Samstag, 11. Mai 2013

Katholische Beerdigung:



Eine Beerdigung

91 Jahre alt. Und am Ende nur noch 32 Kilo. Mehr als zehn Jahre im Alten- und Pflegeheim, die letzten Jahre eher vegetierend.
Altersdepressionen und eine Demenz.

Der Pfaffe spricht von einem erfüllten Leben und spätestens da wäre ich am liebsten geflüchtet:
Ich habe keine Ahnung, ob das Leben meiner Patentante erfüllt war und ich kenne sie mit Sicherheit besser als er.
Und zum Ende hin war dieses Leben nicht mehr erfüllt, sondern eher ein Warten auf den Tod, da bin ich mir sicher.

Ich selber habe meine Patentante nach meiner Krebserkrankung nicht mehr im Heim besucht. Sie hätte mich nicht erkannt und ich wollte ihr meinen entstellten Kopf nicht zumuten.
Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Die andere ist meine Unlust, mein Widerwillen gegen Heime und gegen Krankheit. Obwohl ich selber damit zu tun habe und früher berufsbedingt mehr als genug mit Demenzen und Krankheiten zu tun hatte.
Meine Tante war umsorgt, wurde gepflegt und war damit beinahe weg aus meinem Leben. Und aus dem Leben aller Verwandten und ganz sicher aus dem Leben der Frauengemeinschaft, der Kolpingleute und der ganzen Kirche. So ist das nun mal.

Ich hatte nie ein enges Verhältnis zu ihr. Zu meiner ganzen Verwandtschaft nicht. Streng gläubige Katholiken. Scheinheilige. Nach außen war alles sauber und rein und was innen abging bekam niemand mit.
In unserer Verwandtschaft haben fast alle meiner Generation einen psychischen Defekt, auch wenn ich einer der wenigen bin, der das offen zugibt (Und das oft auf meinen Krebs schiebe. Manche Sachen sind ja so verdammt einfach…).

Katholizismus.
Mir kommt es hoch.
Freitags gab es Fisch.
All die andere verlogene Scheiße lasse ich jetzt mal weg, habe ich schon oft genug erwähnt und werde ich an anderer Stelle bestimmt wieder erwähnen…

In der Kirche ist es kalt. Die Bänke sind ungemütlich. Ich glaube, das muss so sein. Der Organist ist immerhin nicht der Schlechteste, er spielt meines Erachtens fehlerfrei, auch wenn es nicht meine Musik ist.
Liturgie und Ablauf der Veranstaltung sind mir mittlerweile fremd. Göttin sei Dank!
Es ist nicht mein Ding, aber ich bin mittlerweile tolerant genug, es zu akzeptieren und über mich ergehen zu lassen.
Da ist immer wieder die Rede von Schuld und Sühne. Fuck. Blinder Gehorsam und Gottesfurcht. Ergebenheit. Ich könnte kotzen.

Bei dem symbolischen Abendmahl bleibe ich sitzen. Aspirationsgefahr.
Andererseits: es hätte eine schöne Symbolik, an einer Hostie zu ersticken!

Und dann habe ich die Messe überlebt ohne durchzudrehen.

Es geht zum Friedhof. Im Auto rauche ich mir eine Zigarette.
Weitere Gebete, weitere sinnlose Riten. Dann wird der Sarg runtergelassen.

Ich stelle mich ans Grab, lasse ein paar Blütenblätter fallen. Meine Tante ist eine der letzten aus der Liste meiner Kindheit, ich erinnere mich an Begegnungen und an Geschenke. Ist nun mal so.
Kann ich da was für? Ich war das Kind!

Ich habe mit meinen Onkels und Tanten nicht gespielt. Habe nie ernsthafte Gespräche mit ihnen geführt. Obwohl ich vielleicht gerade das gebraucht hätte.
Unsere Verwandtschaft war von Distanz und Etikette geprägt, nicht von Menschlichkeit.
Bürgertum. Katholizismus. Heuchelei.
Ich erinnere mich an einen Onkel, der viel zu früh verstorben ist. Der spielte mit uns. Die anderen Onkels und Tanten eher nicht. Vielleicht war da auch Familie und Wärme, aber wenn, dann auf eine Art, die mich schon als Kind eher nervte und kalt ließ. Nochmal sorry, war halt so.

Und dann ist es vorbei.
Und ich fühle wenig, ich habe meine Pflicht getan, letzte Ehre erwiesen oder so. Der Blick in die Augen der anderen Trauergäste bestätigt, dass sie ähnlich fühlen. Das Kaffeetrinken schenke ich mir und besuche lieber noch mal das Grab meines Vaters und fahre danach zu meiner Mutter.

Ich denke an meine Cousinen, die Töchter meiner Patentante. Die eine lebt in Bayern, leidet an Morbus Crohn und war nicht bei der Beerdigung. Die andere hat einen Sohn verloren, eine Scheidung und ein familiär nicht einfaches Coming Out hinter sich und lebt mittlerweile mit ihrer Lebenspartnerin (hoffentlich) glücklich.
Ihnen sende ich meine Liebe.

Ich glaube, ihre Trauer hält sich in Grenzen. Und vielleicht ist gerade das ein Grund zu trauern.

Vielleicht ist auch gerade der Katholizismus ein Grund zu trauern.
Vielleicht ist es ein Grund zu trauern, dass wir uns nicht als selbstverantwortliche Menschen sehen, sondern einer Religion unterordnen, die die Sünde ab der Geburt propagiert. Und uns in Regeln presst, die kein Mensch verstehen kann.

Zum Beispiel Freitags gibt es Fisch. Und das ist noch harmlos.

Ich glaube, ich hätte meine Patentante gerne lieb gehabt. Ich glaube, ich hätte gerne eine intensivere Beziehung gehabt. Hatte ich nicht. Anyway.
Ich kann nicht über andere Menschen urteilen.
Aber ich habe meine eigene Art der Trauer.

Und habe mich beim Segen des Priesters weggeduckt, um ja nichts davon abzubekommen.



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