Während ich dies hier tippe wollten meine Frau und ich
eigentlich in Essen-Kray sein.
Und wir freuten uns auf Lütfiye, Eva, Roland, Philipp, Jenz,
Urs, Nadine und einige andere, die wir im Falkenzentrum bei „Noise vs Poetry“
treffen wollten.
Bevor wir ins tiefste Münsterland zogen wohnten wir in Kray.
Und Claudia freute sich auf ihren Lieblings-Döner und ich mich auf Stauder
Pils.
Obwohl die Luft dort schlechter und der Horizont nicht so
klar ist: Der Ruhrpott ist ein Herzensort und eben auch Heimat.
Und die besonderen Menschen im Pott sind einfach toll!
Nun sitze ich wieder am Computer und meine Frau und ihre
Mutter sitzen im Wohnzimmer und gucken irgendeinen Scheiß (Deutschland sucht
den Superstar oder so) und häkeln und stricken dabei.
Wir konnten nicht nach Kray fahren.
Es begann schon morgens, dass Gisela (Claudias Mutter) ihr
weinend in den Arm fiel:
„Ich glaube, mit mir geht es zu Ende. Ich bin zu nichts mehr
nutze. Ich kann nichts mehr.“
Einer der Momente in der Demenzbegleitung, wo man einfach da
sein muss.
Giselas Zustand besserte sich im Laufe des Tages nicht.
Eigentlich hatten wir geplant, sie zur Lesung mitzunehmen. Da war nicht mehr
dran zu denken.
Vor einem Monat hatten Claudia und ich uns geeinigt, dass
ich im Dunkeln kein Auto mehr fahre. Meine Nachtblindheit nimmt zu,
entgegenkommende Autos blenden mich dermaßen, dass ich nichts mehr sehe. Im
Ruhrpott war das noch kein Problem, aber hier im Münsterland ist es wirklich
dunkel. Und meine Augen werden schlechter.
Bei nassen Straßen und Dunkelheit bin ich wie eine Zeitbombe
am Steuer.
Und irgendwann hatte ich mir mal selber geschworen, den Zeitpunkt
zu akzeptieren, wenn ich nicht mehr fahren kann.
Nicht wie mein Vater, der irgendwann mit 80km/h auf dem
Mittelstreifen der Autobahn zum Verkehrsrisiko wurde und bei dem es ein harter
Kampf war, bis er es einsah und seinen Führerschein abgab.
Und jetzt fahre ich halt nicht mehr im nassen Dunkel.
Ist der erste Schritt, ist aber wichtig.
Zusätzlich tuen mir von meiner gestrigen Gartenarbeit alle
Knochen weh und ich friere den ganzen Tag (Nasskalt kann mein postkarzinomer
Wrackkörper nicht ab).
Alleine fahren traue ich mir also nicht zu und da Claudia
auch auf die Lesung wollte hätte ich es eh unfair gefunden.
Aron, unseren Hund, können wir sechs bis acht Stunden
alleine lassen, kein Problem.
Gisela können wir maximal zwei Stunden alleine lassen. Dann
wird es kritisch. Und ne Verhinderungspflege findet sich nicht so leicht.
Also stricken und häkeln die Frauen und gucken Fernsehen.
Und ich tippe diesen Scheiß.
Im Münsterland.
Nicht in Essen Kray.
Ich liebe das Münsterland. Und ich liebe mein Zimmer und
meinen Schreibtisch und die Musik, mit der ich mich beschallen lasse.
Aber manchmal fehlt mir der Ruhrpott.
Und meine Freunde und KollegInnen.
Und die Möglichkeit, einfach mal rauszukommen.
Ich bin gesundheitlich eh eingeschränkt in meinen
Möglichkeiten. Jetzt kommt noch hinzu, dass wir im Niemandsland wohnen und
immer weit fahren müssen, um Kontakte zu haben.
Heute habe ich den Back to the Ruhrpott Blues.
Irgendwie ist das okay.
Im November hat man eh immer irgendeinen Blues.
Hier in Ottenstein kann ich nicht mal auf irgendwelchen
Zuggleisen Probeliegen.
Dafür gibt es genug Bäume, an denen ich Probehängen
einführen könnte.
Aber dabei soll es vorkommen, dass man unter sich lässt.
Und so will ich nicht gefunden werden.
Außerdem soll das Wetter Mitte nächster Woche besser werden…
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