Sonntag, 9. Juni 2013

Nur ein weiteres Gewitter überm Ruhrgebiet



Mal was ganz anderes von mir: Eine Kurzgeschichte.
Die ist jetzt zwanzig Jahre alt, aber ich denke, solche Szenen passieren heute noch mindestens so oft, wie damals...





Nur ein weiteres Gewitter überm Ruhrgebiet

Der Himmel über der Betonsiedlung verdunkelte sich.
Bedrohlich schwarze Wolken ballten sich kraftvoll zusammen, verdeckten Sterne und Mond. Obwohl schon dreiundzwanzig Uhr war es immer noch heiß. Überall hing Schweißgeruch, die Feuchtigkeit der stehenden Luft war schier unerträglich.
Kein Windhauch.

In T-Shirts und Unterhosen saßen sie in ihrer kleinen Wohnung und schwitzten.
Die Nacht würde in sechs Stunden enden. Ihn erwartete dann das Taxi und sie müsste an der Wursttheke im Supermarkt stehen. An Schlaf war nicht zu denken.
Er trank Bier, sie Wein. In der Glotze lief unbeachtet ein amerikanischer Katastrophenfilm.

- Scheiße. Du dumme Kuh hast alles versaut. Wenn du nur einmal deine dumme Schnauze halten könntest! Aber jetzt haben die mich garantiert am Wickel…-

- Ich konnte doch nicht wissen, dass der vom Amt war! –

Ihre Rechtfertigung wurde von einem leichten Schluchzen untermalt. Nervös zündete sie sich eine neue Zigarette an, während er in der Wohnung hin und her marschierte.

- Du weißt auch gar nichts. Aber plappern, das kannste! Brauchst doch nicht jedem Arsch verklickern, dass ich Taxi fahre! Jetzt werden die mir bestimmt das Arbeitslosengeld streichen, vielleicht muss ich sogar zurückzahlen! Und das nur, weil ich eine Frau habe, die jedem erzählt, dass ich trotz Arbeitslosengeld schwarz dazu maloche! –

- Hättest du es doch auch angegeben beim Arbeitsamt… -

- Hätte, hätte, Fahrradkette… Wer quengelt denn die ganze Zeit von der zu kleinen Wohnung! Wer möchte denn unbedingt hier raus! Und neue Klamotten haben? Und und und … Fräulein Wurstverkäuferin ist das doch alles nicht gut genug hier! Du hast ne Fotze, da kann ich mein ganzes Geld wie bei nem Sparschwein reinschieben! –

- Hör doch mit dem ordinären Quatsch auf! Ich habe dich damals nicht gebeten, deinen Job zu kündigen! Und ich habe dich auch nicht überredet, Taxi zu fahren! Das warst du alles selber! Und unser Geld würde schon reichen, wenn du nicht alles mit deinen sauberen Taxikollegen versaufen und verhuren würdest! –

Er schluckte einmal, griff die Bierflasche, um das zu überspielen. Ein Kollege hatte sich verquatscht uns so hatte sie erfahren, dass er nach der Schicht mit seinen Kollegen öfters in einen Club ging. Dabei hatte er doch gar nicht so oft was mit den Nutten. Außer drei- oder viermal. Meistens trank er dort nur ein paar Bier und pokerte. Man gönnt sich ja sonst nichts!

Draußen hörte man erstes Donnergrollen. In der Glotze rettete ein gutaussehender Held eine nette alte Dame.

- Ja. Scheiße. Jetzt bin ich es also wieder. Du hast doch gequatscht! Nicht ich! Und zur Ablenkung kommste dann mit dem Scheiß! Aber nicht bei mir! Lass dir was Besseres einfallen, du miese Kuh! –

- Ach, lass mich doch in Ruhe. Ich kann nicht mehr. Außerdem muss ich schlafen, morgen ist ein anstrengender Tag, Freitags ist immer die Hölle… -

- Meinste etwa bei mir nicht! –

- Klar. Aber so hat das doch jetzt alles keinen Zweck. Dann musst du halt Montag beim Arbeitsamt antanzen und klar Schiff machen. Vielleicht wird es gar nicht so schlimm… -

Draußen zog sich der Himmel endgültig zu. Kein Stern war mehr zu sehen, der Himmel nur noch schwarz.
Er gab ihr eine Ohrfeige. Schnell, feste, hart. Überrascht schrie sie auf.

- Ich weiß, was ich muss! Dich auf den Strich schicken muss ich! Als Strafe für deine Doofheit. Hätte ich schon lange tun sollen! –

Und noch ein Schlag.
Rechts und links.
Ihre Wangen röteten sich, seine Finger zeichneten ihr Gesicht.
Sie stand auf, rannte Richtung Toilette.

- Zuschlagen. Das kannste! Mir die Schuld geben, das kannste. Aber das wir uns mal geliebt haben, das vergisste! Fahr doch offiziell und regulär, damit würdeste auch genug verdienen… -

Sie knallte die Tür und schloss sich im Bad ein.
Dort setzte sie sich auf die Klobrille und ließ ihren Tränen freien Lauf.

Er holte sich ein neues Bier aus dem Kühlschrank, öffnete es, nahm einen tiefen Schluck, steckte sich eine Zigarette an und schaltete durch die Fernsehprogramme. Es lief nur Schrott.
Voller Unbehagen dachte er an seinen montäglichen Gang nach Canossa. Schon länger befürchtete er, dass das Arbeitsamt von seinem Nebenverdienst als Taxifahrer erfahren würde. Aber das gerade seine Frau sich bei einem Beamten verquatschen musste: Scheiße.

Draußen kam Wind auf. Es donnerte und der Blitz folgte schnell. Ansonsten war nichts zu hören. Ruhe vor dem Sturm.
Irgendwann, ungefähr eine Viertelstunde war vergangen, stand sie auf.
Der Schweiß klebte ihr das T-Shirt an den Körper. Eigentlich wäre eine Dusche angesagt, aber ihr war nicht danach. Vielleicht würde ja das Gewitter Abkühlung bringen.
Jetzt kamen die ersten Tropfen runter. Sie platzten auf den heißen Asphalt und sie wusste, in einer Minute würde es gießen und hageln und stürmen.

- Ich gehe schlafen. –

Er gab keine Antwort. Resignierend zuckte sie ihre Achseln und blickte vom Schlafzimmerfenster auf das Gewitter.

In der Wohnküche schaltete er weiterhin durch die Programme. Das Gewitter schien jetzt direkt über der Siedlung zu hängen. Es hagelte walnussgroße Körner, das Wasser prasselte auf den Asphalt und der Sturm ließ die vereinzelten Bäume wie Schilf erscheinen.

Beinahe war sie froh, dass er momentan Tagschicht fuhr, nicht in diesem Sturm steckte. Sie zog das Shirt und den Slip aus, ihr Nachthemd an und legte sich ins Bett. Der Fernseher nebenan übertönte ihr Weinen, höchstwahrscheinlich wäre es ihm eh egal gewesen.
Früher hatte es auch Zeiten voller Zärtlichkeit gegeben. Zeiten voller Leben, Leidenschaft und Liebe. Jetzt war da nur noch wenig. Und den Kampf, den hatte sie mittlerweile aufgegeben.
Diesen Mann liebte sie nicht mehr.
Und morgen würde sie zu einer Freundin ziehen. Vorläufig. Es reichte, es ging nicht mehr. Morgen…

„Scheiß Programm“, dachte er. Durchschaltend bekam er nie länger als eine Minute mit, aber das war egal. Er war wütend. Wütend auf sich, wütend auf das Leben und wütend auf seine Frau. Er wurde immer betrunkener und wusste, dass er morgen seine Schicht mit einen fürchterlichen Kater überstehen musste. Darüber war er auch wütend. Er öffnete sich noch ein Bier und schaute aus dem Fenster. Es goß in Strömen. Ein Blitz war so deutlich und klar, dass er sogar die gezackte Linie verfolgen konnte. Er ging pinkeln. Die Tropfen, die daneben gingen, wischte er nicht weg. „Die kann mich mal!“ dachte er lallend.

- Scheiße. –

Sein letzter Kommentar, bevor er sich ebenfalls ins Schlafzimmer aufmachte.
Er rülpste und zog sich aus, legte sich neben sie, ohne ihren Kummer zu beachten. Sie schluchzte immer noch. Obwohl: Ihr Entschluss, ihn morgen zu verlassen, brachte Erleichterung.
Morgen. Nur noch diese Nacht.

Er drehte sich zu ihr hin und nahm mechanisch ihre Brüste in die Hand.
Es gab da ja noch was anderes, plötzlich fiel es ihm ein und sein Schwanz versteifte sich etwas.

- Lass mich! Nicht jetzt! –

- Komm, stell dich nicht so an… -

- Ich habe NEIN gesagt! –

- Ach komm. Ich werde richtig geil… -

Sie verstand die Welt nicht mehr. Gerade eben hatte er sie geschlagen, der Streit war noch lange nicht beigelegt und nun wollte er mit ihr schlafen!

- Lass mich in Ruhe, du Schwein! –

Er grunzte.
Greifende Hände, fordernde Hände. Ein schwerer Körper, der sich brutal über sie legte. Ohrfeigen. Schläge.

- Ich werde es dir zeigen, du Nutte! Zureiten werde ich dich! Auf den Strich schicken werde ich dich! Nimm das! Und das! Halte still! –

Schläge. Würgen. Hilflosigkeit.
Er zerriss ihr Nachthemd, presste sie brutal in die Matratze, zwängte ihre Beine auseinander und drang irgendwie in sie ein.
Ihr Widerstand war gebrochen, sie wunderte sich nur noch, wie einem Mann so etwas Spaß machen konnte.
Als er in ihr ejakulierte kam es ihr so vor, als ob mit einer Spritze eine Flüssigkeit in sie gepumpt würde. Da war nichts Lebendiges. Da war nichts. Nur Ekel.

Kurz darauf rollte er von ihr runter und begann zu schnarchen.

Sie befreite sich aus seinen besitzergreifenden Klauen und ging in die Wohnküche.

Das Gewitter hatte aufgehört.
Der Asphalt dampfte.
In der Spüle lag noch das schmutzige Geschirr vom Abendessen. Das scharfe und spitze Küchenmesser lag obenauf.

Sie wischte sich die Tränen ab, griff das Messer und beschloss, ihr Leben jetzt sofort zu ändern.
Und mit ihm würde sie anfangen.

Das Gewitter hatte nur wenig Abkühlung gebracht.


(aus „Seifenblasen im Schädel“, 1998)

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