Zukunft.

Geld kann man nicht essen. Von HDTV wird kein Mensch satt.
Wärme ist in den seltensten Fällen eine Frage der Temperatur.
Was braucht der Mensch zum Menschsein?

Trotzdem haben die es noch nicht geschafft:
Ich weigere mich, die Hoffnung aufzugeben.
Ich tanke Kraft, Wärme und Liebe in den Armen meiner Frau, wenn sie von der Arbeit kommt.
Ich genieße das wachsende Grün und lasse mich von Wolf Biermann immer wieder bereitwillig ermutigen.
Ich schmelze dahin, wenn Jack White singt und Gitarre spielt. Ich warte sehnsüchtig auf die neuen Platten von Patti Smith und Neil Young und Crazy Horse.
Ich werde mit Claudia im August an die Algarve fahren und ich sehe im Sommer endlich Placebo live.

Ich bin bei meinen Freunden und Freundinnen und ihren privaten Problemen und Fesseln. Ich will ihnen Kraft geben, aber ich finde momentan für mich selber kaum Kraft genug. Vielleicht spüren sie ja wenigstens ein bisschen, dass ich in Gedanken bei ihnen bin.

Ich nicke zu den Worten von Ron Hard, Ingvar Ambjörnsen, Sven-Andre Dreyer, Kersten Flenter und Klaus Märkert und freue mich, demnächst endlich wieder einen neuen Gedichtband von Urs Böke in den Händen zu halten (Hau rein, alter Essener!).

Gibt es die Frühjahrsmüdigkeit?
Gibt es den Revoluzzer-Blues?
Ich kämpfe mit meinen depressiven Anfällen, versuche eine wirkliche Depression zu vermeiden. Schreibe ein Gedicht über diesen Kram:

Paint it black – oder:
Warum sollte ich schwarz malen wenn eh schon alles duster ist?

Vielleicht ein Gruselkabinett und eine Geisterbahn
und ich bin der Kinderschreck
der aus einer dunklen Ecke guckt
und keinen Spaß mehr daran hat
die Menschen zu erschrecken

Vielleicht ein kleiner Wanderzirkus
und ich bin der Clown
der beim Abschminken vor dem Spiegel feststellt
dass sich die Schminke ins Gesicht gebrannt hat
und nicht mal durch die Tränen zerfließt

Vielleicht eine manisch-depressive Achterbahn
und ich bin gerade
auf der Fahrt bergab

Vielleicht dieses Land oder diese Stadt oder der VfL
den ich eigentlich nicht mehr erwähnen wollte
Draußen wird es Frühling
und mir scheint
das sollte mir was sagen
Aber ich
sage zu allem
Scheißegal
und weiß
dass es das nicht ist

Vielleicht eine Midlife-Crisis
aber eigentlich hatte ich mir die
um meinen 30ten Geburtstag genommen
und der ist ein paar Jahre und Katastrophen her

Vielleicht die globale Weltlage
oder all diese Idioten
die sich so toll finden
und alles noch viel schlimmer machen
und einfach mal ihre Schnauze halten sollten
wenn sie keine Ahnung haben

Vielleicht
sollte ich das jetzt auch tun


Ach Mensch! Ich weiß doch auch nicht!
Tut mit den Gefallen und habt Euch lieb!
Und glaubt an Euch, wenn es schon kein anderer tut!
Den Mächtigen sind wir scheißegal.
Dann sollten uns auch die Mächtigen mal am Arsch lecken können!

Ich glaub, dass ist jetzt der richtige Moment, um meine düsteren Erster-Mai-Gedanken zu beenden…










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