Das kostenlose LiteraturZine der
Edition PaperONE
Ausgabe 5, April 2012
Sonderausgabe Nummer 2:
Hermann Borgerding
Ein Interview
Nachdem das zweite Buch zum Thema Krebserkrankung mit
Hermann Borgerding in der Edition PaperONE erschienen ist, nahm Hauke von Grimm
Kontakt zu ihm auf und fand einen lebensbejahenden Herren mit schelmischem
Blick in die Zukunft auf.
Hallo Herr Borgerding,
wie geht es Ihnen?
Danke, gut. Klar, das ist ‚ne Standardantwort und
Höflichkeitsfloskel, aber bei mir stimmt es: Es geht mir wirklich sehr gut! Meine
Krebsoperation ist mittlerweile fünf Jahre her, damals hätte keiner darauf
gesetzt, dass ich überhaupt so lange lebe. Ich bezeichne mich mittlerweile als
dauerhaft tumorfrei und damit vom Krebs geheilt, auch wenn man das bei
Mundhöhlenkrebs eigentlich nie sagen kann. Doch ich brauche so gut wie keine
Schmerzmittel mehr und schaffe konstitutionell und konditionell verdammt viel.
Mittlerweile bin ich mit meiner großen Liebe verheiratet, und das hätte ich
früher kategorisch für mich ausgeschlossen und nach den Entstellungen und
Behinderungen durch den Krebs als absolut illusorisch angesehen. Mit meiner
persönlichen Therapiehündin haben wir ein richtig schönes, idyllisches
Kleinfamilienglück. Dazu dann noch meine Freunde und Freundinnen, gute Bücher
und gute Musik: Das Leben ist schön!
Zu meinen zwei Büchern, die ich letztes Jahr bei der Edition
PaperONE veröffentlicht habe,
und zu meinem
Blog bekomme ich viele
aufmunternde Kommentare, die
mich bestärken, in dieser Richtung weiter zu machen. Das gibt
Kraft. Lesungen strengen zwar tierisch
an, machen aber
auch ziemlich viel Spaß
und auch da
ist das Feedback
größtenteils positiv. Klar, ich
sabbere und meine Artikulation ist ziemlich hinüber. Klar, ich bin entstellt.
Klar, ich werde schnell müde und bin körperlich schnell an meinen Grenzen
angelangt. Trotzdem: Es geht mir gut!
Sie merken, ich fange an zu schwafeln. Lassen Sie uns weiter
machen…
Sie bezeichnen sich
selbst als Dichter, Schreiberling, Mensch. In der Reihenfolge? Was bedeutet
jeder einzelne dieser Begriffe bzw. Bezeichnungen für Sie?
Die Reihenfolge ist okay, wobei ich es eigentlich anders rum
stellen müsste: Mensch bin ich, definitv auch Schreiberling und Dichter wäre ich
gerne.
Was bedeutet „Mensch“
für mich? Menschsein
ist für mich auf
alle Fälle Leben
als soziales Wesen.
Das bedeutet für mich erst mal die bewusste und
reflektierte Entscheidung für Solidarität, für Liebe und auch für Wut.
Menschsein ist für mich das Wissen von einer Seele oder Kräften, die wir eben
nicht definieren können, die
aber trotzdem da
sind. Menschsein ist für mich auch das Eingeständnis von
Trauer und Verletzbarkeit. Vielleicht ist es das Zusammenspiel von Bewusstsein,
Intellekt, Seele und Gefühl. Keine Ahnung. Wenn ich da ‚ne perfekte Antwort
haben wüsste, dann wäre ich Philosoph und wahrscheinlich berühmt.
„Schreiberling“ ist klar: Ich blogge regelmäßig, ich
veröffentliche Lyrik und Prosa, ich schreibe seit meiner Schulzeit regelmäßig
und habe
die wirre Idee,
damit etwas mitteilen
zu können. Wenn ich
gesundheitlich fitter bin, habe ich vor, neben meinen schriftstellerischen
Tätigkeiten verstärkt in die Lohnschreiberei zu gehen. Hauptsächlich denke ich
an Biographiearbeit, wobei mir da auch meine Ausbildung zum Altentherapeuten
zugutekommt. Vielleicht auch als
zeilenhonorarfreier
Mitarbeiter für Verlage oder Zeitschriften, was ziemlich
schwer zu managen ist, im Krankenpflegebereich aber durchaus möglich. Alles
Mögliche, aber hauptsächlich eben meine persönliche und eigene Schreiberei.
Damit werde ich weiter nerven.
Dichter wäre ich gerne. Ob ich das vielleicht schon bin,
müssen andere beurteilen. Manchmal denke ich, dass ich das zumindest in
Ansätzen geschafft habe. Dichter können Worte zum Tanzen bringen. Dichter
können Gefühle und
Gedanken in Worte packen, die den Leser berühren.
Dichter, das heißt, Rhythmus und
Beat der Worte
rüberbringen zu können.
Wondratschek und Wecker – Ohja, für mich ist Konstantin Wecker einer der
besten deutschen Dichter! - können das. Bukowski, Kästner, Tucholsky und
Hölderlin konnten das. Im belletristischen und prosaischen Bereich
fallen mir hauptsächlich
Amerikaner ein: Tom Robbins, Matt
Ruff, John Steinbeck. Ich will Dichter werden. Ich erinnere mich an zwei Sätze,
die mich wachsen ließen. Urs Böke, einer meiner Lieblingsdichter, obwohl er aus
Essen kommt, schrieb in einer Rezension, ich wäre einer der menschlichsten
Dichter des Undergrounds. Wow! Danke, Urs! Und H.P. Daniels, ein Berliner
Musikkritiker und Schreiber, sagte mir nach einer Lesung, dass man trotz meiner
Behinderungen den Rhythmus und den Sound meiner Gedichte fühlen könne. Danach
kriegte ich für zwei Tage das Grinsen nicht mehr aus meinem Gesicht.
Mir war
immer so als
wären Philosophen Leute,
die anderen ihre eigenen Gedanken
und Vorstellungen der Welt und der Dinge mitteilen und Dichter könnten das nur
etwas besser verpacken. Ihr Bild von den tanzenden Worten gefällt mir auch sehr
gut, es passt zu einem Bild, das ich gern benutze. Es ist das Spielen mit
Worten. Spielen im ursprünglich kindlichen Sinn, sprich ergründen, begreifen, neu
formen. Spielen Sie noch?
(lacht) Nur wenn ich gewinnen kann. Ja, ich bin ein Zocker
und spiele gerne. Fußball spiele ich allerdings gar nicht mehr, weil mir da die
Kraft und Ausdauer fehlt und mich sogar ein zehnjähriges Kind in Grund und
Boden spielen würde. Ich bin sehr neugierig, offen für alles Mögliche und
irgendwie wie jeder vernünftige Mann ein Kind geblieben. Und das will ich mir
auch nicht nehmen lassen. Spielen ist ja eine kreative Tätigkeit.
Überhaupt – vielleicht sollte man das ganze Leben als Spiel
ansehen.
Aber Ihre Frage zielte wohl in eine andere Richtung.
Natürlich spiele ich auch beim Schreiben. In dem Sinne, dass ich ausprobiere,
Neues versuche und dabei, wie Sie schon sagten, auch Neues forme. Das hoffe ich
zumindest. Und ich bin sicher, dass ich dabei ebenfalls gewinne. Und sei es nur
an Erfahrung.
Ich bin da eher konventionell, mein Spiel unterwerfe ich
Regeln
– nicht ohne manchmal zu mogeln, was ja auch zum Spiel
dazugehören kann. Ansonsten spiele ich mit jeder möglichen Form der Literatur
und probiere sie für mich aus. Kann ich nur empfehlen, macht Spaß. Ist aber
größtenteils nur für meine private Schublade auf der Festplatte geeignet.
Die Titel und die
Aufmachung Ihrer Bücher hat mich anfangs etwas erschreckt und auf Distanz gehen
lassen. Es entsteht der Eindruck, dass Sie den Leser einladen, den harten Weg
einer oft tödlichen Krankheit mit Ihnen zu gehen. Beim Lesen habe ich bemerkt,
dass es weniger Texte gegen den Krebs oder den Tod sind als Texte für das Leben
und vor allem für die Liebe. Hätte man bei der Wahl des Titels bzw. dem Artwork
nicht darauf eingehen können?
Stimmt. Diese Kritik habe ich auch schon öfter gehört. Aber
ich lade den Leser ja auch ein, den harten Weg einer Krankheit mit mir
mitzugehen. Dazu gehört massig Scheiße, dazu gehört aber vor allem auch ein
dickes „Ja“ zum Leben und ein dickes „Ja“ zur Liebe! Ich provoziere ganz gerne.
Und die Titel und die Aufmachung sind eben erst mal auch 'ne Provokation. Ich
zeige bewusst am Anfang die hässliche Seite. Schon bei den Kladdentexten wird
dann deutlich, dass es nicht nur um Krankheit oder negative Gefühle geht. Wer
dann bereit ist, sich darauf einzulassen, wird sozusagen mit Texten für das
Leben und für die Liebe belohnt.
Titel und Artwork können dabei immer nur einen Teil
ausdrücken. Und da bevorzuge ich den Holzhammer statt des Wattebäuschchens. Und
gerade das Bild von „Ausgehöhlt“ bedeutet mir viel, zeigt es doch besser als
viele meiner Worte meine Gefühle und Ängste während der ersten Zeit der
Krankheit.
Das dicke „Ja“ zum
Leben, sehr gut, vielleicht der Titel Ihres nächsten Buches? Woran schreiben
Sie zurzeit?
Wäre kein schlechter Titel.
Eines meiner
momentanen Projekte hat den
Arbeitstitel „Aufgefüllt“ und
ist sozusagen die Fortsetzung von
„Ausgehöhlt“. Darin beschreibe ich die nächsten vier Jahre meiner
Krebserkrankung, beziehungsweise Genesung.
Natürlich werden darin
die Liebe und
die Musik die Hauptrollen
spielen. Und das
Leben mit Behinderungen. Und wie
immer bei mir
auch das dicke
„Ja“ zum Leben. Keine Ahnung, wann ich das fertig
kriege. Ich bin noch an einem weiteren langen Prosatext. Diesmal eine rein
fiktive Sache. Krebs oder Krankheiten tauchen darin nicht auf. Aber das dürfte
mein frühestens übernächstes Buch werden.
Und natürlich arbeite ich immer an Gedichten und meinem
Blog, der mir immer mehr ans Herz wächst. Und neuerdings auch an Rezensionen.
Das Internet ist da schon ‚ne spannende Sache. Und dient natürlich auch dafür,
sich zu zeigen und zu verkaufen.
Sie sind ja auch in
Internet sehr aktiv, und vor Kurzem las ich in einem Ihrer Kommentare, dass Sie
das Wort „rumkrebsen“ benutzten. Darf man „rumkrebsen“ noch sagen?
ICH darf das. Ich finde außerdem, man soll dürfen, was man
will. Und hat doch auch ‚ne Form von besonderem Humor, oder?
Auf jeden Fall.
Künstler werden ja oft gefragt, ob man über das Böse lachen bzw. ob man es
lächerlich machen darf und meistens ist die Antwort dann „Ja“. Über was kann
Hermann Borgerding noch lachen?
Hm. Lachen aus dem tiefsten Inneren? Oder eher
sarkastisches, fieses Lachen? Von wem ist nochmal der Revolutions-Sponti-
Slogan „Ein Lachen
wird es sein,
dass sie besiegen
wird!“? Finde ich klasse.
Und ich liebe
die Rolle der
Hofnarren. Ich lache gerne und mittlerweile auch wieder viel. Über alles
Mögliche. Ich liebe tiefsinnige Satiren. Ich hab aber auch nichts gegen so
richtig fiese Witze, bei denen einem eigentlich das Lachen im Halse stecken
bleiben sollte. Ich lache selten über Minderheiten. Rassismus
und dieser chauvinistische Sexismus sind mir zu platt. Deshalb habe ich
auch mit den modernen sogenannten Comedians meine Probleme: Pure Schadenfreude
und Niedermacherei der Anderen finde ich selten lustig.
Was gibt Ihnen noch
Kraft und lässt Sie weiter positiv nach vorn sehen?
Was zählt ist Liebe, Musik und Poesie. Vielleicht noch die
Seifenblasen und Utopien, die man im Kopf hat, die einen weiter antreiben. Bei
mir ist das wohl ein diffuser Gefühlsanarchismus. Das sind die Triebfedern,
alles andere kommt dann von selbst.
Musik ist ein gutes
Stichwort, machen Sie selbst noch Musik?
Leider nein. Ich habe früher Gitarre gespielt und gesungen.
Singen geht gar nicht mehr wegen meines Mundes, deswegen frustriert mich auch
das Gitarrenspiel. Außerdem habe ich im linken Handgelenk, aus dem mein neuer
Gaumen gebastelt wurde, keine Kraft mehr, weswegen es nach ‚ner viertel Stunde
wehtut. So bin ich passiver Musiker geworden: Ich konsumiere und mache mir
meine Musik in meinem Kopf.
Und wie heißen die
fünf Musiker, die auf der einsamen Insel jeden Tag für Sie spielen müssten?
Am Schlagzeug Keith Moon und Ginger Baker, am Bass eindeutig
John Entwistle, die Gitarren Keith Richards und John Frusciante und als Gesang
ein Chor aus Herman Brood, Leonard Cohen, Tom Waits und Rio Reiser. Ich weiß,
das sind mehr als fünf ... Aber das wäre doch geil!
Es wäre sicher
interessant, obwohl man dann nicht mehr von der einsamen Insel sprechen könnte.
Was wird dann dort an Speis und Trank gereicht und wer darf servieren?
Alles. Und noch viel mehr. Für mich hauptsächlich Kaffee und
Tabak. Und mittlerweile wieder ab und zu ein gepflegtes Pils. Und meine
spezielle Bananen-Erdbeer-Milch. Die
mixe ich mit Vanilleeis,
Ahornsirup, Eigelb, Milch und Sahne. Absolute Kalorienbombe und
Essensersatz. Außerdem Nudelspeisen mit viel Butter in der Soße,
damit es ordentlich die Speiseröhre runterrutscht.
Servieren? Ist mir zu steif, habe ich keinen Bock drauf.
Servieren soll jeder selbst. Aber wenn ich ‚n bisschen mogle, dann nehme ich
als Servierkräfte Janis Joplin, Amy Winehouse, Patti Smith, Lucinda Williams
und Marianne Faithful. Die würden dann die Background-Hühner bei der Band
machen. Hey! Jetzt werde ich zum Schluss doch noch sexistisch…
Es sei Ihnen von
Herzen gegönnt. Ich bedanke mich für die Antworten und Anregungen und wünsche
weiterhin Spaß am und im Leben und das ihnen weiterhin Kraft, Lust und Zeit
bleiben, Ihre Träume zu verwirklichen.
Hauke von Grimm
Respekt, über Ihre Einstellung zum Leben, der Liebe, zu Krankheit und Leid. Auch Ihre Worte bezüglich des Dichtens finde ich hervorragend!Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg, Gesundheit, Kraft, was auch immer Sie noch vorhaben. Herzliche Grüße aus Bayern. Teresa Ruebli
AntwortenLöschenWenn ich jetzt ein Messer zur Hand hätte, würde ich mir ein großes Stück Deiner Lebensfreude abschneiden...habe ich aber nicht und somit bleibt mir wieder nur mein alter Hut, den ich vor Dir ziehe Hermann. Falls es mit der Insel klappen sollte, schick mir mal ne Einladungskarte....wünsch Dir alles was gut tut und schicke an der Stelle auch Grüße an PaperOne, Rodrigo Riedrich,Leipzig
AntwortenLöschenEine schöne Predigt, wirklich wahr, ohne Hohn. Ich ernenne dich zum neuen Botschafter für Liebe, Musik und Poesie.
AntwortenLöschenVielen Dank für Eure lieben und aufbauenden Kommentare!
AntwortenLöschenSo macht das Spaß!