Vor sieben Jahren, am 18.01.2007 tobte sich Kyrill über
Dland aus.
Ich habe davon nichts mitgekriegt, lag 13 Stunden auf einem
OP-Tisch. Und musste mir nachher anhören, dass es knapp und sehr blutig
abgelaufen war.
„Wir mussten Ihre Patientenverfügung etwas auslegen und
haben Sie zurückgeholt…“. So sagte es mir später der Chefarzt.
Und ich schwankte und schwanke immer noch, ob ich ihm in die
Fresse schlagen oder dankbar sein soll.
Heute vor sieben Jahren wurde ich sozusagen wiedergeboren.
Ich erwachte Tage später als krebsgeschädigter Krüppel.
Zahnlos, Gaumenlos (aber der war schon aus meinem Unterarm
neu geformt und implantiert), nur noch n halber Oberkiefer. Unterm Hals ein
Tracheostoma, in der Nase eine Magensonde und in allen möglichen Venen Zugänge
für Infusionen.
Mein neues Leben begann.
Ich musste neu lernen zu sprechen, musste lernen, zu
schlucken, musste lernen, die Schmerzen zu ertragen, musste lernen, mich unter
Menschen zu trauen und die Blicke der Normalos zu ertragen.
Ich habe das meiste davon gelernt, manche Sachen werde ich
nie lernen.
Das erste Jahr war Schwäche und Schmerzen.
Das zweite Jahr halbwegs Rekonvaleszenz.
Das dritte Jahr war Liebe, Hochzeit und Hoffnung, dabei
sollte es auch die weiteren Jahre bleiben.
Das siebte Jahr war dann Scheiße.
Und das achte Jahr wird jetzt groß.
Und das achte Jahr wird jetzt groß.
Vor der OP hatten mir die Ärzte nicht gesagt, was auf mich
zukommen würde.
Ich wusste es eh halbwegs, auch wenn ich es mir nicht so
schlimm vorgestellt hatte.
Hätte ich gewusst, was ich durchmachen müsste, ich hätte
mich nicht operieren lassen. Insofern scheint es besser gewesen zu sein, nicht
alles zu wissen.
Bis drei Jahre nach der OP hatte ich zum Beispiel die
Hoffnung, nach der Oberkieferrekonstruktion und den Implantaten mit Gebiss
wieder normal sprechen und essen zu können.
Ich hatte sogar die Hoffnung, wieder „normal“ zu
funktionieren und meinem Beruf nachzugehen.
Ja, Scheiße.
Ist alles nicht mehr.
Andererseits hatte ich sowas wie Liebe oder eine feste
Beziehung für mich abgehakt.
Und bin jetzt glücklich verheiratet.
Und statt Beruf habe ich die Schreiberei, die mir zumindest
wahnsinnig viele interessante und nette Kontakte gebracht hat.
Und Bestätigung.
Und die brauche ich.
Ich lebe.
Und das ist meistens gut so.
Sieben Jahre.
Ein alter, schwacher Krüppel.
Oft einfach müde und desillusioniert.
Scheiß drauf.
Nach meiner letzten OP sah mich meine Frau kurz auf der
Intensivstation und war danach beruhigt:
„Da waren deine strahlenden Augen. Und immer noch Kampfeswille. Da wusste ich – Du schaffst das…“
„Da waren deine strahlenden Augen. Und immer noch Kampfeswille. Da wusste ich – Du schaffst das…“
Und so ist es auch.
Wenn ich sterben sollte, so ist mir das egal.
(Manchmal will ich es auch: Einschlafen und nicht mehr
aufwachen hat was Positives. Durchaus.)
Aber meistens will ich leben.
Und noch viele spannende und schöne Sachen erleben.
Keine Ahnung, aber Zuversicht, dass da noch einiges kommen
kann.
Und deshalb gebe ich auch nur bedingt auf.
Das Ende wäre okay.
Aber weitermachen ist einfach geil.
Ich rauche immer noch, ich trinke mittlerweile wieder Bier.
Ich kann beide Laster gut gebrauchen, fehlt mir doch in
vielen Punkten der Genuss. Tabak und Bier beruhigen und dämpfen hervorragend.
Ich nehme zum Beispiel so gut wie keine Medikamente mehr.
Und kann das noch ein paar Jahre durchziehen.
Ich habe schon fast alles verloren.
Das hat den Vorteil, dass ich nicht mehr viel zu verlieren
habe.
Heute also mein siebter Wiedergeburtstag.
Ich weiß nicht, ob es da viel zu feiern gibt.
Aber ich weiß, dass es da was zu feiern gibt. Bin irgendwie
dankbar.
Und ich weiß, dass ich meine sozialen Bindungen feiern
sollte:
Meine Familie, meine FreundInnen – sie alle standen und
stehen bei mir und haben mir den Arsch gerettet.
Irgendwie mehr als die Chirurgen, die es eben nur halbwegs
vom Handwerk her geschafft haben, heilten und bewahrten Familie und FreundInnen
meine Seele.
Und dann Claudia:
Die brachte mein Herz ans Tageslicht, sorgt für Wärme und
Zukunft und ist eine Verpflichtung, die ich wahrnehme, auch wenn ich mich anfangs
gar nicht traute, diese Verpflichtung anzunehmen.
Verpflichtungen sind wichtig. Auch ein Grund weiterzuleben.
Neben mir stimmt mir gerade unsere Hündin Maya zu.
Vorgestern aspirierte ich mal wieder beim Essen.
Irgendwas blieb in der Speiseröhre hängen, drückte mir die
Luftröhre zu.
Äußerst unangenehm, äußerst anstrengend. Danach bin ich
stundenlang platt.
An der Tankstelle verstehen sie wieder mal meine Tabakbestellung
nicht. Das nervt, das frustet. Macht mich wütend, auch wenn die Bedienung da
nichts für kann.
Am Telefon legt eine Frau einfach auf. „Ich verstehe Sie
nicht!“ brüllt sie wütend an mein Ohr und lässt mich mit meinem Frust alleine.
Ich erinnere mich an die Dame bei der Agentur für Arbeit:
„Ich schreibe jetzt mal, dass Sie für einen Pförtnerjob
geeignet sind. Ohne Telefon- und Kundenkontakt. Ich glaube, wir werden da keine
passenden Jobangebote für Sie finden.“
Oder ein begutachtender Arzt:
„Sie können Bleistifte anspitzen. Ach nee. Solche Jobs gibt
es ja heute nicht mehr…“
Jetzt ist das egal. Ich habe meine Erwerbsminderungsrente
durch. Und wenigstens in diesem Punkt Ruhe.
Ich bin verpeilt. Kriege wenig geregelt. Stehe aber jeden
Morgen auf, drehe meine Runden mit dem Hund und schreibe Kram. Und lebe mit
meiner Frau.
Manchmal ist es schwierig für mich, festzustellen, für was
ich noch von Nutzen bin.
Aber eigentlich ist die Frage an sich schon egal.
Ich bin.
Punkt.
Wie ich bin.
Punkt.
Eben Hermann.
Ein verkrüppelter krebsgeschädigter Schreiberling, der das
Leben, seine Frau und die Musik und Poesie über alles liebt.
Und noch n bisschen Spaß haben will.
Und weitermacht.
Der Opa meiner Frau hatte am 18.01. Geburtstag.
Meine Frau liebte ihn über alles.
Und betete vor sieben Jahren, dass er ihr helfen sollte,
noch einmal in ihrem Leben eine Liebe zu finden. Die dürfte durchaus auch
behindert sein, müsste nur etwas von ihm in sich haben. So in der Art. Vor sieben
Jahren tobte sich Kyrill aus. Und ich wurde überlebt (Diese Formulierung ist
Absicht!).
Man kann zu so einem Kram stehen, wie man will. Ich glaube
da nicht unbedingt dran. Aber es berührt mich.
Okay.
Kyrill ist Geschichte.
Meine Frau und ich haben unsere Probleme so wie alle
Menschen ihre Probleme haben.
Die sind dazu da, überstanden zu werden.
Und weiter zu leben.
Und ich finde es sogar schön, dass es immer wieder
Stolpersteine im Leben gibt. Dass man immer weiter kämpfen muss.
Das Leben ist das schönste und beste, das wir kriegen
können.
Aber man muss kämpfen.
Immer wieder.
Nur wer die Scheiße kennt kann die wahre Schönheit genießen.
Die Scheiße kenne ich zur Genüge.
Ich sag mal so:
Herzlichen Glückwunsch zu meinem siebten Wiedergeburtstag!
Ohne Wenn und Aber.
Ich habe es mir verdient!
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