Samstag, 18. Januar 2014

Mein siebter Wiedergeburtstag





Vor sieben Jahren, am 18.01.2007 tobte sich Kyrill über Dland aus.

Ich habe davon nichts mitgekriegt, lag 13 Stunden auf einem OP-Tisch. Und musste mir nachher anhören, dass es knapp und sehr blutig abgelaufen war.
„Wir mussten Ihre Patientenverfügung etwas auslegen und haben Sie zurückgeholt…“. So sagte es mir später der Chefarzt.
Und ich schwankte und schwanke immer noch, ob ich ihm in die Fresse schlagen oder dankbar sein soll.

Heute vor sieben Jahren wurde ich sozusagen wiedergeboren.
Ich erwachte Tage später als krebsgeschädigter Krüppel.
Zahnlos, Gaumenlos (aber der war schon aus meinem Unterarm neu geformt und implantiert), nur noch n halber Oberkiefer. Unterm Hals ein Tracheostoma, in der Nase eine Magensonde und in allen möglichen Venen Zugänge für Infusionen.
Mein neues Leben begann.
Ich musste neu lernen zu sprechen, musste lernen, zu schlucken, musste lernen, die Schmerzen zu ertragen, musste lernen, mich unter Menschen zu trauen und die Blicke der Normalos zu ertragen.
Ich habe das meiste davon gelernt, manche Sachen werde ich nie lernen.

Das erste Jahr war Schwäche und Schmerzen.
Das zweite Jahr halbwegs Rekonvaleszenz.
Das dritte Jahr war Liebe, Hochzeit und Hoffnung, dabei sollte es auch die weiteren Jahre bleiben.
Das siebte Jahr war dann Scheiße.
Und das achte Jahr wird jetzt groß.

Vor der OP hatten mir die Ärzte nicht gesagt, was auf mich zukommen würde.
Ich wusste es eh halbwegs, auch wenn ich es mir nicht so schlimm vorgestellt hatte.
Hätte ich gewusst, was ich durchmachen müsste, ich hätte mich nicht operieren lassen. Insofern scheint es besser gewesen zu sein, nicht alles zu wissen.

Bis drei Jahre nach der OP hatte ich zum Beispiel die Hoffnung, nach der Oberkieferrekonstruktion und den Implantaten mit Gebiss wieder normal sprechen und essen zu können.
Ich hatte sogar die Hoffnung, wieder „normal“ zu funktionieren und meinem Beruf nachzugehen.
Ja, Scheiße.
Ist alles nicht mehr.
Andererseits hatte ich sowas wie Liebe oder eine feste Beziehung für mich abgehakt.
Und bin jetzt glücklich verheiratet.
Und statt Beruf habe ich die Schreiberei, die mir zumindest wahnsinnig viele interessante und nette Kontakte gebracht hat.
Und Bestätigung.
Und die brauche ich.

Ich lebe.
Und das ist meistens gut so.

Sieben Jahre.
Ein alter, schwacher Krüppel.
Oft einfach müde und desillusioniert.
Scheiß drauf.

Nach meiner letzten OP sah mich meine Frau kurz auf der Intensivstation und war danach beruhigt:
„Da waren deine strahlenden Augen. Und immer noch Kampfeswille. Da wusste ich – Du schaffst das…“
Und so ist es auch.
Wenn ich sterben sollte, so ist mir das egal.
(Manchmal will ich es auch: Einschlafen und nicht mehr aufwachen hat was Positives. Durchaus.)
Aber meistens will ich leben.
Und noch viele spannende und schöne Sachen erleben.
Keine Ahnung, aber Zuversicht, dass da noch einiges kommen kann.
Und deshalb gebe ich auch nur bedingt auf.

Das Ende wäre okay.
Aber weitermachen ist einfach geil.

Ich rauche immer noch, ich trinke mittlerweile wieder Bier.
Ich kann beide Laster gut gebrauchen, fehlt mir doch in vielen Punkten der Genuss. Tabak und Bier beruhigen und dämpfen hervorragend.
Ich nehme zum Beispiel so gut wie keine Medikamente mehr.
Und kann das noch ein paar Jahre durchziehen.

Ich habe schon fast alles verloren.
Das hat den Vorteil, dass ich nicht mehr viel zu verlieren habe.

Heute also mein siebter Wiedergeburtstag.
Ich weiß nicht, ob es da viel zu feiern gibt.
Aber ich weiß, dass es da was zu feiern gibt. Bin irgendwie dankbar.

Und ich weiß, dass ich meine sozialen Bindungen feiern sollte:
Meine Familie, meine FreundInnen – sie alle standen und stehen bei mir und haben mir den Arsch gerettet.
Irgendwie mehr als die Chirurgen, die es eben nur halbwegs vom Handwerk her geschafft haben, heilten und bewahrten Familie und FreundInnen meine Seele.
Und dann Claudia:
Die brachte mein Herz ans Tageslicht, sorgt für Wärme und Zukunft und ist eine Verpflichtung, die ich wahrnehme, auch wenn ich mich anfangs gar nicht traute, diese Verpflichtung anzunehmen.

Verpflichtungen sind wichtig. Auch ein Grund weiterzuleben.
Neben mir stimmt mir gerade unsere Hündin Maya zu.

Vorgestern aspirierte ich mal wieder beim Essen.
Irgendwas blieb in der Speiseröhre hängen, drückte mir die Luftröhre zu.
Äußerst unangenehm, äußerst anstrengend. Danach bin ich stundenlang platt.
An der Tankstelle verstehen sie wieder mal meine Tabakbestellung nicht. Das nervt, das frustet. Macht mich wütend, auch wenn die Bedienung da nichts für kann.
Am Telefon legt eine Frau einfach auf. „Ich verstehe Sie nicht!“ brüllt sie wütend an mein Ohr und lässt mich mit meinem Frust alleine.

Ich erinnere mich an die Dame bei der Agentur für Arbeit:
„Ich schreibe jetzt mal, dass Sie für einen Pförtnerjob geeignet sind. Ohne Telefon- und Kundenkontakt. Ich glaube, wir werden da keine passenden Jobangebote für Sie finden.“
Oder ein begutachtender Arzt:
„Sie können Bleistifte anspitzen. Ach nee. Solche Jobs gibt es ja heute nicht mehr…“

Jetzt ist das egal. Ich habe meine Erwerbsminderungsrente durch. Und wenigstens in diesem Punkt Ruhe.

Ich bin verpeilt. Kriege wenig geregelt. Stehe aber jeden Morgen auf, drehe meine Runden mit dem Hund und schreibe Kram. Und lebe mit meiner Frau.

Manchmal ist es schwierig für mich, festzustellen, für was ich noch von Nutzen bin.
Aber eigentlich ist die Frage an sich schon egal.
Ich bin.
Punkt.
Wie ich bin.
Punkt.
Eben Hermann.
Ein verkrüppelter krebsgeschädigter Schreiberling, der das Leben, seine Frau und die Musik und Poesie über alles liebt.
Und noch n bisschen Spaß haben will.
Und weitermacht.

Der Opa meiner Frau hatte am 18.01. Geburtstag.
Meine Frau liebte ihn über alles.
Und betete vor sieben Jahren, dass er ihr helfen sollte, noch einmal in ihrem Leben eine Liebe zu finden. Die dürfte durchaus auch behindert sein, müsste nur etwas von ihm in sich haben. So in der Art. Vor sieben Jahren tobte sich Kyrill aus. Und ich wurde überlebt (Diese Formulierung ist Absicht!).
Man kann zu so einem Kram stehen, wie man will. Ich glaube da nicht unbedingt dran. Aber es berührt mich.

Okay.
Kyrill ist Geschichte.

Meine Frau und ich haben unsere Probleme so wie alle Menschen ihre Probleme haben.
Die sind dazu da, überstanden zu werden.
Und weiter zu leben.
Und ich finde es sogar schön, dass es immer wieder Stolpersteine im Leben gibt. Dass man immer weiter kämpfen muss.

Das Leben ist das schönste und beste, das wir kriegen können.
Aber man muss kämpfen.
Immer wieder.
Nur wer die Scheiße kennt kann die wahre Schönheit genießen.
Die Scheiße kenne ich zur Genüge.

Ich sag mal so:
Herzlichen Glückwunsch zu meinem siebten Wiedergeburtstag!
Ohne Wenn und Aber.
Ich habe es mir verdient!












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