Die Undertones im Bochumer
Wohnzimmer
Die Toten Hosen sind längst im Mainstream angelangt. Sie
könnten auch in der Hitparade auftreten, wenn es die noch gäbe und sie sind für
Titelstories der Bravo bereit, aber dafür sind sie wahrscheinlich zu alt.
Mainstream.
Mainstream.
Na und?
Ich stehe dazu, auch Mainstream und Kommerz zu mögen. Muss
ja nicht schlecht sein, nur weil viele Menschen es mögen. Ich mag immer noch
die Stones, Placebo, Depeche Mode und so was.
Und Hymnen grölen kann lustig sein, „HeyHo-Lets go!“ muss ja nicht immer revolutionär sein.
Rock darf auch Spaß machen!
Und Hymnen grölen kann lustig sein, „HeyHo-Lets go!“ muss ja nicht immer revolutionär sein.
Rock darf auch Spaß machen!
Letztens sah ich in der Glotze eine Dokumentation über die
Hosen.
Das ist kein Punk, das ist bis ins Kleinste alles perfekt
arrangiert und organisiert. Warum auch nicht!
In ihrem Proberaum ist es so leise, dass die Jungs sich in normaler Lautstärke unterhalten können. Wenn so etwas klappt, dann könnte man neidisch werden, zumindest mein Tinnitus wäre über solche Bedingungen erfreut!
In ihrem Proberaum ist es so leise, dass die Jungs sich in normaler Lautstärke unterhalten können. Wenn so etwas klappt, dann könnte man neidisch werden, zumindest mein Tinnitus wäre über solche Bedingungen erfreut!
Und natürlich ist der große Chef Campino. Man könnte auch
sagen, dass er der Diktator der Band ist. Dieser Mann hat aber auch Charisma.
Und labert wenigstens nicht so einen Scheiß wie Bono.
Okay. Gestern spielten die Hosen in meinem Wohnzimmer. Im
Ruhrstadion in Bochum (das heißt jetzt rewirpowerSTADION, aber das ist ein anderes
Thema…).
Und obwohl ich letzte Weihnacht schon die Hosen in der
Dortmunder Westfalenhalle live gesehen hatte: Ein Wohnzimmerkonzert konnte ich
mir nicht entgehen lassen!
Also ging es los.
Mit der S-Bahn ist man in zwanzig Minuten vom Essener
Hauptbahnhof am Bochumer Stadion. Stressfrei. Ich war bewaffnet mit einem
dicken Sweat-Shirt und zwei Jacken. So was braucht man diesen Sommer.
Ein ca. vierjähriges Kind betrachtete mich neugierig, zeigte
mit dem Finger auf mich und fragte ihre Mutter „Mama, was hat der Mann?“. Ich
hatte keine Lust zu antworten, grinste freundlich und die Mutter machte nur „Pst!“.
Egal. Ich kenne das.
Am Stadion überreichten mir meine Freunde ein grünes Armband
für die erste Welle. Alles stressfrei. Prost!
Dann als erste Band die Undertones. Die hatte ich um 1980
herum schon mal gesehen und hätte die Jungs nicht wieder erkannt. Männer um die
60, die sichtbar Spaß hatten und uns den Rock’n’Roll in die Beine knallten.
Geil! Old School Punk? Ich würde sagen ja, aber Kategorisierungen sind mir
schnuppe. Teenage Kicks und Here comes the summer und meine Laune war blendend.
Danach kamen Royal Republic aus Schweden. Posing, nah an der Grenze zur
Peinlichkeit, aber diese Grenze wurde nicht überschritten. Das war okay, aber
auch nicht besonders aufregend.
Dann die Donots.
Aus nostalgischen Gründen mag ich Ibbenbüren: Ich hatte in
meiner Jugend mal n paar tolle Frauen dort kennengelernt. Und die Donots sind
klasse, nicht nur, weil sie als Torhymne in Bochum angespielt werden.
Bei „We‘re not gonna take it“ zieht der Sänger ein VfL
Bochum Trikot an. Und wir feiern unser Wohnzimmer, in dem wir die letzten Jahre
so oft gelitten haben.
Rampensäue allererster Güte! 45 Minuten tanzen. Geil!
Dann die Hosen. Knapp über zwei Stunden Stadion-Rock.
Perfekt inszeniert. Tolle Show, die Set-List ist okay, ne stimmige Mischung aus
Liedern der Ballast der Republik-CD und alten Hits. Witzige Sticheleien gegen
Hoeneß und Anspielungen auf Bochums Grönemeyer – alles okay.
Wir tanzen, wir singen und grölen, wir haben Spaß. Das hat mit Underground oder Punk nichts mehr zu tun (hatte es das irgendwann?), das Publikum besteht auch hauptsächlich aus biergetränkten Menschen jeglicher Gesellschaftsschicht und jeglichen Alters, vielleicht n bisschen prollig, aber bei vielen sichtbar nur ein Ausflug aus dem spießigen Alltag. Na und?!
Wir tanzen, wir singen und grölen, wir haben Spaß. Das hat mit Underground oder Punk nichts mehr zu tun (hatte es das irgendwann?), das Publikum besteht auch hauptsächlich aus biergetränkten Menschen jeglicher Gesellschaftsschicht und jeglichen Alters, vielleicht n bisschen prollig, aber bei vielen sichtbar nur ein Ausflug aus dem spießigen Alltag. Na und?!
Ist das Rock’n’Roll? Ja!
Rock ist ja nicht nur Subkultur, Rock ist eben auch Party.
Und die geht ab!
Ich finde es nicht peinlich die Lieder der Hosen
mitzusingen, finde sie textlich und thematisch oft sehr gut, blicke auf Thomas
und Anne bei „Freunde“ und bin ehrlich ergriffen.
Diesmal spielen sie nicht „Nur zu Besuch“, ich weiß noch,
dass mir da Weihnachten die Tränen in den Augen standen, aber das liegt an
meiner persönlichen Geschichte.
Ein Bierverkäufer spricht mich an.
„Entschuldigung. Ich bin neugierig. Darf ich sie fragen, wie
alt sie sind?“
Ich hebe fünf Finger einer Hand und schreie ihn „Krebs“ ins
Ohr. Er versteht, gibt mir aber trotzdem kein Freibier.
Ein besoffener Sauerländer um die Zwanzig packt mich an (ich
hasse es normalerweise) und lallt mich voll: „Ey Alter! Was ist denn mit dir
los! Was willst du denn hier!“ Ich antworte: „Das ist Leben. Das ist Rock’n’Roll.
Davon hast du keine Ahnung!“ und reiße mich los. Mein Bierdurst steigt.
Insgesamt (das Kind der Hinfahrt eingeschlossen) werde ich
fünfmal angesprochen. Das ist mir sonst noch nie passiert. Aber bis zwei Tage
vorher war ich auch noch am Zweifeln, ob ich dieses Konzert überhaupt schaffen
würde. Und meine Frau machte sich die ganze Zeit Sorgen um mich und meine
Gesundheit. Egal!
Ich in der ersten Welle. Mit meinen Freunden. Die kümmern
sich, fragen mich „Geht es noch?“. Ich nicke, strecke den Daumen nach oben,
fühle mich geborgen.
Campino singt „Kein Ende in Sicht!“ und ich schreie mit.
Dann ist das Konzert vorbei. Und ich bin fertig, aber das
sind ca. 20000 andere Menschen auch.
Meine Frau kommt und holt mich ab. Sie mag die Hosen nicht und wollte nicht mit. Ich sinke in ihre Arme, habe sie vermisst und stelle wieder mal fest, dass ich sie über alles liebe.
Meine Frau kommt und holt mich ab. Sie mag die Hosen nicht und wollte nicht mit. Ich sinke in ihre Arme, habe sie vermisst und stelle wieder mal fest, dass ich sie über alles liebe.
„Leg deinen Kopf an meine Schulter - es ist schön ihn dort
zu spürn! ...“
Bonny und Clyde mochte ich schon immer mehr als 10 kleine
Jägermeister.
Gestern und die letzten Tage wurden Demonstranten in Istambul und
Frankfurt brutal von Polizisten verprügelt. Es gab zahlreiche Verletzte.
Leon Goretzke, das Bochumer "Jahrhunderttalent" wechselt zu Schalke. Es
ist immer noch viel zu kalt für Anfang Juni.
Ich fühle mich gut. Kaputt, alt, aber glücklich.
Ich fühle mich gut. Kaputt, alt, aber glücklich.
Während ich das heute hier tippe höre ich mir die
Undertones, die Donots und die Hosen an. Wieder zu Hause am Schreibtisch. In
Sicherheit.
Ich stelle fest, dass ich Beides brauche.
Und mich noch lange an dieses Konzert erinnern werde…
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