Samstag, 21. April 2012

Ein Interview mit mir:





Das kostenlose LiteraturZine der
Edition PaperONE
Ausgabe 5, April 2012
Sonderausgabe Nummer 2:
Hermann Borgerding
Ein Interview

Nachdem das zweite Buch zum Thema Krebserkrankung mit Hermann Borgerding in der Edition PaperONE erschienen ist, nahm Hauke von Grimm Kontakt zu ihm auf und fand einen lebensbejahenden Herren mit schelmischem Blick in die Zukunft auf.


Hallo Herr Borgerding, wie geht es Ihnen?
Danke, gut. Klar, das ist ‚ne Standardantwort und Höflichkeitsfloskel, aber bei mir stimmt es: Es geht mir wirklich sehr gut! Meine Krebsoperation ist mittlerweile fünf Jahre her, damals hätte keiner darauf gesetzt, dass ich überhaupt so lange lebe. Ich bezeichne mich mittlerweile als dauerhaft tumorfrei und damit vom Krebs geheilt, auch wenn man das bei Mundhöhlenkrebs eigentlich nie sagen kann. Doch ich brauche so gut wie keine Schmerzmittel mehr und schaffe konstitutionell und konditionell verdammt viel. Mittlerweile bin ich mit meiner großen Liebe verheiratet, und das hätte ich früher kategorisch für mich ausgeschlossen und nach den Entstellungen und Behinderungen durch den Krebs als absolut illusorisch angesehen. Mit meiner persönlichen Therapiehündin haben wir ein richtig schönes, idyllisches Kleinfamilienglück. Dazu dann noch meine Freunde und Freundinnen, gute Bücher und gute Musik: Das Leben ist schön!
Zu meinen zwei Büchern, die ich letztes Jahr bei der Edition PaperONE  veröffentlicht  habe,  und  zu  meinem  Blog  bekomme ich  viele  aufmunternde  Kommentare,  die  mich  bestärken,  in dieser Richtung weiter zu machen. Das gibt Kraft. Lesungen strengen  zwar  tierisch  an,  machen  aber  auch  ziemlich  viel Spaß   und   auch   da   ist   das   Feedback   größtenteils   positiv. Klar, ich sabbere und meine Artikulation ist ziemlich hinüber. Klar, ich bin entstellt. Klar, ich werde schnell müde und bin körperlich schnell an meinen Grenzen angelangt. Trotzdem: Es geht mir gut!
Sie merken, ich fange an zu schwafeln. Lassen Sie uns weiter machen…

Sie bezeichnen sich selbst als Dichter, Schreiberling, Mensch. In der Reihenfolge? Was bedeutet jeder einzelne dieser Begriffe bzw. Bezeichnungen für Sie?


Die Reihenfolge ist okay, wobei ich es eigentlich anders rum stellen müsste: Mensch bin ich, definitv auch Schreiberling und Dichter wäre ich gerne.
Was  bedeutet  „Mensch“  für  mich?  Menschsein  ist  für  mich auf  alle  Fälle  Leben  als  soziales  Wesen.  Das  bedeutet  für mich erst mal die bewusste und reflektierte Entscheidung für Solidarität, für Liebe und auch für Wut. Menschsein ist für mich das Wissen von einer Seele oder Kräften, die wir eben nicht definieren  können,  die  aber  trotzdem  da  sind.  Menschsein  ist für mich auch das Eingeständnis von Trauer und Verletzbarkeit. Vielleicht ist es das Zusammenspiel von Bewusstsein, Intellekt, Seele und Gefühl. Keine Ahnung. Wenn ich da ‚ne perfekte Antwort haben wüsste, dann wäre ich Philosoph und wahrscheinlich berühmt.
„Schreiberling“ ist klar: Ich blogge regelmäßig, ich veröffentliche Lyrik und Prosa, ich schreibe seit meiner Schulzeit regelmäßig und  habe  die  wirre  Idee,  damit  etwas  mitteilen  zu  können. Wenn ich gesundheitlich fitter bin, habe ich vor, neben meinen schriftstellerischen Tätigkeiten verstärkt in die Lohnschreiberei zu gehen. Hauptsächlich denke ich an Biographiearbeit, wobei mir da auch meine Ausbildung zum Altentherapeuten zugutekommt. Vielleicht  auch  als  zeilenhonorarfreier  Mitarbeiter  für  Verlage oder Zeitschriften, was ziemlich schwer zu managen ist, im Krankenpflegebereich aber durchaus möglich. Alles Mögliche, aber hauptsächlich eben meine persönliche und eigene Schreiberei. Damit werde ich weiter nerven.
Dichter wäre ich gerne. Ob ich das vielleicht schon bin, müssen andere beurteilen. Manchmal denke ich, dass ich das zumindest in Ansätzen geschafft habe. Dichter können Worte zum Tanzen bringen.   Dichter   können   Gefühle   und   Gedanken   in   Worte packen, die den Leser berühren. Dichter, das heißt, Rhythmus und  Beat  der  Worte  rüberbringen  zu  können.  Wondratschek und Wecker – Ohja, für mich ist Konstantin Wecker einer der besten deutschen Dichter! - können das. Bukowski, Kästner, Tucholsky und Hölderlin konnten das. Im belletristischen und prosaischen  Bereich  fallen  mir  hauptsächlich  Amerikaner  ein: Tom Robbins, Matt Ruff, John Steinbeck. Ich will Dichter werden. Ich erinnere mich an zwei Sätze, die mich wachsen ließen. Urs Böke, einer meiner Lieblingsdichter, obwohl er aus Essen kommt, schrieb in einer Rezension, ich wäre einer der menschlichsten Dichter des Undergrounds. Wow! Danke, Urs! Und H.P. Daniels, ein Berliner Musikkritiker und Schreiber, sagte mir nach einer Lesung, dass man trotz meiner Behinderungen den Rhythmus und den Sound meiner Gedichte fühlen könne. Danach kriegte ich für zwei Tage das Grinsen nicht mehr aus meinem Gesicht.


Mir  war  immer  so  als  wären  Philosophen  Leute,  die  anderen ihre eigenen Gedanken und Vorstellungen der Welt und der Dinge mitteilen und Dichter könnten das nur etwas besser verpacken. Ihr Bild von den tanzenden Worten gefällt mir auch sehr gut, es passt zu einem Bild, das ich gern benutze. Es ist das Spielen mit Worten. Spielen im ursprünglich kindlichen Sinn, sprich ergründen, begreifen, neu formen. Spielen Sie noch?

(lacht) Nur wenn ich gewinnen kann. Ja, ich bin ein Zocker und spiele gerne. Fußball spiele ich allerdings gar nicht mehr, weil mir da die Kraft und Ausdauer fehlt und mich sogar ein zehnjähriges Kind in Grund und Boden spielen würde. Ich bin sehr neugierig, offen für alles Mögliche und irgendwie wie jeder vernünftige Mann ein Kind geblieben. Und das will ich mir auch nicht nehmen lassen. Spielen ist ja eine kreative Tätigkeit.
Überhaupt – vielleicht sollte man das ganze Leben als Spiel ansehen.
Aber Ihre Frage zielte wohl in eine andere Richtung. Natürlich spiele ich auch beim Schreiben. In dem Sinne, dass ich ausprobiere, Neues versuche und dabei, wie Sie schon sagten, auch Neues forme. Das hoffe ich zumindest. Und ich bin sicher, dass ich dabei ebenfalls gewinne. Und sei es nur an Erfahrung.
Ich bin da eher konventionell, mein Spiel unterwerfe ich Regeln
– nicht ohne manchmal zu mogeln, was ja auch zum Spiel dazugehören kann. Ansonsten spiele ich mit jeder möglichen Form der Literatur und probiere sie für mich aus. Kann ich nur empfehlen, macht Spaß. Ist aber größtenteils nur für meine private Schublade auf der Festplatte geeignet.

Die Titel und die Aufmachung Ihrer Bücher hat mich anfangs etwas erschreckt und auf Distanz gehen lassen. Es entsteht der Eindruck, dass Sie den Leser einladen, den harten Weg einer oft tödlichen Krankheit mit Ihnen zu gehen. Beim Lesen habe ich bemerkt, dass es weniger Texte gegen den Krebs oder den Tod sind als Texte für das Leben und vor allem für die Liebe. Hätte man bei der Wahl des Titels bzw. dem Artwork nicht darauf eingehen können?

Stimmt. Diese Kritik habe ich auch schon öfter gehört. Aber ich lade den Leser ja auch ein, den harten Weg einer Krankheit mit mir mitzugehen. Dazu gehört massig Scheiße, dazu gehört aber vor allem auch ein dickes „Ja“ zum Leben und ein dickes „Ja“ zur Liebe! Ich provoziere ganz gerne. Und die Titel und die Aufmachung sind eben erst mal auch 'ne Provokation. Ich zeige bewusst am Anfang die hässliche Seite. Schon bei den Kladdentexten wird dann deutlich, dass es nicht nur um Krankheit oder negative Gefühle geht. Wer dann bereit ist, sich darauf einzulassen, wird sozusagen mit Texten für das Leben und für die Liebe belohnt.
Titel und Artwork können dabei immer nur einen Teil ausdrücken. Und da bevorzuge ich den Holzhammer statt des Wattebäuschchens. Und gerade das Bild von „Ausgehöhlt“ bedeutet mir viel, zeigt es doch besser als viele meiner Worte meine Gefühle und Ängste während der ersten Zeit der Krankheit.


Das dicke „Ja“ zum Leben, sehr gut, vielleicht der Titel Ihres nächsten Buches? Woran schreiben Sie zurzeit?


Wäre    kein    schlechter    Titel.    Eines    meiner    momentanen Projekte  hat  den  Arbeitstitel  „Aufgefüllt“  und  ist  sozusagen die Fortsetzung von „Ausgehöhlt“. Darin beschreibe ich die nächsten vier Jahre meiner Krebserkrankung, beziehungsweise Genesung.  Natürlich  werden  darin  die  Liebe  und  die  Musik die  Hauptrollen  spielen.  Und  das  Leben  mit  Behinderungen. Und  wie  immer  bei  mir  auch  das  dicke  „Ja“  zum  Leben. Keine Ahnung, wann ich das fertig kriege. Ich bin noch an einem weiteren langen Prosatext. Diesmal eine rein fiktive Sache. Krebs oder Krankheiten tauchen darin nicht auf. Aber das dürfte mein frühestens übernächstes Buch werden.
Und natürlich arbeite ich immer an Gedichten und meinem Blog, der mir immer mehr ans Herz wächst. Und neuerdings auch an Rezensionen. Das Internet ist da schon ‚ne spannende Sache. Und dient natürlich auch dafür, sich zu zeigen und zu verkaufen.


Sie sind ja auch in Internet sehr aktiv, und vor Kurzem las ich in einem Ihrer Kommentare, dass Sie das Wort „rumkrebsen“ benutzten. Darf man „rumkrebsen“ noch sagen?


ICH darf das. Ich finde außerdem, man soll dürfen, was man will. Und hat doch auch ‚ne Form von besonderem Humor, oder?


Auf jeden Fall. Künstler werden ja oft gefragt, ob man über das Böse lachen bzw. ob man es lächerlich machen darf und meistens ist die Antwort dann „Ja“. Über was kann Hermann Borgerding noch lachen?


Hm. Lachen aus dem tiefsten Inneren? Oder eher sarkastisches, fieses Lachen? Von wem ist nochmal der Revolutions-Sponti- Slogan  „Ein  Lachen  wird  es  sein,  dass  sie  besiegen  wird!“? Finde   ich   klasse.   Und   ich   liebe   die   Rolle   der   Hofnarren. Ich lache gerne und mittlerweile auch wieder viel. Über alles Mögliche. Ich liebe tiefsinnige Satiren. Ich hab aber auch nichts gegen so richtig fiese Witze, bei denen einem eigentlich das Lachen im Halse stecken bleiben sollte. Ich lache selten über Minderheiten.  Rassismus  und  dieser  chauvinistische  Sexismus sind mir zu platt. Deshalb habe ich auch mit den modernen sogenannten Comedians meine Probleme: Pure Schadenfreude und Niedermacherei der Anderen finde ich selten lustig.


Was gibt Ihnen noch Kraft und lässt Sie weiter positiv nach vorn sehen?


Was zählt ist Liebe, Musik und Poesie. Vielleicht noch die Seifenblasen und Utopien, die man im Kopf hat, die einen weiter antreiben. Bei mir ist das wohl ein diffuser Gefühlsanarchismus. Das sind die Triebfedern, alles andere kommt dann von selbst.


Musik ist ein gutes Stichwort, machen Sie selbst noch Musik?


Leider nein. Ich habe früher Gitarre gespielt und gesungen. Singen geht gar nicht mehr wegen meines Mundes, deswegen frustriert mich auch das Gitarrenspiel. Außerdem habe ich im linken Handgelenk, aus dem mein neuer Gaumen gebastelt wurde, keine Kraft mehr, weswegen es nach ‚ner viertel Stunde wehtut. So bin ich passiver Musiker geworden: Ich konsumiere und mache mir meine Musik in meinem Kopf.


Und wie heißen die fünf Musiker, die auf der einsamen Insel jeden Tag für Sie spielen müssten?


Am Schlagzeug Keith Moon und Ginger Baker, am Bass eindeutig John Entwistle, die Gitarren Keith Richards und John Frusciante und als Gesang ein Chor aus Herman Brood, Leonard Cohen, Tom Waits und Rio Reiser. Ich weiß, das sind mehr als fünf ... Aber das wäre doch geil!


Es wäre sicher interessant, obwohl man dann nicht mehr von der einsamen Insel sprechen könnte. Was wird dann dort an Speis und Trank gereicht und wer darf servieren?

Alles. Und noch viel mehr. Für mich hauptsächlich Kaffee und Tabak. Und mittlerweile wieder ab und zu ein gepflegtes Pils. Und   meine   spezielle   Bananen-Erdbeer-Milch.   Die   mixe   ich mit Vanilleeis, Ahornsirup, Eigelb, Milch und Sahne. Absolute Kalorienbombe   und   Essensersatz.   Außerdem   Nudelspeisen mit viel Butter in der Soße, damit es ordentlich die Speiseröhre runterrutscht.
Servieren? Ist mir zu steif, habe ich keinen Bock drauf. Servieren soll jeder selbst. Aber wenn ich ‚n bisschen mogle, dann nehme ich als Servierkräfte Janis Joplin, Amy Winehouse, Patti Smith, Lucinda Williams und Marianne Faithful. Die würden dann die Background-Hühner bei der Band machen. Hey! Jetzt werde ich zum Schluss doch noch sexistisch…


Es sei Ihnen von Herzen gegönnt. Ich bedanke mich für die Antworten und Anregungen und wünsche weiterhin Spaß am und im Leben und das ihnen weiterhin Kraft, Lust und Zeit bleiben, Ihre Träume zu verwirklichen.


Hauke von Grimm

 

4 Kommentare:

  1. Respekt, über Ihre Einstellung zum Leben, der Liebe, zu Krankheit und Leid. Auch Ihre Worte bezüglich des Dichtens finde ich hervorragend!Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg, Gesundheit, Kraft, was auch immer Sie noch vorhaben. Herzliche Grüße aus Bayern. Teresa Ruebli

    AntwortenLöschen
  2. Wenn ich jetzt ein Messer zur Hand hätte, würde ich mir ein großes Stück Deiner Lebensfreude abschneiden...habe ich aber nicht und somit bleibt mir wieder nur mein alter Hut, den ich vor Dir ziehe Hermann. Falls es mit der Insel klappen sollte, schick mir mal ne Einladungskarte....wünsch Dir alles was gut tut und schicke an der Stelle auch Grüße an PaperOne, Rodrigo Riedrich,Leipzig

    AntwortenLöschen
  3. Eine schöne Predigt, wirklich wahr, ohne Hohn. Ich ernenne dich zum neuen Botschafter für Liebe, Musik und Poesie.

    AntwortenLöschen
  4. Vielen Dank für Eure lieben und aufbauenden Kommentare!
    So macht das Spaß!

    AntwortenLöschen