Vinyl!!!
Kratzer!!!
Passend zum heutigen Record Store Day machte ich mich auf
und besorgte mir einen Plattenspieler von einer Freundin, die behauptet, ihn
nicht mehr zu gebrauchen.
Als Dauerleihgabe sozusagen.
Passenderweise hatte sie auch noch ne Plattensammlung, bei
der ich mich auch bedienen durfte (da waren einige Sachen dabei, die ich damals
abgegeben habe, als ich auf CDs umstieg).
So.
Und jetzt geht es los!
Ich fange an mit Nick
Cave – Live at KCRW.
Pünktlich rausgekommen und das erste Vinyl nach ca. zwanzig
Jahren, das ich mir dann doch kaufen musste.
Die neuen Scheiben sind dicker und wesentlich schwerer, als
die Schallplatten der damaligen Zeit.
Okay. Wollen wir mal schauen – nee – Quatsch: Wollen wir mal
hören!
Mein Tinnitus stört und mein Hörvermögen ist nicht mehr das
Beste. Trotzdem bilde ich mir ein, mehr Tiefe und Wärme rauszuhören.
Und diese Konzertaufnahme ist eh total unschlagbar gut.
Und dann das Prozedere!
Ich halte das Album in meinen Händen, ziehe vorsichtig die
Platte aus der Hülle, lege sie auf den Plattenspieler, säubere sie und lasse
dann vorsichtig den Tonarm auf das Vinyl sinken. Und es geht los!
Nach ca. 20 Minuten dann umdrehen, danach die zweite
Scheibe, immer wieder das Cover in den Händen.
Einfach schön!
Als zweite Platte greife ich zu Bob Mould – Workbook.
Bobs erstes Solo-Album nach Hüsker Dü. Aus unerklärlichen Gründen schleppe ich die Platte seit
1989 bei jedem Umzug mit.
Wow!
Kratzer!
Ich hatte ja erwartet, dass mich die Kratzer bei den alten
Platten stören würden, aber erstens sind sie nicht so schlimm, wie ich dachte
und zweitens untermalen sie eher die Musik. Zeigen mir meine damaligen
Lieblingslieder und erzählen Geschichten.
Every picture tells a story – jeder Kratzer auch.
Wundervoll!
Und die Scheibe ist eh eines der Meisterwerke, die ich auf
eine einsame Insel mitnehmen würde…
Danach dann Cochise –
Live. Funktioniert komischerweise heute Abend nicht.
Also Manderley –
fliegt Gedanken, fliegt.
Die Vorläufer von Cochise lassen mich schweben und rufen die
Erinnerungen an alte Zeiten zurück.
Und die Liste der Platten dieser Nacht ist noch sehr lang…
Zum ersten Mal seit 15 Jahren höre ich dann eine Aufnahme
von mir.
„Das war nicht leicht
zu gehen“ von einer Dortmunder Compilation von 1999 (Unbekannte Elemente, Ottomatik 1999, Deck 8 Records). Habe ich
damals mit einem Synthie-Freak aufgenommen. Und die Platte stand in meinem
Archiv, da ich eben keinen Plattenspieler hatte.
Wow! Ich konnte damals noch lesen!
Ich muss das unbedingt digitalisieren und verbreiten, aber
solche Sachen dauern bei mir unendlich lange…
Ich höre viel bewusster. Wenn ich einzelne Lieder hören
möchte, dann muss ich aufstehen und die Nadel auf dieses Lied justieren.
Und höre am Knacken der Leerrillen, dass dies nicht zum
ersten Mal geschieht.
Schwärm!
Highlight des Abends / der Nacht: Richie Havens – Portfolio.
Ein Schatz von 1973. Schön gemachtes Klappcover mit
liebevollen Zeichnungen von Richie als Beilage.
Während ich die Platte höre betrachte ich die Zeichnungen.
Und habe das Cover in den Händen. Und verschmelze mit der Musik. Der Gitarre
und dem Gesang von Richie.
Auf CD hätte mich diese Scheibe nicht so berührt, als iTune
oder MP3 auf dem Compi wäre sie wahrscheinlich irgendwann untergegangen.
Und dann die Kratzer!
Diese Platte lebt!
Seit 1973 (und damals habe ich Bernd Clüver gehört…).
Doch: Vinyl ist lebendiger. Und der Sound ist wärmer. Und da
ist mehr Seele.
Und Kratzer und Knacken gehört dazu.
Meine ersten CDs habe ich vor 30 Jahren gehört.
In meiner Zivildienstzeit habe ich einen MS-Kranken Mann bis
zu seinen Tod betreut.
Und der hatte diese neue Technik. Und ich war erstmal
begeistert und hatte das Piano bei Sympathie
fort he devil vorher nie so deutlich gehört. Ich kam nicht darauf, dass das
auch an meiner scheiß Anlage liegen könnte…
Außerdem war es unkomplizierter und pflegeleichter und ich
musste auch nicht so oft aufstehen, um die Platten umzudrehen.
Also CDs. Und die Cover-Kultur starb, außer bei
unbezahlbaren Sondereditionen…
Und irgendwann dann der Computer und Musik über den
Computer.
iTunes macht es leicht. Und ich habe mittlerweile meine
meisten CDs digitalisiert und finde sie dort schnell, kann mit ein paar
Fingerklicks Compilations erstellen und finde das auch okay. Aber die Seele
wurde / wird nicht so tief berührt.
Vor ca. 20 Jahren verkaufte (ich brauchte jeden Pfennig) und
verschenkte ich meine komplette Schallplattensammlung.
Vor ca. 3 Jahren fing ich immer mehr an, Schallplatten zu
vermissen.
Jetzt habe ich wieder eine kleine Plattensammlung und einen
Plattenspieler und schwebe zu Gil Scott-Heron
– The Revolution will not be televised.
1974. Göttin! Da war ich elf Jahre alt! Und hatte keinerlei
Ahnung…
Jetzt werde ich 50 Jahre alt. Und habe immer noch keinerlei
Ahnung.
Aber habe das Vinyl für mich wieder entdeckt.
Natürlich werde ich weiterhin CDs hören, weiterhin Musik
über meinen Compi laufen lassen.
Aber es wird immer öfters diese Momente geben, wo ich eine
Platte aus dem Cover ziehe, sie vorsichtig auf den Plattenteller lege, kurz
säubere und dann die Nadel senken lasse und in die Musik abtauche.
Ich bin hin und weg und lege jetzt Van Morrison auf, damals kaufte ich mir meine erste CD von ihm,
jetzt funktioniert er auch auf Vinyl.
Mit noch mehr Seele…
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