Rock’n Roll - Notizen
Gedanken und Geschreibsel
eines
Musik-Junkies
Ein Rock’n’Roll Fragment
Ein alter kranker Mann am Schreibtisch
zieht sich eine Jacke über
öffnet ein Stauder
und dreht die Musik auf
Die Lieder von damals
die Lieder von heute
Erinnerungen und
Kopfkino
Tanz und Pogo nur
noch gedanklich
aber der Jungbrunnen
ist sofort spürbar
Geisterstunde
und Kurt
Cobain singt „The man who sold the world“ von Bowie
Früher
- gespürt vor tausend
Jahren -
saß ich nackt an einem
anderen Schreibtisch
in einer anderen
Wohnung
und schrieb über The Who und Hölderlin
aber ich drehe die
Heizung nicht mehr so auf und
lüfte öfters
und ziehe die Jacke
über und friere
The Who und Hölderlin funktionieren immer
Ich höre aber momentan ein anderes Genie
(wobei Arschloch auch passen würde):
Lou Reed singt vom “Dirty Boulevard”
und ich schwebe dabei
Nein
Bono singt kein neues Lied
stattdessen predigt er
und umarmt die
Mächtigen der Welt
Keine Ahnung
ob U2 immer noch „40“ spielen
die Konzerte sind mir
mittlerweile zu teuer geworden
„Burn! Burn!“
„Your anger
is a gift!“
und Morello und Rage against the Machine
lassen mich headbangen
obwohl ich das nun wirklich nicht mehr kann
und es nur noch peinlich aussehen würde
Morello bringt nächste Woche ne Platte mit Springsteen raus
Ich bin sicher
es funktioniert
Zur Therapie T.Rex und der „Cosmic Dancer“
und danach mein
Beerdigungslied:
Cohens „Hallelujah“ in der John Cale Fassung
dann bin ich wieder
geerdet für härtere Sachen
und tanze zu „The End“
von den Doors
So in der Art
der Soundtrack meines Lebens und Sterbens
Mein Tinnitus
lässt mich den Schrei
des Schmetterlings nicht mehr wirklich hören
Musik muss laut sein
weil ich früher zu oft
vor zu lauten Verstärkern stand
und Gehörschutz damals
noch nicht angesagt war
„Mother?
I want to …“
mit Ödipus und Freud
habe ich es nicht wirklich
Dafür aber mit Jim
der mit einer Flasche
Whiskey in der Hand
auf einem Hochhaussims
balanciert
und mir so den Sinn des
Lebens verdeutlicht
Ich brauche die Liebe meiner Frau
ich brauche die Wärme und Sicherheit
meiner Freunde
und ich brauche die Musik und die Poesie
soviel ist klar
und deshalb erwähne ich es so oft
Ich kann und will das auch gar nicht trennen
Poesie ist Musik in meinem Herzen
Musik ist Poesie in meinem Hirn
und beides ist Schwungkraft meiner Seele
oder so
Wegfliegen, flüchten
Neu anfangen
ganz viele Lieder
handeln davon
Und natürlich von
Liebe und Sex
Nur mal so gefragt:
Gibt es eigentlich
einen Rock’n’Roll-Song übers Scheißen?
(Zappa hat wenigstens
„Why does it hurt
when I pee“ gesungen,
aber das ist eben
pissen und nicht scheißen…)
„Love reign o’r me“:
Mit Daltrey habe ich Probleme,
seine Art mit dem
Altern umzugehen
ist mir zu viel
Überspielen
Pete Townshend liebe ich
während ich dies hier
tippe
Ein Schluck auf ihn und
Quadrophenia
und darauf
dass er niemals alt
werden wird
auch wenn er fast taub
ist
grinst er noch beim
Gitarre spielen
und braucht keine
Verstärker mehr zerstören
um seine Klasse zu
beweisen
Nick Cave auf der
Suche nach dem ultimativen Liebeslied
wenn er das gesungen hat
möchte er aufhören
Er hat schon einige produziert
und ich
höre „Are you the one, that I’ve been waiting for“
und nicke für Claudia
und singe direkt danach
„Into my Arms“
und schwebe mal wieder
„So long Marianne“,
es ist mal wieder Zeit
dass wir über all das
lachen und weinen und
weinen und lachen
Zeilen voller Wahrheit
Während Bob Mould mich mit
„Stop your crying“
umhaut
und genau das macht
es aus für mich:
die angeblichen
Widersprüche
die gar nicht so
widersprüchlich sind
weil sie alle vom
Leben erzählen
und damit den
Rock’n‘Roll ausmachen:
eben
das
Leben
Mitch Ryder
live bei der Rocknacht in der Gruga in Essen
war eigentlich eine Zumutung
Völlig besoffen
schlimmer als ich
bei Lesungen in meiner härtesten Phase
Aber dermaßen viel Feeling und Wahrhaftigkeit
wie bei seiner Interpretation von „Soul Kitchen“
ist äußerst selten zu finden
und damit eine Sternstunde des Rock’n’Roll
die ich mit zunehmender Begeisterung live erleben durfte
wenn auch nur vor der Glotze
Und der nächste Schluck
Bier auf Ray Manzarek
Er war einer der Großen
einer der Götter
auch wenn er immer im
Schatten von Jim Morrison stand
und nicht meine
Lieblingsinstrumente bediente
Keyboards und Klaviere
sind für mich die
Kondome der Musik
sie machen es sicherer
aber mehr Spaß macht es
ohne
Bei den Doors und einigen anderen Bands stimmt
das nicht
Leben ist endlich
und es sterben immer
mehr Idole meiner Jugend
Das ist einfach so
wenn man 50 ist
trotzdem ist es
Scheiße
Der Tod von Richie
Havens
und Ray
und Ende letzten Jahres der Verlust von Lou Reed
und es ist unausweichlich
dass da noch viele folgen werden
Leben eben – endlich
Zum Beispiel
Willy de Ville
oder Herman Brood
der in Amsterdam aus einem Hotelfenster flog
weil er einfach genug hatte
und das ist alles irgendwie traurig
aber okay
Andererseits Keith und Neil
und letzten Sommer durfte
ich Lenny Cohen live erleben
Ich liebe die alten
Männer
bin ich doch selber
mittlerweile einer
wenn auch
fast ohne Stimme
What’s the fuck!
Und im März dann
New Model Army in
Coesfeld
Justin singt seit
Urzeiten in mein Herz
das wird wohl nie aufhören
gehört einfach
zu mir
Genau wie Van Morrison
Jedes Mal
wenn ich „And the
healing has begun“ höre
denke ich
er singt es extra für
mich
Während ich das hier
tippe
kommt meine Frau
und nimmt mich in den
Arm
and the healing has
begun
Rock’n’Roll ist
Heilsbringer und Droge und
Gleichmacher
Scheißegal – wenn wir
tanzen
ist das Gewicht
unserer Brieftaschen völlig egal
oder sogar eher
störend
Eddie Vedder und Pearl Jam packen mich
vor allem mit ihren Live-Aufnahmen
noch eine Band auf der Liste
die ich unbedingt sehen möchte
bevor ich den Abgang mache
Für Tom Waits bin
ich extra nach Paris gefahren
es hat sich gelohnt
Und meine Liste wird kürzer
Und je länger ich lebe
wird ein kurzfristiger Abgang unwahrscheinlicher
(Eines dieser vielen Krebs-Paradoxen)
Und Keith lebt ja auch noch immer
Sein Gitarrenspiel war
bei den Live-Auftritten im letzten Jahr eher gruselig
Trotzdem würde ich auch
die Stones gerne nochmal sehen
- sie werden
unbezahlbar für mich sein
und so ist die Aussicht
auf eine Enttäuschung eher gering
Irgendwelche
besoffenen Sauerland-Kiddies beim Tote
Hosen – Konzert
in meinem Wohnzimmer
(Stadion in Bochum natürlich):
„Alter – was machst
du denn hier?
Und was ist dir
passiert?“
Meine Antwort:
„Das ist Rock’n’Roll
davon hast du keine
Ahnung!“
Und so ist es auch.
Ich selber habe von viel zu wenigen
Sachen in diesem Leben eine wirkliche Ahnung. Ich weiß es nicht, ich will es
auch gar nicht unbedingt wissen. Aber ich fühle. Zum Pulsschlag des Lebens. Zum
Herzschlag des Rock. Oder so. Ohne Musik wäre ich tot. Das ist so. Auch wenn
ich mit meiner Musiklaberei nerve…
So long
Ich weiß
ich werde sterben
bevor es den Rock’n’Roll
erwischt
Solange irgendwelche
Kids ihre Gitarren an einen Verstärker anschließen
und aufdrehen
Solange irgendwelche
Verrückten sich ein Schlagzeug zusammenschnorren
und solange es aus
stinkenden Bunkern, Schulräumen,
Garagen und Kellern
scheppert
Solange wird der Rock’n’Roll
auch weiter leben
That’s the message:
HeyHo Let’s go!
Und das Buch darüber wird mein Manifest, meine Bibel werden…
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