Ich mach jetzt mal ne Ausnahme und
bringe Rock’n’Roll Notizen.
Das Konzert gestern hat mich umgehauen und jetzt ist es eben mal zeitnah genau passend. Im fertigen Zustand und gedruckt werde ich es um die Hälfte kürzen. Hier kriegt ihr die Urform.
Das Konzert gestern hat mich umgehauen und jetzt ist es eben mal zeitnah genau passend. Im fertigen Zustand und gedruckt werde ich es um die Hälfte kürzen. Hier kriegt ihr die Urform.
Also:
LEONARD COHEN!
Ein alter Mann von 79 Jahren. Damit
10 Jahre älter als ich (wenn man die krebsbedingte Alterung von 20 Jahren bei
mir dazu rechnet). Werde ich in zehn Jahren noch so fit sein, wie Leonard?
Wenigstens ein Prozent seiner Ausstrahlung besitzen? Ich weiß es nicht, es ist mir
egal. Hier geht es um Leonard.
Ich muss so um die 12 Jahre alt
gewesen sein, da habe ich Leonard Cohen zum ersten Mal gehört. Nee. Nicht ihn.
Aber sein „Suzanne“, auf einer billigen Gitarre an einem Lagerfeuer geklampft
bei den Pfadfindern. „Suzanne“ war Lagerfeuerstandard. Und ich verstand dieses
Lied zwar nicht, mochte es aber trotzdem sehr.
Ich denke, es war zwei Jahre später,
als ich dann alt genug für Leonard war. Und mir seine Platten anhörte.
Wahrscheinlich (es war 1977) war es eine best-of, mit der ich Kontakt aufnahm.
Natürlich wieder „Suzanne“, aber auch „So long, Marianne“, „The Partisan“ und „Bird on a wire“ ließen mich träumen, auch wenn ich die Texte nicht wirklich verstand, sondern eher fühlte.
Natürlich wieder „Suzanne“, aber auch „So long, Marianne“, „The Partisan“ und „Bird on a wire“ ließen mich träumen, auch wenn ich die Texte nicht wirklich verstand, sondern eher fühlte.
Leonard Cohen lief auf meinen Tapedeck
und meinem Plattenspieler zu Räucherstäbchen und Wildkirschtee. Und
tiefsinnigen postpubertären (vielleicht kann man das „post“ auch erst mal
streichen und später wieder einsetzen) Gesprächen.
Für die Knutschaktionen gab es Pink Floyd und „Shine on you crazy diamond“, für den Liebeskummer oder philosophisch angehauchte Gespräche Cohen. So ähnlich.
Für die Knutschaktionen gab es Pink Floyd und „Shine on you crazy diamond“, für den Liebeskummer oder philosophisch angehauchte Gespräche Cohen. So ähnlich.
Jennifer Warnes und ihre
Interpretationen ließen Leonard 1988 (ich war mittlerweile 25 und Cohen schon
ein älterer Mann) nochmal für mich aufleben, ich muss allerdings gestehen, dass
er ein Jahr später mit „I’m your man“ bei mir verschissen hatte: zu viel
Keyboards, nerviger Frauengesang und einfach nicht meine Musik.
„First we take Manhattan“ entdeckte
ich erst Jahre später bei REM und Natural Born Killers ließ mich mit dem
Titelsong „Waiting fort he miracle“ wieder an Leonard denken.
Trotzdem: weg war er nie. Marianne und der Partisan waren fest in meinem Herzen.
Und „Hallelujah“, allerdings am liebsten in der John Cale Fassung.
Trotzdem: weg war er nie. Marianne und der Partisan waren fest in meinem Herzen.
Und „Hallelujah“, allerdings am liebsten in der John Cale Fassung.
Ab Mitte 80er entdeckte ich dann den
Poeten Cohen:
- „Das Lieblingsspiel“
- „Blumen für Hitler“
- „Schöne Verlierer“:
Großartige Poesie!
- „Das Lieblingsspiel“
- „Blumen für Hitler“
- „Schöne Verlierer“:
Großartige Poesie!
Und dann 2006 das „Buch der
Sehnsüchte“!
Damit wurde er für mich endgültig zum Gott.
Damit wurde er für mich endgültig zum Gott.
Musikalisch zog sich Cohen nach „The
Future (1992) zurück. Wurde buddhistischer Mönch. Und seine „Comeback“-Alben „Ten
new songs“ und „Dear Heather“ (2001 und 2004) ließen mich kalt.
Er war in meinem Herzen, aber nicht als aktueller Sänger, sondern als liebgewordene Erinnerung.
Er war in meinem Herzen, aber nicht als aktueller Sänger, sondern als liebgewordene Erinnerung.
2007 erkrankte ich an Krebs. Ich
wollte unbedingt nochmal Tom Waits live sehen. Dylan, die Stones, Patti Smith,
Lou Reed und John Cale und all die anderen Helden hatte ich schon gesehen, ein
Cohen-Auftritt schien in weiter Ferne und unmöglich, allzu traurig war ich
ehrlich gesagt nicht.
Aber dann war der alte Sänger, der
ewig junge Poet und alterslose Buddhist plötzlich pleite. Und fing 2008 wieder
an zu touren. Und legte grandiose Auftritte hin, die ich nur im Netz oder per
Konserve erlebte. Und plötzlich war Leonard wieder auf meiner Wunschliste – ich
wollte ihn unbedingt live erleben.
Und 2012 kam dann mit „Old Ideas“
ein neues Album heraus, welches mich einfach nur umhaute.
Ich musste ihn noch mal sehen –
schließlich: ich wurde krebsgeschädigt nicht jünger – und Leonard hatte auch
schon sein Alter erreicht.
Zum Glück schenkte mir eine gute Freundin zum 49ten und 50ten Geburtstag zusammen die Karte für das Oberhausen-Konzert. (auch wenn sie die +20-durch-Krebs dabei unterschlug).
Zum Glück schenkte mir eine gute Freundin zum 49ten und 50ten Geburtstag zusammen die Karte für das Oberhausen-Konzert. (auch wenn sie die +20-durch-Krebs dabei unterschlug).
Am 25.06.2013 habe ich Leonard live
sehen und erfühlen dürfen.
Deshalb all dieses Geschreibsel.
Deshalb all dieses Geschreibsel.
Ich war müde, eigentlich
mein Dauerzustand seit Januar. Ich war genervt, Dauerzustand seit Dezember. Ich
hatte keine Lust, aber trotzdem ne positive Erwartungshaltung.
So stritt ich noch n
bisschen mit meiner Frau, umarmte sie, bevor ich losfuhr und packte dann Petra
und Arne ein und wir machten uns auf den kurzen Weg nach Oberhausen.
Einen annehmbaren
Parkplatz fanden wir ohne Probleme und als wir endlich unsere Plätze in der
König-Pils-Arena (Richtig: Ekelhaft!) gefunden hatten, stellten wir fest, dass
wir absolut genial im ersten Block des Innenraums saßen. Nur sieben Reihen von
der Bühne entfernt.
Alles stressfrei.
Schön.
Das Publikum war alt.
Endlich fiel ich mal nicht besonders auf (okay, die Krebsnarben kann ich nicht
verbergen). Ich behaupte mal, dass massig Lehrer und Alt-68er im Publikum
waren. Lässt sich bei Leonard nicht vermeiden, ist auch okay. Es waren auch
massig Sekretärinnen da und ich fühlte mich an meine Robbie Williams Konzerte
erinnert (damals, als er noch gut war – ja, ich gestehe!). Trotzdem: eine
angenehme, offene Atmosphäre.
Nach netten Ansagen
in Form eines Countdowns ging es dann pünktlich (c.t.) los. Und die Band und
Leonard betraten die Bühne.
„Ich weiß nicht, ob wir uns noch mal wiedersehen. Aber ich weiß, dass wir heute Abend unser Bestes geben werden!“
Zu Beginn eine der wenigen Ansagen Cohens. Und er und die Band hielten das Versprechen.
„Ich weiß nicht, ob wir uns noch mal wiedersehen. Aber ich weiß, dass wir heute Abend unser Bestes geben werden!“
Zu Beginn eine der wenigen Ansagen Cohens. Und er und die Band hielten das Versprechen.
Die Bühne: links (vom
Publikum aus) die Mikros für die drei Hühner. Dahinter das Keyboard (schön
oldschool) und mittig das Schlagzeug, davor stand der Bassist drei samtbezogene
Stühle für den Gitarristen, den Geiger und den Lead-Bandourriaisten (schwierig:
er spielte alles Mögliche…). Leonard hatte das Mikro in der Hand und
beherrschte alle Zwischenräume. Ein farbloser Vorhang wurde durch Lichteffekte
immer passend eingefärbt. Dezent tauchten ab und zu Grafiken von Leonard auf.
Der Bühnenboden war mit Teppichflies überzogen, für die Knie von Leonard eine
Wohltat. Alles in allem schlicht aber wunderschön und immer der Stimmung
angepasst. Weniger kann mehr sein!
Die Band: Oft
(vielleicht zu oft) zog Leonard den Hut vor seinen Mitstreitern. Manchmal
kniete er vor einem Solo vor dem Musiker. Sie hatten es ohne Ausnahme verdient!
Roscoe Beck am Bass
passte einfach. Spielte solide, einfach und schön. Sein Meisterkönnen blitzte
ab und zu auf, aber er hängte es nicht raus.
Ebenso Rafael Gayol
an den Drums. Zurückhaltend, absolut passend und trotzdem: ein unbestrittener
Meister, der es nicht nötig hat, das rauszuhängen.
Neil Larsen an den
Keyboard war wohl auch klasse. Ich kann das nicht beurteilen, da ich Keyboarder
nicht mag und mir die Schweine-Orgel auf den Keks geht. Aber er war okay.
Mitch Watkins an der
Gitarre spielte schon 79/80 mit Leonard live. Ich fand ihn einfach nur
superklasse!
Alexandru Bublitchi
passte genial und machte an seiner Violine einen super Job, der den Sound
beflügelte.
Javier Mas spielte hauptsächlich
ein zwölfsaitiges gitarrenähnliches Teil und Mandolinen.
Bandurria heißt das griechische Teil. Ich habe
es bei Wikipedia nachgeguckt. Der Mann ist klasse. Seine Solos sind toll (wenn
auch zu oft und zu lang) aber seine wahre Klasse entwickelt sich während den
Gesangsparts, wo er akzentuiert und die Akkorde füllt.
Die Hühner?
Sharon Robinson gehört seit Jahrzehnten zu Cohen. Und besorgt Gänsehäute. Sie ist absolute Oberklasse. Und passt. Und hält sich zurück und gewinnt dadurch.
Sharon Robinson gehört seit Jahrzehnten zu Cohen. Und besorgt Gänsehäute. Sie ist absolute Oberklasse. Und passt. Und hält sich zurück und gewinnt dadurch.
Die Webb Sisters
können singen. Okay. Ich persönlich hätte gerne auf sie verzichtet. Aber das
liegt an meiner persönlichen Abneigung gegen Hühner und soll nicht gegen ihre
Qualität sprechen.
Alles passt zusammen.
Und in der Mitte der
große alte Meister, der seinen Hut zieht und die Fäden der Band verbindet.
Göttlich!
Ich habe noch nie so
lange über eine Band geschrieben. Sie haben es verdient.
Der Meister, the Man
himself war Leonard.
Wie seine Band
strahlte er Ehrfurcht vor den Melodien und der Poesie aus. Spielte ironisch mit
seinen Alterserscheinungen und präsentierte sein Meisterwerk. Und packte uns
alle im Publikum. Während ich dies hier tippe höre ich die Live-Aufnahme von
ihm von 1970 (Isle of Weight) und seine Stimme hat zugelegt: ist tiefer
geworden, kann nicht mehr in die Höhen gehen, hat aber eine Tiefe, die berührt
und ihresgleichen sucht. Scheiß drauf, ob die moderne Soundtechnik da einiges
geradebügelt: Es geht in die Seele, geht ins Herz, berührt.
Oft kniet Leonard.
Manchmal tanzt er. Immer ist er mit voller Seele dabei. Über drei Stunden.
Und wir – das Publikum
– sind ergriffen.
Die Songs sind
Meisterwerke. Und meisterlich präsentiert. Ich hatte Angst vor „Suzanne“,
musste dann aber feststellen, dass meine Ergriffenheit nicht aus den
Erinnerungen, sondern aus dem Stück selbst entstand. „Heart with no compenion“
wurde als reiner Country-Song präsentiert und ich kriegte das Grinsen nicht aus
meinem Gesicht. „The Partesan“: Wunderschön. „Lover,Lover,Lover“: Ja – Ich war
auf einem Rockkonzert! Gigantisch! „First we take Manhattan“: Forget alle
Coverversionen! Gänsehäute! „So long Marianne“ kenne ich in besseren Versionen,
werde aber zum Schluss mit einer unschlagbaren Fassung von „I trie to leave you“
belohnt.
Ich kann es nicht in
passende, würdigende Worte fassen. Ich hoffe, ihr versteht mich trotzdem.
Irgendwann – viel zu
schnell – sind drei Stunden vorbei.
Die Halle steht und
applaudiert ohne Ende.
Ich bin platt, aber
begeistert.
Dieser Bericht ist
wahrscheinlich zu lang. Ich habe keine Zeitschriftenvorgabe.
Einen wunderschönen Artikel hat H.P.Daniels zu dem Konzert von vor drei Jahren geschrieben:
Einen wunderschönen Artikel hat H.P.Daniels zu dem Konzert von vor drei Jahren geschrieben:
http://www.tagesspiegel.de/kultur/pop/konzertkritik-leonard-cohen-in-der-waldbuehne/1906734.html
Und noch eine Zugabe:
So long, Marianne
(Nach Leonard
Cohens wunderbarem Song)
Komm rüber
zum Fenster, meine kleine Süße
ich will
jeden Zentimeter von Dir lesen
wie ein
Gedicht
Du weißt ja
ich war so
was wie ein Zigeuner
bevor ich
zuließ
dass du mich
mitnahmst
nach Hause
So long
Marianne…
Du weißt
ich habe es
geliebt
mit dir zu
leben
aber du hast
mich so viel vergessen lassen
So habe ich
vergessen
für die Engel
zu beten
und die
hörten dann irgendwann auf
für uns zu
beten
So long,
Marianne…
Wir haben uns
getroffen
als wir noch
jung waren
in den
dunklen Ecken im Stadtgarten
du hast dich
an mir festgehalten
beinahe so als
wäre ich ein gekreuzigter Heiliger
während wir
durch die Nacht und das Dunkel krochen
So long,
Marianne
es ist Zeit
dass wir
anfangen
zu lachen und
zu weinen
und zu lachen
über all das
Gerade jetzt
bräuchte ich sie,
deine
verflogene Liebe
Ich fühl mich
so kalt wie eine neue Rasierklinge
Du hast mich
verlassen als ich Dir sagte
ich wäre
durcheinander
aber ich habe
niemals behauptet
tapfer und
gradlinig zu sein
So long,
Marianne
es ist Zeit
dass wir
anfangen
über all das
zu lachen
und zu weinen
und zu lachen
und zu lieben
Jetzt weiß
ich es
du bist die
perfekte Frau für mich
Ich sehe dich
weggehen
und deinen
Namen erneut ändern
Und ich
versuche wieder aufzustehen und diesen Berg zu erklimmen
um meine
Augenlider im Regen zu waschen
So long,
Marianne
mach es gut
es ist Zeit
dass wir
anfangen
über all das
zu lachen
und zu weinen
und zu weinen
und zu lachen
über all das
was mal war
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