Lieblingsplätze eines Münsterländers aus dem Ruhrpott
(sollte eigentlich in einer Münsterländer Anthologie erscheinen, da ich da nix mehr gehört habe setze ich den Text jetzt mal in den Blog...)
I
(Ottenstein, Kreuzwegstation)
Ich gehe aus dem Haus,
überquere nach ein paar Metern die kleine Straße
und bin auf einem Feldweg
Mittlerweile sind die Maisfelder abgeerntet
und die Sonnenblumen haben sich
bis zum nächsten Frühjahr verzogen
Es ist kahl und flach und
der Horizont erstrahlt
in einer Ahnung von Unendlichkeit
Ich biege rechts ab
auf der linken Seite ein vereinzelter Baum
der den Blick auf die Felder interessant durchbricht
dann komme ich an:
Zwei sich umarmende Bäume
eine Parkbank
ein tröstlich leerer Abfalleimer
der mir anzeigt
dass ich diesen Platz beinahe für mich alleine habe
und ein Gedenkstein
mit dem Motiv einer Station des Kreuzweges
und ich setze mich
solange die Witterung und mein Frösteln es zulassen
Ich habe keine Ahnung
von Feldern und Saatgut
Immerhin: Mais erkenne ich
Ich habe keine Ahnung von Bäumen
ich weiß
dass das keine Birken & keine Eichen & keine Tannen
sind
aber da hört es auch schon auf
Ich tippe auf Buchen
Anyway
Ich weiß
dass der Himmel und der Horizont hier im Münsterland
weiter erscheinen
als im Ruhrpott
Die Sterne leuchten klarer,
der Mond strahlt intensiver,
die Sonnenuntergänge sind farblich kräftiger
und das Wolkenspiel ist beeindruckender
Ohne Scheiß
Das ist so
Ich habe mittlerweile keine Ahnung mehr
von den Stationen des Kreuzweges
Dabei war ich in meiner Kindheit Messdiener und Pfadfinder
und habe wirklich die gesamte Bibel mal durchgelesen
Ich glaube mittlerweile
unbestimmt
Und an keine feste Religion und
schon gar nicht an eine Institution Kirche
Aber ich respektiere jeden Glauben
und spüre an diesem Ort sowas wie Kontemplation
und damit vielleicht Heiligkeit
Was weiß ich
Hier im Münsterland
ist es ruhiger als im Ruhrpott
Eindeutig
Da muss ich mich
und meinen Tinnitus
noch drauf einstellen
Ich liebe es
- Eine Zigarettenpause auf dieser Bank am Kreuzweg
eigentlich viel zu früh
aber ich gönne sie mir -
und gönne mir diesen Platz
wo ich das erste Mal in Ottenstein das Gefühl hatte
angekommen zu sein
und ein Zuhause gefunden zu haben
Es wird vielleicht zwanzig Jahre dauern
bis mich die Dorfbewohner als Einheimischen akzeptieren
- Ich kenne sie noch nicht persönlich
bin mir aber durchaus bewusst
dass sie uns als Neuhinzugezogene wahrgenommen haben
Ich weiß
hier ist das so -
Ich streichele die Rinde der Bäume
und weiß
ich bin hier heimisch
und hier will ich bleiben
II
(Castrop-Rauxel)
Die Trauerweide im Stadtgarten von Castrop-Rauxel
steht nicht mehr
Auch die anderen Plätze meiner Jugend
sind umgebaut
und für mich nicht mehr zu erkennen
Damals
nahmen wir uns unsere Freistunden in der gymnasialen
Oberstufe
kauften Billigwein oder Bierkisten
und setzten uns dort hin
und genossen die Jugend
Erste Pettingaktionen, erste Vollräusche, erste Joints
und dabei ganz viel Gitarrengeklimper
und Revolutionsträumerei
Wir waren jung
Heute darf ich das auch mal verklärend
als einfach geile Zeit bezeichnen
Die Plätze im Stadtgarten
an der Pferderennbahn
und am Rhein-Herne-Kanal
die ersten Kneipenkontakte
und unsere Jugendexzesse
Frühzeitig brachen wir aus
nach Dortmund oder Bochum
oder ins Münster- und Bergische Land
(für den Naturkontrast)
(für den Naturkontrast)
Castrop-Rauxel
war eben doch tiefste Provinz
und bestenfalls Mittelmaß
Ich habe es gehasst
Glaubt keinem Dichter
der euch heute von Lieblingsplätzen in Castrop-Rauxel
erzählt
III
(anywhere I
lay my head)
Die Bank am Hiltroper Teich
Der Feldweg in Bochum-Gerthe
Die Wiese im Volkspark Bochum-Langendreer (LA)
Während ich in Wanne-Eickel gelebt habe
war mein Lieblingsplatz
vor dem wunderschönen Kamin in meiner Wohnung
Soviel zu Wanne-Eickel
Arcachon, Il de Res, Lagos,
Paris und da besonders der Pere Lachaise
Das Witte Veen an der Haarmühle
Die City von Vreden
Der Wald am Antonius-Stift
und die Wege um Ottenstein
Aber immer und überall sehne ich mich
nach meinem Lieblingsplatz
- da wo ich mich sicher und frei fühle:
der Stuhl an meinem Schreibtisch
vor dem Computer
IV
(Ruhrstadion – auch wenn es jetzt anders heißt)
Wie immer parke ich links von der Castroper Straße (Richtung
Bo-City). Direkt an den Mauern der JVA Krümmede.
Der Knast ist berühmt für seine Selbstmordstatistik.
Das Ruhrstadion hat weniger Todesfälle in seiner Historie.
Richtung Stadion, die Straßenbahnschienen überqueren (früher
fuhr ich öfters mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, aber für einen
behinderten Freak ist sowas die Hölle), vorbei an der Ritterburg und dann stehe
ich auch schon in der Schlange vor den Kassenhäuschen (meistens nicht –
Vorverkauf ist selbst in Bochum sinnvoll…).
Die nächste Schlange vor den Drehkreuzen. Dann zeige ich
meine Karte und werde abgetastet. Auf Waffen, Wurfgegenstände und Pyrotechnik.
Die Einlasskontrolle ist lächerlich, muss aber wohl so sein. Und Ordner stehen
auf meiner Unmenschliste auf einer Höhe mit Polizisten, Hilfssheriffs,
Hausmeistern und Ordnungsfreaks.
Egal. Endlich bin ich im Stadion.
Die breite Steintreppe zwischen Bierausschank und Toilette
hoch. Block P links, drei Stufen runter und zehn Meter nach links.
Ich bin zuhause.
Mein Wohnzimmer.
Stadion an der Castroper Straße, Ruhrstadion, mittlerweile
Revirpower Stadion, aber das interessiert niemanden.
Trikot und Schal sind feste Bekleidungsrituale, die
Zigarette in der Hand gehört zum Inventar.
Und schon vor dem Spiel stimmen sich die anderen ein, ich
singe nur noch selten mit, da ich es eigentlich nicht mehr kann.
Neben mir Thomas und Anne. Beste Freunde, nicht nur im
Stadion.
Neben mir Klaus, Torsten, der extra aus Berlin zu einigen
Heimspielen kommt. Dann noch Christian, der „Trainer“, die „Rentnergang“ und
einige andere bekannte Gesichter, die sich alle vierzehn Tage hier vereinen.
Ein paar Stufen über uns die „Krähe“. Ihr Geschrei ist
unerträglich, es würde fehlen.
Kurz vor Spielbeginn
stimmen wir dann alle die Hymne von Grönemeyer an: „Tief im Westen … Glück auf
– Bochum“
15 bis 20000 Kehlen vereint. Der schönste Chor der Welt.
Und meistens der Himmel auf Erden.
Zumindest bis zum Spielbeginn…
V
(Back in Ottenstein)
Herbst:
Die abgeernteten Felder
haben eine Trostlosigkeit
und bei trüben Wetter
erscheint mir die Weite des Landes
eher wie der Arsch der Welt
Aber dieses Jahr ist es anders
und selbst Mitte November
werden wir noch mit einem goldenen Oktober verwöhnt
Diese Sonnenuntergänge!
Dieser Sternenhimmel!
Ruhe!
Behaglichkeit in unserem Heim
Einfach schön!
Meine Ausflüge ins Ruhrgebiet werden zur Höllentour
und ich merke
dass die A40 und die B242 in Essen
mich immer mehr ankotzen
und aggressiv machen
Auch die Städte
- ich will nur noch nach Hause
und sage dies automatisch
und meine damit dieses Münsterland
und vor allem Ottenstein
(meine Rechtschreibprüfung am Compi unterstreicht immer noch
Ottenstein als
Schreibfehler. Ich finde das witzig und werde es dabei belassen…)
Und wieder hier
mache ich einen Ausflug
zu den sich umarmenden Bäumen
Und atme tief durch
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