Mittwoch, 5. Dezember 2012

5. Türchen



5. Türchen:


Ron Hard:

I don’t need no doctor

I don’t need no doctor
feel so well
as well I can

Und die Leberwerte sind ok
und das Cholesterin ist super
und auch sonst
ich bin die fleischgewordene Bankrotterklärung jedes niedergelassenen Arztes
Ist es das Bier
der Wein
der Wodka
oder die geniale Kochkunst meiner Frau
oder mein Blut
dessen Auftritt manchmal so abnorm ist
dass man mich schon sterben lassen wollte

Mir ist scheißegal was es ist
organisch bin ich angeblich gesund

Was bleibt ist mein Kopf
meine Denke
und der Blues
der mit schöner Regelmäßigkeit hereinschaut
und mich zur Sau macht
der mir immer wieder den Stecker raus zieht
mich mit seinem Würgegriff gnadenlos packt
und mir meinen Platz im Leben zu weist
den Platz
dort unten
am Rande
des Abgrunds

Copyright Ron Hard (September 2012)

Ron Hard lebt und schreibt in Bad Dürkheim. Ein wütender Mann, oft zynisch, immer mit Feeling und Solidarität für Underdogs und Loser.
Kommendes Jahr wird sein Roman erscheinen und ich bin schon neugierig und gespannt. Seine Gedichte veröffentlicht er in seinem Blog „Poet’s desk“ und in dem Buch „Currywurst – Extra scharf“.
Noch immer hoffe ich, ihn nächstes Jahr kennen zu lernen und vielleicht sogar gemeinsam eine Bühne zu entern und das Publikum zu rocken.

Dienstag, 4. Dezember 2012

4. Türchen



4. Türchen:


Thomas Reich:

Strömung

Wie Puzzlesteine
haben wir ineinander gepasst
in jenen Tagen
als die Nachmittagssonne
in unsere Küche schien
die Kochtöpfe
verlassen & schmutzig auf dem Herd
während wir den Tisch
einem neuen Zwecke zuführten.

Nun liegt zersplittertes Geschirr
im Ausguss
und eine Stille in der Luft
die nicht einmal
das stumpfe Brotmesser
schneiden könnte.

Das Leben hat uns abgeschliffen
wie zwei Kiesel im Flussbett
uns die Konturen genommen
bis wir nichts mehr hatten
um es der Strömung
entgegenzusetzen.

Thomas Reich kenne ich über Facebook und seinen Blog „Dirty Dichter“.
Abgefahren. Strange. Und – wie in diesem Gedicht – wunderschöne Bildsprache.
Wie ich seinem Blog entnehmen konnte, steht dieses Gedicht auch in der Anthologie „Lyrischer Lorbeer“. Wie immer: surft euch durch!

Sonntag, 2. Dezember 2012

Sogar Schwarzenegger kann da okay sein



Eine Lanze für Hollywood


In der Glotze
so ein amerikanischer Schinken
Gut gegen Böse
mit viel Action und Stunts
und damit ist die Handlung eigentlich schon erzählt
Natürlich gewinnt das Gute
und in den meisten Fällen
ist auch noch ne glückliche Liebesgeschichte mit drin
Und die guten Helden haben alle ne Macke oder ein Schicksal
das sie heroisch überwinden
um die Bösen zu besiegen und sich selber
zumindest aber die Welt
mal wieder zu retten
Oft ist das dann mit US-Amerikanischen Patriotismus gewürzt
manchmal auch mit ner Prise Gesellschaftskritik.

Ich liebe diese Filme
Ich kann da fantastisch abschalten
und muss nicht nachdenken
lasse mich fallen
in den Strudel der Ballereien, Kloppereien, Verfolgungsjagden
und Pyro-Action
Mich nerven die Werbepausen in der Glotze
und regelmäßig verpasse ich dann die Übergänge
weil ich in der Zwischenzeit irgendwie in der Bude rumwusel
was aber nicht schlimm ist
da ich selten wichtige Nuancen verpasse
die es in diesen Filmen eben kaum gibt

Popcorn-Kino
natürlich: nur Filme
aber
was kann uns das Fernsehen besseres liefern
wo selbst die Nachrichten zur Reality-Soap verkümmern
und wir eh verarscht und belogen werden
und bei den Filmen wenigstens hundertprozentig wissen
dass das nur erfunden ist

Natürlich gibt es auch andere Filme
die ich liebe
Ich bin ja nicht nur blöd
Trotzdem
Ich stehe dazu

Manchmal muss es platt und flach sein
nur so lässt sich unser Sysiphusdasein ertragen

3. Türchen



3. Türchen:


Arnd Dünnebacke:

Ich war hier

Etwas Unsterbliches vollbringen,
wie Beethoven oder Fante oder Rodin,
Neil Armstrong oder Sophie Scholl –
ist es nicht diese Aussicht
auf die Unsterblichkeit einiger
weniger, die uns diesen Marathon
aus Einkaufszetteln und Liebe
und Totgeburten und Fettflecken,
Spritpreiswahnsinn, Krebs
und Sex und Schlachthöfen
und Rosen und Jahreszeiten
durchhalten lässt?

»Willst du noch was?«
fragte Helena aus der Küche,
als ich vom Sofa aus
durchs Vorabendprogramm
zappte und auf N24 hängen
blieb, dem Sender,
wo mindestens zehnmal
am Tag die Welt unterging –
atomare Supergaus,
Menschheit ohne Öl,
Monsterwellen
und Asteroiden,
so groß wie Hamburg.
»Bring mir noch’n Bier mit«,
rief ich zurück und dachte,
hm, von ‘nem Kühlschrank
ohne Bier ham sie noch
nie berichtet.
Die wirklich naheliegenden
Katastrophen sparten
sie einfach aus.

»Hier«, sagte sie
und stellte die Flasche
neben ihren Salat.
»Oh nee, Tjaden, komm,
schalt um. Das geht mir
echt auf die Nerven …«
Der Asteroid schlug grade
im Atlantik ein und
entfesselte einen
Riesentsunami, der auf
New York losfetzte.
Na gut, dann halt Springfield,
wo Homer und Bart ihre
katastrophentauglichen
Talente testeten.

Ich machte das Bier auf
und schaute in unser
Bücherregal, das unter
unzähligen Romanen und Kunst-
und Gedichtbänden ächzte.
»Suchst du was?«
»Nee. Ich überlege nur,
was wäre, wenn wirklich
morgen so’n Ding
auf die Erde plumpst
und hier mit einem Schlag
die Lichter ausgingen …
Was wäre all das dann
wert, was komponiert
oder gemalt oder
geschrieben wurde?
Was für einen Sinn
hätte es gehabt?«

Sie spießte ein Stück
Tomate mit Feta auf die Gabel,
schob es sich in den Mund
und kaute.

»Es war da«, sagte sie schließlich.

Und da ging mir zum ersten Mal auf,
dass eigentlich überhaupt
nichts schiefgehen
konnte.

Dünnebacke ist einer meiner ganz großen Favoriten für die Neuentdeckungen 2012. Sein Debut „Glück ist ein brennendes Flugzeug“ erschien jüngstens beim Acheron-Verlag. Sein Blog „Falsch gefrühstückt“ lohnt immer einen Klick.
Am stärksten finde ich seine persönlichen und intimen Texte, ich hoffe, ich mache euch hiermit neugierig und dann könnt ihr selbst urteilen…

2. Türchen:



2. Türchen:

Ich mag das. Das zweite Gedicht, das ich klaue ohne den Dichter vorher zu fragen. Ich finde, es gibt Gedichte, die sollten einfach gelesen werden!



Urs Böke:

DIE EIGNUNG VON FRAU M.

1982
Klasse eins
erste Stunde Religion
bei Frau Meyer

Ich nur:

Gott ist
eine alte
Schmeiß-
fliege

Den Rest
der Stunde
in der Ecke
verbracht

Laut Frau Meyer
um mich
zu schämen

Tatsächlich
in der Gewißheit
von irgendwas

Das Frau Meyer
heute noch fehlt.


 Urs Böke ist meiner Ansicht nach einer der besten Underground Dichter. 
Sein Magazin "ratriot" war in Insiderkreisen berühmt und seine Gedichte werden in ganz Dland hoch geschätzt. Ach ja: Er ist Essener (im Gegensatz zu mir, ich bin ja nur zugezogen...)