Samstag, 22. Oktober 2011

Leseprobe aus "Ausgehöhlt"

Eigentlich mal wieder Zeit, für ein Gedicht. "Postkarzinome Frustrationsbewältigung". Wird wohl demnächst auch in der nächsten Maulhure veröffentlicht. Und während ich das hier tippe, stelle ich fest, dass ich dieses Gedicht schon vor dem Urlaub in den Blog gesetzt habe. Also doch nicht.
Stattdessen folgender Romanauszug.

Ansonsten ist es kalt. Und Herbst. Und ich hab Kopf und Rücken und Glieder. Und übAhaupt.
 Tom Waits singt in mein Herz.

Demnächst (da bin ich mir sicher) wird der Roman veröffentlicht werden. Und als Vorgeschmack setze ich jetzt folgenden Auszug als Werbung hier rein:


Es gibt Momente, Situationen, Gefühle, die kann man unmöglich in Worte fassen. Jegliche Formulierung scheitert an der Grausamkeit der Realität. Nachvollziehen können solche Extremsituationen nur Menschen, die ähnliches erlebt haben. Und selbst da ist es bei jedem Menschen anders, abhängig von seiner Stärke. Beim Blick in den Spiegel sterbe ich, beim Blick in den Spiegel werde ich wiedergeboren. So ähnlich. Mit voller Wucht knallt die Konsequenz der Krebserkrankung und der Operation auf mich ein. Natürlich weiß ich ungefähr Bescheid, es ist aber ganz was anderes, dies dann auch direkt zu sehen. Ein Werwolf blickt nach seiner ersten Verwandlung in einen Spiegel. Das hässliche Entlein spiegelt sich zum ersten Mal im Teich und erkennt, dass es anders aussieht, als alle anderen. Hermann erkennt sich als Monster.

Die Schwellungen und Blutergüsse werden vergehen, das ist nicht schlimm. Die tiefen Ringe und Augensäcke hatte ich manchmal auch schon vor meiner Erkrankung, scheiß drauf. Weiße und graue Haare habe ich seit zwei Jahren, es ist nicht schlimm, dass sich dies innerhalb einer Woche extrem gesteigert hat. Meine Nase ist etwas unförmig und dick, aber eigentlich im Rahmen des Erlaubten.
Schlimm wird es unterhalb der Nase bis zum Brustbein:
Die Oberlippe ist faltig und zieht sich in das Loch, dass bei Menschen der Mund ist. Unterhalb der Nase sitzt kein Knochen mehr und damit fällt die Mundpartie völlig in sich zusammen. Meine Zunge ist ein dicker Fleischklumpen. Von dreifacher Dicke zu sprechen ist nicht übertrieben. Am Hals mehrere dicke Verbände, darunter müssen sich heftige Narben befinden. Als höhnische Klimax dann unterhalb des Kehlkopfes die Plastikkonstruktion des Tracheostomas. Aus der Kanüle fließt der dickflüssige Schleim.
Mich packt der Ekel und ich will nur noch sterben. Dieses Ding auf meinem Hals gehört nicht zu mir! Ich weigere mich, das zu akzeptieren!

Ein weiterer Nervenzusammenbruch zieht auf. Ich schaffe es, mich auf dem Hocker vor dem Waschbecken fallen zu lassen. Meine Gedanken fahren Geisterbahn. Nach ein paar Minuten greife ich mir einen Waschlappen und entferne zumindest die geronnenen Blutreste aus meiner Fresse. Dann sortiere ich alle Infusionen und Schläuche und krieche zurück zum Bett. Entledige mich der Krankenhauskleidung und ziehe frische Unterwäsche und einen Schlafanzug an.
Ich kann nicht mehr. Ich weine.





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