Freitag, 3. Februar 2012

Mein Glaubensbekenntnis: It’s only Rock!


Mein Glaubensbekenntnis: It’s only Rock!

Über Musik zu schreiben ist wie zu Architektur zu tanzen. Ich weiß nicht mehr genau, von wem ich dieses Zitat habe. Ich glaube, es waren  „…but alive“, aber ich bin mir nicht sicher. Ich schreibe jetzt mal trotzdem über Musik. Vielleicht könnt Ihr ja tanzen, wenn Ihr die passende Musik dazu hört…

“Wat is Rock’n’Roll?“
 Da stellen wir uns erst mal ganz dumm und fragen uns, ob das zweite “R” klein oder groß geschrieben wird. Und wie oder ob da Apostrophe  gesetzt werden. Und beschließen, dass das nun wirklich dermaßen egal ist…
Dann machen wir ganz platt weiter. Als wir noch ganz klein waren, war das nämlich völlig einfach: Beatles-Fans waren die Lieben und Stones-Fans die Bösen.
Bei den Beatles war Paul das Synonym für Streber, John der Revolutionär. George war was für die Mädchen und Ringo der Schlagzeuger und damit Joker.
Bei den Stones war Mick schon immer eine zwiespältige Karrierefigur. Keith war die personifizierte Rebellion und damit Trumpf, Bill was für die Frauen (aber heimlich) und Brian ein Gott, Genie und Arsch in Personalunion (während Ron immer ungerechterweise der kleine Bruder von Keith blieb…). Und Charly alt und außerdem Schlagzeuger…
Ich stand auf die Stones und Keith. Und hatte damit den Rock’n’Roll auf meiner Seite und die Trümpfe. 
Ich gestehe: ich bin immer noch - und damit bis an mein Lebensende, denn jetzt will ich diese Seuche auch nicht mehr loswerden - Stones-Fan. Was soll ich tun? Ich wurde im Jahr der ersten Stones-Single geboren. Die Jungs haben massig Scheiße produziert aber sie begleiten mich ein Leben lang, bringen es immer wieder fertig, von den Totgesagten aufzustehen und treten fast all den Kids noch locker in den Arsch. Keith hat das Gitarrenspiel revolutioniert und immer noch kopiert fast jeder Gitarrist seine Riffs und seine Art der Rhythmusgitarre - oft ohne es zu merken.
Außerdem ist er einfach der geborene Pirat und im tiefsten Inneren sind wir doch alle noch Jungs geblieben, oder?

Die Beatles mit nur einen Satz abzuspeisen ist unverschämt und wird ihnen nicht gerecht. Aber es macht Spaß.

Natürlich höre ich immer noch Herman Brood  und “Still believe” ist seit über 15 Jahren eine meiner Hymnen und wenn ich noch könnte, würde ich heute lauter als je zuvor mitsingen. “Keep on trying!”
Hermanns Abgang hat mich mehr getroffen als der Tod von John Lennon. Nur Rio Reisers Ende knallte noch tiefer rein.

Ich habe Iggy Pop einmal an der Schulter berührt. Das ist aber auch das einzige Erlebnis, mit dem ich so richtig angeben kann. Und ich glaube, Iggy hat es nicht bemerkt. Aus Rache habe ich es geschafft, stärker als er abzumagern.

Neil Young, Velvet und Lou und John, Patti Smith, die Peppers, Peter Gabriel, Bob Marley, Bad Religion, Social Distortion, Depeche Mode, Midnight Oil, Green Day, Bob Dylan, Bob Mould, Eric Burdon, U2,  Eminem (Kinderkram!), immer wieder New Model Army und Justin Sullivan und für Tom Waits bin ich sogar nach Paris gefahren. Selbst Santana war früher live mal richtig gut und eigentlich kann ich mich nur über ein beschissenes Jethro Tull Konzert beschweren. Okay, Evan Dando und die Lemonheads waren auch mal völlig daneben, dafür aber ein anderes Mal einfach genial! Eine lange Liste, die ich noch erweitern könnte. Länger, als die Bands oder Helden, die ich noch unbedingt sehen will (Marianne Faithful, Leonard Cohen, Pearl Jam, Foo Fighters, Richie Havens, Placebo (aber die sehe ich im August)) und länger als die Liste der Helden, die ich definitiv verpasst habe (Janis, Jimi, Jim und Elvis starben vor meiner Zeit, Johnny Cash interessierte mich damals noch nicht, David Bowie wird wohl nicht mehr auf Tour gehen und Nirvana waren fest gebucht, als Kurt beschloss, sich die Zähne mit einer Schrotflinte zu putzen…).
Ich schreibe hier von Helden. Von Dinosauriern. Unerreichbaren Größen. Aussterbenden Spezies.
Sie alle haben mir riesige Finanzlöcher beschert, sie alle haben mir große Konzertereignisse verschafft, von denen ich noch meinen Enkeln erzählen könnte, die ich aber nie haben werde (und deshalb müsst ihr dran glauben…).
Ihre Songs begleiten mein Leben, werden mich immer begleiten.

Komisch. Irgendwie wächst da wenig nach. Vielleicht hätte Conor Oberst das Format. Pete Doherty ist ein Genie, aber irgendwie scheint das Arschloch in ihm zu siegen. Gaslight Anthem? Ich weiß nicht… Und Amy starb zu jung.

Mittlerweile ist da ganz viel Kurzlebigkeit. Und austauschbare Beliebigkeit. Und die wirklichen Perlen, die es natürlich immer noch gibt, werden nicht mehr so groß. Das hat auch Vorteile: sie werden nicht so teuer und die Konzerte finden in kleineren Rahmen statt. Frank Turner, Kings of Leon und vielleicht Wolfmother fallen mir spontan ein, aber ich bin da auch schon lange nicht mehr auf dem Laufenden. Porcupine Tree nehmen mittlerweile die Eintrittspreise der Dinosaurier und damit sind sie für mich live erst mal gestorben (kann aber auch am Veranstalter liegen…).

Eigentlich kann ich mir 80 € für ein Konzert nicht leisten, bin auch nicht bereit dazu. Ich erinnere mich: Mein erstes Großkonzert durfte ich in der Westfalenhalle Dortmund erleben. Ist immer noch meine Lieblingshalle. Das war Santana und die Karte kostete 18 DM (das war die Währung vor dem Euro, man tausche 1:1…). Und Carlos und Band spielten drei Stunden, die ganze Halle tanzte und völlig fertig und begeistert verließen wir den Tempel und waren spätestens jetzt infiziert.
Ich habe damals lange für die Karte gespart und lange überlegt: schließlich hätte ich für das Geld auch eine Schallplatte bekommen und die hätte ich öfters gehört und rein wirtschaftlich wäre der Nutzen größer gewesen. Aber dass ich jetzt immer noch von diesem Konzert schwärme zeigt, dass sich die Ausgabe mehr als gelohnt hat. Auch wenn mich Santana mittlerweile nur noch nervt und ich die Platte (besorgte ich mir später trotzdem) wie alle meine Platten längst vertickt oder verschenkt habe (eine Tragödie – davon ein anderes Mal mehr…).
  
Keith Richards in Düsseldorf. Mmein erstes Konzert, dass ich nach einer beinahe tödlichen Trennung  ganz alleine besucht habe und bei Gimmie Shelter flossen meine Tränen.
Peter Gabriel in Gelsenkirchen am Kanal: ich war noch viel zu krank für ein Konzert, aber ich feierte die Rückkehr ins Leben.
Tom Waits in Paris: mein Geschenk an den vermeintlich besiegten Krebs war meine erste Konzertkarte im dreistelligen Eurobereich. Und ich bereue keinen Cent!

Das Konzertpublikum heutzutage ist spießiger. Kein Wunder bei den Preisen!
Damals saßen wir auf dem Boden der großen Hallen, rauchten und tranken billigen Wein und waren relaxed. Heute wird schon eine Stunde vor Konzertbeginn gedrängelt und es gibt immer mindestens einen Twen mit zwei Metern Körpergröße, der sich direkt vor meine Nase platziert und ich stehe auch immer in der Durchgangsschneise oder so.
Und ich hasse diese in die Luft gestreckten Handys, sehne mich nach den Feuerzeugen und Feeling, welches definitiv nicht in Handys zu finden ist.
Egal. Trotzdem.
Ich liebe diese Dinosaurierpartys.

Ich liebe auch kleine Konzerte. Und ich liebe diese Überraschungseier, die völlig in die Hose gehen können oder absolut genial werden.
Zwei völlig unterschiedliche paar Schuhe. Beide passen mir hervorragend.

Einmal, in einer verrauchten Hafenkneipe auf  einer Nordseeinsel. (Alzheimer oder so: Ich weiß nicht mehr, welche Insel es war…)
Es war längst nach Mitternacht. Der angeschlagene alte Mann setzte sich ans Klavier, steckte sich eine Kippe an und spielte nochmal. Stunden vorher hatte er seinen Job erledigt, Klassiker geklimpert, auf Zuruf Wünsche erfüllt. Den Touristen-Entertainer gegeben. Einige Stunden und einige Biere später waren wir die letzten Gäste. Und er spielte jetzt für sich und für uns. Und er sang von seiner Einsamkeit und seinen verflossenen Lieben und von seinen Kindern, die seine Kneipenmusikerkarriere mit rümpfender Nase von weitem betrachteten. Und ich wischte mir den Rauch aus den Augen. Es musste Rauch sein, denn damals war ich cool und coole Männer kennen keine Tränen.
Ich kenne nicht seinen Namen und es gibt keine CD von ihm.
Es war vielleicht auch kein Konzert im klassischen Sinne des Wortes. Aber es war eines der Konzerthighlights meines Lebens.

Zurück zu den Dinosauriern. Natürlich werden wir verarscht. Natürlich lassen wir uns verarschen. Ich finde, das ist egal, gehört zum Geschäft. It’s only Rock’n’Roll!
Manche verarschen so gekonnt und genial, da merkst Du das kaum. Robbie Williams ist oder war zum Beispiel so einer. Und natürlich die Stones. Natürlich verarschen die uns. Egal!
Andere dagegen verarschen so platt, da ist man selber schuld, wenn man weiter hingeht. Roger Waters mit „The Wall“, der kleine Giftzwerg Axl Rose oder die X-te Wiedervereinigung von Deep Purple, die dann auch ins Guinness-Buch der Rekorde wegen dem weltweit höchsten Pro-Kopf-Bierverbrauch kommt. So was.
Es gibt noch genug Menschen, die sich für den Scheiß das Geld aus der Tasche ziehen lassen. Meist bin ich da intolerant, andererseits: wer damit glücklich ist hat es nicht besser verdient. Und soll sich den Dreck dann halt antun.

Rock und Revolte? Das war vielleicht mal. Aber eigentlich ging es auch damals um Ruhm und Kohle. Nee, ich meine das nicht zynisch, ich finde das halbwegs okay. Will mir davon den Spaß nicht verderben lassen.

Denn trotz aller Scheiße, der Rock hat seine Daseinsberechtigung und seine Kraft. Rockmusik hilft mir, meine Gefühle rauszulassen. Ich höre einen unschlagbaren Song und bin glücklich, bin traurig, bin wütend, bin enthusiastisch und bin auf alle Fälle voll dabei.
Wenn ich verliebt bin, dann habe ich Melodien im Ohr. Und die helfen sowohl bei glücklicher als auch bei unglücklicher Liebe.
Wenn ich den Beat und das Feeling in meinen Eiern spüre, dann weiß ich, dass ich am Leben bin.

„Rock is dead!“ prophezeite schon der große Jim Morrison. Zumindest da lag er falsch: Guckt mal in Garagen und Keller und feuchten Bunkerräumen bei den Proben der heutigen Kids vorbei und ihr werdet mir Recht geben: „Rock n Roll will never die!“

Soweit mein Glaubensbekenntnis. Musikschwafelei. Musik hören ist auf alle Fälle besser. Und dann: nicht nur hören, sondern erleben! Musik leben!

Vielleicht ist das ein heiliges Gebot der Rockmusik:
-          Du sollst die Musik leben!
Wahrscheinlicher ist aber, dass die heiligen Gebote der Rockmusik aus zwei Wörtern bestehen:
-          Scheiß auf Gebote!

Ich höre jetzt (endlich!) auf mit den Worten von Frank Zappa, die all das etwas kürzer beschreiben: „What’s the fuck!“







1 Kommentar: