Mal was ganz anderes von mir: Eine Kurzgeschichte.
Die ist jetzt zwanzig Jahre alt, aber ich denke, solche Szenen passieren heute noch mindestens so oft, wie damals...
Nur ein weiteres
Gewitter überm Ruhrgebiet
Der Himmel über der Betonsiedlung verdunkelte sich.
Bedrohlich schwarze Wolken ballten sich kraftvoll zusammen,
verdeckten Sterne und Mond. Obwohl schon dreiundzwanzig Uhr war es immer noch
heiß. Überall hing Schweißgeruch, die Feuchtigkeit der stehenden Luft war
schier unerträglich.
Kein Windhauch.
In T-Shirts und Unterhosen saßen sie in ihrer kleinen
Wohnung und schwitzten.
Die Nacht würde in sechs Stunden enden. Ihn erwartete dann
das Taxi und sie müsste an der Wursttheke im Supermarkt stehen. An Schlaf war
nicht zu denken.
Er trank Bier, sie Wein. In der Glotze lief unbeachtet ein
amerikanischer Katastrophenfilm.
- Scheiße. Du dumme Kuh hast alles versaut. Wenn du nur
einmal deine dumme Schnauze halten könntest! Aber jetzt haben die mich
garantiert am Wickel…-
- Ich konnte doch nicht wissen, dass der vom Amt war! –
Ihre Rechtfertigung wurde von einem leichten Schluchzen
untermalt. Nervös zündete sie sich eine neue Zigarette an, während er in der
Wohnung hin und her marschierte.
- Du weißt auch gar nichts. Aber plappern, das kannste!
Brauchst doch nicht jedem Arsch verklickern, dass ich Taxi fahre! Jetzt werden
die mir bestimmt das Arbeitslosengeld streichen, vielleicht muss ich sogar
zurückzahlen! Und das nur, weil ich eine Frau habe, die jedem erzählt, dass ich
trotz Arbeitslosengeld schwarz dazu maloche! –
- Hättest du es doch auch angegeben beim Arbeitsamt… -
- Hätte, hätte, Fahrradkette… Wer quengelt denn die ganze
Zeit von der zu kleinen Wohnung! Wer möchte denn unbedingt hier raus! Und neue
Klamotten haben? Und und und … Fräulein Wurstverkäuferin ist das doch alles
nicht gut genug hier! Du hast ne Fotze, da kann ich mein ganzes Geld wie bei
nem Sparschwein reinschieben! –
- Hör doch mit dem ordinären Quatsch auf! Ich habe dich
damals nicht gebeten, deinen Job zu kündigen! Und ich habe dich auch nicht
überredet, Taxi zu fahren! Das warst du alles selber! Und unser Geld würde
schon reichen, wenn du nicht alles mit deinen sauberen Taxikollegen versaufen
und verhuren würdest! –
Er schluckte einmal, griff die Bierflasche, um das zu
überspielen. Ein Kollege hatte sich verquatscht uns so hatte sie erfahren, dass
er nach der Schicht mit seinen Kollegen öfters in einen Club ging. Dabei hatte
er doch gar nicht so oft was mit den Nutten. Außer drei- oder viermal. Meistens
trank er dort nur ein paar Bier und pokerte. Man gönnt sich ja sonst nichts!
Draußen hörte man erstes Donnergrollen. In der Glotze
rettete ein gutaussehender Held eine nette alte Dame.
- Ja. Scheiße. Jetzt bin ich es also wieder. Du hast doch
gequatscht! Nicht ich! Und zur Ablenkung kommste dann mit dem Scheiß! Aber
nicht bei mir! Lass dir was Besseres einfallen, du miese Kuh! –
- Ach, lass mich doch in Ruhe. Ich kann nicht mehr. Außerdem
muss ich schlafen, morgen ist ein anstrengender Tag, Freitags ist immer die
Hölle… -
- Meinste etwa bei mir nicht! –
- Klar. Aber so hat das doch jetzt alles keinen Zweck. Dann
musst du halt Montag beim Arbeitsamt antanzen und klar Schiff machen.
Vielleicht wird es gar nicht so schlimm… -
Draußen zog sich der Himmel endgültig zu. Kein Stern war
mehr zu sehen, der Himmel nur noch schwarz.
Er gab ihr eine Ohrfeige. Schnell, feste, hart. Überrascht
schrie sie auf.
- Ich weiß, was ich muss! Dich auf den Strich schicken muss
ich! Als Strafe für deine Doofheit. Hätte ich schon lange tun sollen! –
Und noch ein Schlag.
Rechts und links.
Ihre Wangen röteten sich, seine Finger zeichneten ihr
Gesicht.
Sie stand auf, rannte Richtung Toilette.
- Zuschlagen. Das kannste! Mir die Schuld geben, das
kannste. Aber das wir uns mal geliebt haben, das vergisste! Fahr doch offiziell
und regulär, damit würdeste auch genug verdienen… -
Sie knallte die Tür und schloss sich im Bad ein.
Dort setzte sie sich auf die Klobrille und ließ ihren Tränen
freien Lauf.
Er holte sich ein neues Bier aus dem Kühlschrank, öffnete
es, nahm einen tiefen Schluck, steckte sich eine Zigarette an und schaltete
durch die Fernsehprogramme. Es lief nur Schrott.
Voller Unbehagen dachte er an seinen montäglichen Gang nach
Canossa. Schon länger befürchtete er, dass das Arbeitsamt von seinem
Nebenverdienst als Taxifahrer erfahren würde. Aber das gerade seine Frau sich
bei einem Beamten verquatschen musste: Scheiße.
Draußen kam Wind auf. Es donnerte und der Blitz folgte
schnell. Ansonsten war nichts zu hören. Ruhe vor dem Sturm.
Irgendwann, ungefähr eine Viertelstunde war vergangen, stand
sie auf.
Der Schweiß klebte ihr das T-Shirt an den Körper. Eigentlich
wäre eine Dusche angesagt, aber ihr war nicht danach. Vielleicht würde ja das
Gewitter Abkühlung bringen.
Jetzt kamen die ersten Tropfen runter. Sie platzten auf den
heißen Asphalt und sie wusste, in einer Minute würde es gießen und hageln und
stürmen.
- Ich gehe schlafen. –
Er gab keine Antwort. Resignierend zuckte sie ihre Achseln
und blickte vom Schlafzimmerfenster auf das Gewitter.
In der Wohnküche schaltete er weiterhin durch die Programme.
Das Gewitter schien jetzt direkt über der Siedlung zu hängen. Es hagelte walnussgroße
Körner, das Wasser prasselte auf den Asphalt und der Sturm ließ die
vereinzelten Bäume wie Schilf erscheinen.
Beinahe war sie froh, dass er momentan Tagschicht fuhr,
nicht in diesem Sturm steckte. Sie zog das Shirt und den Slip aus, ihr
Nachthemd an und legte sich ins Bett. Der Fernseher nebenan übertönte ihr
Weinen, höchstwahrscheinlich wäre es ihm eh egal gewesen.
Früher hatte es auch Zeiten voller Zärtlichkeit gegeben.
Zeiten voller Leben, Leidenschaft und Liebe. Jetzt war da nur noch wenig. Und
den Kampf, den hatte sie mittlerweile aufgegeben.
Diesen Mann liebte sie nicht mehr.
Und morgen würde sie zu einer Freundin ziehen. Vorläufig. Es
reichte, es ging nicht mehr. Morgen…
„Scheiß Programm“, dachte er. Durchschaltend bekam er nie
länger als eine Minute mit, aber das war egal. Er war wütend. Wütend auf sich,
wütend auf das Leben und wütend auf seine Frau. Er wurde immer betrunkener und
wusste, dass er morgen seine Schicht mit einen fürchterlichen Kater überstehen
musste. Darüber war er auch wütend. Er öffnete sich noch ein Bier und schaute aus
dem Fenster. Es goß in Strömen. Ein Blitz war so deutlich und klar, dass er
sogar die gezackte Linie verfolgen konnte. Er ging pinkeln. Die Tropfen, die
daneben gingen, wischte er nicht weg. „Die kann mich mal!“ dachte er lallend.
- Scheiße. –
Sein letzter Kommentar, bevor er sich ebenfalls ins
Schlafzimmer aufmachte.
Er rülpste und zog sich aus, legte sich neben sie, ohne
ihren Kummer zu beachten. Sie schluchzte immer noch. Obwohl: Ihr Entschluss,
ihn morgen zu verlassen, brachte Erleichterung.
Morgen. Nur noch diese Nacht.
Er drehte sich zu ihr hin und nahm mechanisch ihre Brüste in
die Hand.
Es gab da ja noch was anderes, plötzlich fiel es ihm ein und
sein Schwanz versteifte sich etwas.
- Lass mich! Nicht jetzt! –
- Komm, stell dich nicht so an… -
- Ich habe NEIN gesagt! –
- Ach komm. Ich werde richtig geil… -
Sie verstand die Welt nicht mehr. Gerade eben hatte er sie
geschlagen, der Streit war noch lange nicht beigelegt und nun wollte er mit ihr
schlafen!
- Lass mich in Ruhe, du Schwein! –
Er grunzte.
Greifende Hände, fordernde Hände. Ein schwerer Körper, der
sich brutal über sie legte. Ohrfeigen. Schläge.
- Ich werde es dir zeigen, du Nutte! Zureiten werde ich
dich! Auf den Strich schicken werde ich dich! Nimm das! Und das! Halte still! –
Schläge. Würgen. Hilflosigkeit.
Er zerriss ihr Nachthemd, presste sie brutal in die
Matratze, zwängte ihre Beine auseinander und drang irgendwie in sie ein.
Ihr Widerstand war gebrochen, sie wunderte sich nur noch,
wie einem Mann so etwas Spaß machen konnte.
Als er in ihr ejakulierte kam es ihr so vor, als ob mit
einer Spritze eine Flüssigkeit in sie gepumpt würde. Da war nichts Lebendiges.
Da war nichts. Nur Ekel.
Kurz darauf rollte er von ihr runter und begann zu
schnarchen.
Sie befreite sich aus seinen besitzergreifenden Klauen und
ging in die Wohnküche.
Das Gewitter hatte aufgehört.
Der Asphalt dampfte.
In der Spüle lag noch das schmutzige Geschirr vom
Abendessen. Das scharfe und spitze Küchenmesser lag obenauf.
Sie wischte sich die Tränen ab, griff das Messer und
beschloss, ihr Leben jetzt sofort zu ändern.
Und mit ihm würde sie anfangen.
Das Gewitter hatte nur wenig Abkühlung gebracht.
(aus „Seifenblasen im Schädel“, 1998)
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