Social Beat (die 90er)
war nichts
und ist damit auch nie gestorben
weil es (oder er oder sie) nie gelebt hat
Eine Schublade mehr
irgendwie passten wir rein
Eine sinnleere Worthülse
dank Anglizismus klang es
wenigstens geil
Manche nannten es eine
Bewegung
eine außerliterarische Opposition
Andere klinkten sich ein und wollten Teil sein
während wir plötzlich zu irgendwas gehörten
von dem wir nicht wussten
was es ist
und es ziemlich egal fanden
und einfach unser Ding weiter machten
Anyway
Unsere Rucksäcke waren mit Bier
gefüllt
und mit Texten voller
Leidenschaft
geschrieben in rauschgetränkten
Nächten
Stilistisch vielleicht unfertig
und manche einfach nur schlecht
Aber alle voller Herzblut
und hundertprozentig ehrlich und
echt
So enterten wir die Kneipen
Bochums und Umgebung
und ließen uns in andere Städte
einladen
zu ähnlich verrückten Menschen
und lasen und lallten unsere
Gedichte
vor einem Publikum
das nicht selten mitzog
und dann selber am Mikro stand
Plötzlich waren wir Teil einer
Bewegung
und mittendrin
im Social Beat
Wir machten eine Literatur- und Kunstzeitschrift
Dilettantisch am Fotokopierer und selber zusammengetackert
verscherbelten wir das Ding zu einem unverschämt hohen Preis
und zahlten trotzdem drauf
Heike und Gisel malten und zeichneten
Caren, Ela, Jens und ich schrieben
Zusammen tranken wir Bier, rauchten
suchten die Sachen aus den zahlreichen Zuschriften aus
die wir in die nächste Ausgabe nahmen
Dann tippten und schnibbelten und lay-outeten wir
um den nächsten Tag in einem Kopierladen zu verbringen
und am übernächsten Tag zu sortieren und zu tackern
Ein Knochenjob
aber so was von Leben!
Dabei immer unser Doping
und zwei bis vier Hunde zu
unseren Füßen
die uns liebten
aber offensichtlich für bekloppt hielten
Social Beat?
Das Ding war gestorben
bevor es geboren wurde
Spätestens
als es Ausgrenzungen geben
sollte
und man über Arbeitsgruppen
Begriffsdefinitionen und sogar
darum
den Begriff Social Beat sich
schützen zu lassen
diskutierte
war es vorbei mit lustig
Und wir machten erst mal weiter
und schissen auf Social Beat
und lebten ihn somit
Zwangsläufig hörten
wir irgendwann irgendwie einfach auf
machten andere Dinger
wurden erwachsener
oder gesetzter oder wie auch immer
Verloren uns
teilweise sogar aus
den Augen
Leben
das ist eben so
Ich stürzte völlig ab und stand
wieder auf und etablierte mich im Job und das war okay bis ich dann Krebs bekam
und wieder auf die Schreiberei zurückkam. Das war mein Ding – das war dann
klar. Und dazu musste ich stehen, wenn auch noch andere Sachen da waren und so
bin ich nun heute da, wo ich bin. Und das ist gut so.
Social Beat?
Jetzt
Während meiner Grippe
wühle ich mich durch
die Bücher von damals
entdecke wieder Namen
und Gesichter
die ich schon vergessen
hatte
Was machen sie heute?
Andi Z., der Punker mit den geilen Gedichten?
Derek Meister? Tuberkel Knuppertz? J.A. D.
dem wir erklären mussten
dass es nicht cool ist
die Autos der Freaks in Langendreer zu zerkratzen?
Gibt es die noch?
Was macht Isabel Rox?
Und Dagi Bernhard, die Reiki-Meisterin?
Manche sind gestorben
manche in Job und Familie
untergetaucht
N paar machen weiter
Mit Grinsen im Gesicht entdecke ich wieder
die ersten Versuche von Jan Off
die ersten genialen Hefte von Kersten Flenter
die Erstausgaben von Jaromir Konecny
und die ersten Versuche von Thorsten Nesch
Ich erinnere mich
wie ich Hartmuth Malorny kennenlernte
und dass ich im Gespräch mit Hadayatullah Hübsch nie
was mit ihm anfangen konnte
Ploog und Dobler spielten schon immer in einer anderen
Liga
Gerade deshalb ist ihnen die Subkulturnähe umso höher
anzurechnen
Roland Adelmann schreibt an
seinem Roman
Hardy Krüger und Alex Pfeifer
haben Erfolg mit wirklich guten Krimis
Thorsten Nesch scheint es
geschafft zu haben
und ist für mich einer der
besten Jugendbuchautoren überhaupt
Frank Bröker-Pichelsteiner
schreibt über Eishockey
Und Volly Tanner ist Mensch
in seiner Schreibe, seinem
Gesang, seiner Stadtteilarbeit und seinem Leben
Robsie Richter, Jerk Götterwind, Urs Böke:
Ich liebe sie und ihre Schreibe
und habe mit Sicherheit viele vergessen
Axel Klingenberg zum Beispiel
Jenz und sein Inside!
oder all die Nachkommen, die mir Hoffnung machen
und da nenne ich jetzt nur als Beispiel Benedikt Maria Kramer
und Dirk Bernemann und Florian Günther sind so gut,
dass so eine Klassifizierung für sie nicht nötig ist
Social Beat?
Ich habe schon zu viele Namen genannt
und noch mehr vergessen
Glaubt mir:
Jeder Protagonist war
und ist ein Held
auf seine eigene Art
und Weise
Social Beat?
Scheiß drauf!
Es gibt verdammt gute Dichter
und Schreiber
die diese Kategorisierung nicht
nötig haben
auch
heute
Der Social Beat oder die Bewegung
wurde dann letztendlich vom Poetry Slam verdrängt und platt gemacht. Slam, das
heißt Präsentation vor Textinhalt, kurze Unterhaltung ohne Tiefgang,
Performance über alles. Literatur? Eigentlich nicht.
Und dann die Lesebühnen.
Eigentlich eher Kabarett. Mit der
Verpflichtung, stets was Neues, Publikumswirksames zu liefern. Beides nicht
mein Ding: ich hasse Slam, ich bin skeptisch bei Lesebühnen.
Ich liebe immer noch
rauschbeladene Kneipenlesungen.
Zwischenzeitlich schämte ich mich
für meine Auftritte und Lesungen
während der Social Beat Zeit
Ich lallte nach zwanzig Bieren
war nicht mehr zu verstehen
und mein Vortrag war alles andere
aber nicht professionell
So was
mache ich heute nicht mehr
Ich
lese halbwegs nüchtern
Bin wegen
meiner Behinderung
allerdings
auch nicht unbedingt besser zu verstehen
Jetzt habe ich meinen Frieden
geschlossen
und sehe die damaligen Suffauftritte
als Schritte auf meinem Weg
und als damalige Authentizität
und damit ist es okay
Immerhin: Alle hatten
ihren Spaß und ich
konnte meinen Kram
rüberbringen.
Okay?
Okay!
Bin ich ein Urgestein
der Social Beat Szene?
Meinetwegen.
Es gab schlechtere,
es gab aber auch
bessere,
die es nicht mehr gibt.
Bin ich ein
Veteran des Social Beat?
Grabenkämpfe passen nicht zu
mir…
Irgendwie ist es scheißegal
weil es einfach vorbei ist
Ich benutze diese Beschreibungen für Eigenwerbung
- wenn schon, denn schon
Mehr ist da nicht und war wohl auch nie
Nur:
Wenn ich die heutigen jungen Dichter lese
überkommt mich oft ne Welle des Unverständnisses
Wo
ist die Wut?
Wo
ist die Power?
Wo
die Unbeherrschtheit und die Spontanität,
die
gerade die Jugend so spannend machen?
Ich finde das bei Arnd
Dünnebacke
bei
Susann Klossek
und
bei Ron Hard, obwohl der
auch schon ein alter Sack ist
Ansonsten
finde
ich wenig – zu wenig
Die jungen Dichter
schreiben etabliert und fürs Etablissement
obwohl sie noch lange
nicht dazugehören
Ich wundere mich
Ich habe das nie getan –
werde es hoffentlich nie tun
Ich bin kein Goethe
und will auch keiner sein
Ich bin auch nicht
Bukowski, Fauser oder Wondratschek
Ich bin ich
Was ist so schwer
daran
den neuen Dichtern
dieses Feeling zu vermitteln?
Besser: warum haben
sie dieses Feeling nicht?!
Warum scheinen sie
gar nicht sie selber sein zu wollen?
Anyway
Man sagt
ich sei ein Urgestein des Social Beat
ein Veteran
What’s the
fuck!
Ich bin gerne
Urgestein und Veteran einer Bewegung
die
es nie gegeben hat
Auch
wenn andere und bessere Dichter diese Titel eher verdient hätten
und
sie nur deshalb nicht bekommen
weil
man sie treffender klassifizieren kann
Diese anderen Dichter
liebe ich und
bin stolz
einige davon meine
Freunde nennen zu dürfen
Soviel dazu
Social Beat ist tot
Social Beat hat nie
gelebt
Social Beat ist ein
Furz im luftleeren Raum
Mann
Es war eine geile
Zeit!
Kleiner Nachtrag, aus einer Mail vom guten Roland Adelmann:
AntwortenLöschen"Hermann: Derek Meister ist überaus erfolgreich, wenn nicht sogar der Erfolgreichste von uns alten Social Beatniks, mit seiner Rungholt-Reihe http://www.rungholt-das-buch.de/. Er schreibt auch Drehbücher für Spitzenfilme wie "Die Suche nach dem heiligen Scheiß", die bevorzugt von RTL gesendet werden. Wundert mich, dass du das nicht mitbekommen hast."
Noch n Nachtrag:
Michael Schönauer und Killroy
und Alexander Reiffer und Marc Degens Sukultur)
- wenigstens kurz die Namen nennen.
Ach. Da sind so viele tolle Menschen, die eine Erwähnung wert wären!