Samstag, 18. November 2017

Back to the Ruhrpott Blues



Während ich dies hier tippe wollten meine Frau und ich eigentlich in Essen-Kray sein.
Und wir freuten uns auf Lütfiye, Eva, Roland, Philipp, Jenz, Urs, Nadine und einige andere, die wir im Falkenzentrum bei „Noise vs Poetry“ treffen wollten.
Bevor wir ins tiefste Münsterland zogen wohnten wir in Kray. Und Claudia freute sich auf ihren Lieblings-Döner und ich mich auf Stauder Pils.
Obwohl die Luft dort schlechter und der Horizont nicht so klar ist: Der Ruhrpott ist ein Herzensort und eben auch Heimat.
Und die besonderen Menschen im Pott sind einfach toll!

Nun sitze ich wieder am Computer und meine Frau und ihre Mutter sitzen im Wohnzimmer und gucken irgendeinen Scheiß (Deutschland sucht den Superstar oder so) und häkeln und stricken dabei.
Wir konnten nicht nach Kray fahren.

Es begann schon morgens, dass Gisela (Claudias Mutter) ihr weinend in den Arm fiel:
„Ich glaube, mit mir geht es zu Ende. Ich bin zu nichts mehr nutze. Ich kann nichts mehr.“
Einer der Momente in der Demenzbegleitung, wo man einfach da sein muss.
Giselas Zustand besserte sich im Laufe des Tages nicht. Eigentlich hatten wir geplant, sie zur Lesung mitzunehmen. Da war nicht mehr dran zu denken.

Vor einem Monat hatten Claudia und ich uns geeinigt, dass ich im Dunkeln kein Auto mehr fahre. Meine Nachtblindheit nimmt zu, entgegenkommende Autos blenden mich dermaßen, dass ich nichts mehr sehe. Im Ruhrpott war das noch kein Problem, aber hier im Münsterland ist es wirklich dunkel. Und meine Augen werden schlechter.
Bei nassen Straßen und Dunkelheit bin ich wie eine Zeitbombe am Steuer.
Und irgendwann hatte ich mir mal selber geschworen, den Zeitpunkt zu akzeptieren, wenn ich nicht mehr fahren kann.
Nicht wie mein Vater, der irgendwann mit 80km/h auf dem Mittelstreifen der Autobahn zum Verkehrsrisiko wurde und bei dem es ein harter Kampf war, bis er es einsah und seinen Führerschein abgab.
Und jetzt fahre ich halt nicht mehr im nassen Dunkel.
Ist der erste Schritt, ist aber wichtig.

Zusätzlich tuen mir von meiner gestrigen Gartenarbeit alle Knochen weh und ich friere den ganzen Tag (Nasskalt kann mein postkarzinomer Wrackkörper nicht ab).
Alleine fahren traue ich mir also nicht zu und da Claudia auch auf die Lesung wollte hätte ich es eh unfair gefunden.

Aron, unseren Hund, können wir sechs bis acht Stunden alleine lassen, kein Problem.
Gisela können wir maximal zwei Stunden alleine lassen. Dann wird es kritisch. Und ne Verhinderungspflege findet sich nicht so leicht.

Also stricken und häkeln die Frauen und gucken Fernsehen. Und ich tippe diesen Scheiß.
Im Münsterland.
Nicht in Essen Kray.

Ich liebe das Münsterland. Und ich liebe mein Zimmer und meinen Schreibtisch und die Musik, mit der ich mich beschallen lasse.
Aber manchmal fehlt mir der Ruhrpott.
Und meine Freunde und KollegInnen.
Und die Möglichkeit, einfach mal rauszukommen.
Ich bin gesundheitlich eh eingeschränkt in meinen Möglichkeiten. Jetzt kommt noch hinzu, dass wir im Niemandsland wohnen und immer weit fahren müssen, um Kontakte zu haben.
Heute habe ich den Back to the Ruhrpott Blues.

Irgendwie ist das okay.
Im November hat man eh immer irgendeinen Blues.

Hier in Ottenstein kann ich nicht mal auf irgendwelchen Zuggleisen Probeliegen.
Dafür gibt es genug Bäume, an denen ich Probehängen einführen könnte.
Aber dabei soll es vorkommen, dass man unter sich lässt.
Und so will ich nicht gefunden werden.

Außerdem soll das Wetter Mitte nächster Woche besser werden…

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