Samstag, 23. Februar 2013

Social Beat - das waren die 90er!



Social Beat (die 90er)







war nichts

und ist damit auch nie gestorben

weil es (oder er oder sie) nie gelebt hat



Eine Schublade mehr

irgendwie passten wir rein

Eine sinnleere Worthülse

dank Anglizismus klang es wenigstens geil



Manche nannten es eine  Bewegung

eine außerliterarische Opposition

Andere klinkten sich ein und wollten Teil sein

während wir plötzlich zu irgendwas gehörten

von dem wir nicht wussten

was es ist

und es ziemlich egal fanden

und einfach unser Ding weiter machten



Anyway

Unsere Rucksäcke waren mit Bier gefüllt

und mit Texten voller Leidenschaft

geschrieben in rauschgetränkten Nächten

Stilistisch vielleicht unfertig

und manche einfach nur schlecht

Aber alle voller Herzblut

und hundertprozentig ehrlich und echt

So enterten wir die Kneipen Bochums und Umgebung

und ließen uns in andere Städte einladen

zu ähnlich verrückten Menschen

und lasen und lallten unsere Gedichte

vor einem Publikum

das nicht selten mitzog

und dann selber am Mikro stand

Plötzlich waren wir Teil einer Bewegung

und mittendrin

im Social Beat



Wir machten eine Literatur- und Kunstzeitschrift

Dilettantisch am Fotokopierer und selber zusammengetackert

verscherbelten wir das Ding zu einem unverschämt hohen Preis

und zahlten trotzdem drauf

Heike und Gisel malten und zeichneten

Caren, Ela, Jens und ich schrieben

Zusammen tranken wir Bier, rauchten

suchten die Sachen aus den zahlreichen Zuschriften aus

die wir in die nächste Ausgabe nahmen

Dann tippten und schnibbelten und lay-outeten wir

um den nächsten Tag in einem Kopierladen zu verbringen

und am übernächsten Tag zu sortieren und zu tackern



Ein Knochenjob

aber so was von Leben!

Dabei immer unser Doping

und zwei bis vier Hunde zu unseren Füßen

die uns liebten

aber offensichtlich für bekloppt hielten



Social Beat?

Das Ding war gestorben

bevor es geboren wurde

Spätestens

als es Ausgrenzungen geben sollte

und man über Arbeitsgruppen

Begriffsdefinitionen und sogar darum

den Begriff Social Beat sich schützen zu lassen

diskutierte

war es vorbei mit lustig



Und wir machten erst mal weiter

und schissen auf Social Beat

und lebten ihn somit



Zwangsläufig hörten wir irgendwann irgendwie einfach auf

machten andere Dinger

wurden erwachsener oder gesetzter oder wie auch immer

Verloren uns

teilweise sogar aus den Augen

Leben

das ist eben so



Ich stürzte völlig ab und stand wieder auf und etablierte mich im Job und das war okay bis ich dann Krebs bekam und wieder auf die Schreiberei zurückkam. Das war mein Ding – das war dann klar. Und dazu musste ich stehen, wenn auch noch andere Sachen da waren und so bin ich nun heute da, wo ich bin. Und das ist gut so.



Social Beat?

Jetzt

Während meiner Grippe

wühle ich mich durch die Bücher von damals

entdecke wieder Namen und Gesichter

die ich schon vergessen hatte

Was machen sie heute?

Andi Z., der Punker mit den geilen Gedichten?

Derek Meister? Tuberkel Knuppertz? J.A. D.

dem wir erklären mussten

dass es nicht cool ist

die Autos der Freaks in Langendreer zu zerkratzen?

Gibt es die noch?

Was macht Isabel Rox?

Und Dagi Bernhard, die Reiki-Meisterin?



Manche sind gestorben

manche in Job und Familie untergetaucht

N paar machen weiter



Mit Grinsen im Gesicht entdecke ich wieder

die ersten Versuche von Jan Off

die ersten genialen Hefte von Kersten Flenter

die Erstausgaben von Jaromir Konecny

und die ersten Versuche von Thorsten Nesch

Ich erinnere mich

wie ich Hartmuth Malorny kennenlernte

und dass ich im Gespräch mit Hadayatullah Hübsch nie was mit ihm anfangen konnte

Ploog und Dobler spielten schon immer in einer anderen Liga

Gerade deshalb ist ihnen die Subkulturnähe umso höher anzurechnen



Roland Adelmann schreibt an seinem Roman

Hardy Krüger und Alex Pfeifer haben Erfolg mit wirklich guten Krimis

Thorsten Nesch scheint es geschafft zu haben

und ist für mich einer der besten Jugendbuchautoren überhaupt

Frank Bröker-Pichelsteiner schreibt über Eishockey

Und Volly Tanner ist Mensch

in seiner Schreibe, seinem Gesang, seiner Stadtteilarbeit und seinem Leben

Robsie Richter, Jerk Götterwind, Urs Böke:

Ich liebe sie und ihre Schreibe

und habe mit Sicherheit viele vergessen

Axel Klingenberg zum Beispiel

Jenz und sein Inside!

oder all die Nachkommen, die mir Hoffnung machen

und da nenne ich jetzt nur als Beispiel Benedikt Maria Kramer

und Dirk Bernemann und Florian Günther sind so gut,

dass so eine Klassifizierung für sie nicht nötig ist



Social Beat?

Ich habe schon zu viele Namen genannt

und noch mehr vergessen

Glaubt mir:

Jeder Protagonist war und ist ein Held

auf seine eigene Art und Weise



Social Beat?

Scheiß drauf!

Es gibt verdammt gute Dichter und Schreiber

die diese Kategorisierung nicht nötig haben

            auch heute



Der Social Beat oder die Bewegung wurde dann letztendlich vom Poetry Slam verdrängt und platt gemacht. Slam, das heißt Präsentation vor Textinhalt, kurze Unterhaltung ohne Tiefgang, Performance über alles. Literatur? Eigentlich nicht.

Und dann die Lesebühnen.

Eigentlich eher Kabarett. Mit der Verpflichtung, stets was Neues, Publikumswirksames zu liefern. Beides nicht mein Ding: ich hasse Slam, ich bin skeptisch bei Lesebühnen.

Ich liebe immer noch rauschbeladene Kneipenlesungen.



Zwischenzeitlich schämte ich mich

für meine Auftritte und Lesungen

während der Social Beat Zeit

Ich lallte nach zwanzig Bieren

war nicht mehr zu verstehen

und mein Vortrag war alles andere

aber nicht professionell



            So was mache ich heute nicht mehr

            Ich lese halbwegs nüchtern

Bin wegen meiner Behinderung

allerdings auch nicht unbedingt besser zu verstehen



            Jetzt habe ich meinen Frieden geschlossen

            und sehe die damaligen Suffauftritte

            als Schritte auf meinem Weg

            und als damalige Authentizität

            und damit ist es okay



Immerhin: Alle hatten ihren Spaß und ich

konnte meinen Kram rüberbringen.

Okay?

Okay!



Bin ich ein Urgestein der Social Beat Szene?

Meinetwegen.

Es gab schlechtere,

es gab aber auch bessere,

die es nicht mehr gibt.



Bin ich ein Veteran des Social Beat?

Grabenkämpfe passen nicht zu mir…



Irgendwie ist es scheißegal

weil es einfach vorbei ist



Ich benutze diese Beschreibungen für Eigenwerbung            - wenn schon, denn schon

Mehr   ist        da       nicht                           und      war      wohl    auch    nie



Nur:

Wenn ich die heutigen jungen Dichter lese

überkommt mich oft ne Welle des Unverständnisses

                        Wo ist die Wut?

                        Wo ist die Power?

                        Wo die Unbeherrschtheit und die Spontanität,

                        die gerade die Jugend so spannend machen?

                                                   Ich finde das bei Arnd Dünnebacke

                                                   bei Susann Klossek

                                                   und bei Ron Hard, obwohl der        
                                                   auch schon ein alter Sack ist

                        Ansonsten

                        finde ich wenig – zu wenig



Die jungen Dichter schreiben etabliert und fürs Etablissement

obwohl sie noch lange nicht dazugehören

Ich wundere mich

Ich habe das nie getan – werde es hoffentlich nie tun



Ich bin kein Goethe und will auch keiner sein

Ich bin auch nicht Bukowski, Fauser oder Wondratschek

Ich bin ich

Was ist so schwer daran

den neuen Dichtern dieses Feeling zu vermitteln?

Besser: warum haben sie dieses Feeling nicht?!



Warum scheinen sie gar nicht sie selber sein zu wollen?



Anyway

Man sagt

ich sei ein Urgestein des Social Beat

ein Veteran

What’s the fuck!

                        Ich bin gerne Urgestein und Veteran einer Bewegung

                        die es nie gegeben hat

                        Auch wenn andere und bessere Dichter diese Titel eher verdient hätten

                        und sie nur deshalb nicht bekommen

                        weil man sie treffender klassifizieren kann

Diese anderen Dichter liebe ich und

bin stolz

einige davon meine Freunde nennen zu dürfen

Soviel dazu



Social Beat ist tot

Social Beat hat nie gelebt

Social Beat ist ein Furz im luftleeren Raum



Mann



Es war eine geile Zeit!








1 Kommentar:

  1. Kleiner Nachtrag, aus einer Mail vom guten Roland Adelmann:
    "Hermann: Derek Meister ist überaus erfolgreich, wenn nicht sogar der Erfolgreichste von uns alten Social Beatniks, mit seiner Rungholt-Reihe http://www.rungholt-das-buch.de/. Er schreibt auch Drehbücher für Spitzenfilme wie "Die Suche nach dem heiligen Scheiß", die bevorzugt von RTL gesendet werden. Wundert mich, dass du das nicht mitbekommen hast."

    Noch n Nachtrag:
    Michael Schönauer und Killroy
    und Alexander Reiffer und Marc Degens Sukultur)
    - wenigstens kurz die Namen nennen.

    Ach. Da sind so viele tolle Menschen, die eine Erwähnung wert wären!

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