Freitag, 14. November 2014

Ich versuche mich am Horror-Genre:



Die Stille

Wo fängt das Gruseln an? Wo der Horror?
Wie kann ich es beschreiben, dass es nachvollziehbar wird, im Idealfall sogar mitfühlbar?
Es sind ja nicht das spritzende Blut, der Bohrer, der in den Kopf eindringt, die abgetrennten Genitalien oder die unpassend in alle möglichen Körperöffnungen gestoßenen Folterwerkzeuge. All das ist Kinderkram.
Es ist die Gänsehaut. Ist das Frösteln, das Unwohlsein. Und die Angst, vor allem die Angst vor dem Unbestimmten und Unfassbaren.
Wie teile ich Euch das mit?

Als ich ungefähr fünf Jahre alt war wurde ein altes Krankenhaus bei uns geschlossen und das Gebäude später dann abgerissen.
Wir Kinder hatten das Glück, in der Ruine Mutproben durchzuführen. Natürlich strengstens verboten aber gerade deshalb spannend.
Die gruseligste Mutprobe war die Leichenhalle der Ruine:
Dort alleine reinzugehen und ein, zwei Minuten drin zu bleiben war der reinste Horror. Ich hatte das Gefühl, irgendwelche Geister würden mich berühren und der Geruch von scharfen Desinfektionsmitteln verursacht mir noch heute Beklemmungen.
Später als erwachsener Mensch sollte ich noch oft Leichenhallen betreten. Als Krankenpfleger muss man das. Aber es machte mir nichts aus, auch die Berührung von Leichen oder das Waschen der Verstorbenen war kein Problem.
Es war fassbar und nachvollziehbar für mich geworden.
Und ich glaube, dass es gerade das Unfassbare, Unbekannte und Unerklärbare ist, was uns Angst macht.

Ich mag Splatterfilme, finde sie lustig. Aber durch die explizite Darstellung wird da jeglicher Horror genommen. Grusel oder Horror entsteht eher durch die Atmosphäre. Ne Kamera von hinten, diffuses Licht, spannungsaufbauende Filmmusik. Und unerwartete Wendungen. Ich erinnere mich an Kill Bill, aber der Film löste keinerlei Grusel bei mir aus.
Ich erinnere mich an das Schweigen der Lämmer. Diesen Film guckte ich in einer Sonntagsmorgen-Matinee im Kino, ich war verkatert. Und nach dem Film völlig fertig und noch Tage später ziemlich geschockt.
Das ist für mich Horror.
N Beispiel aus einem anderen Bereich:
Pornos sind langweilig. Agierende Geschlechtsteile in Nahaufnahme braucht doch kein Mensch. Aber Erotikfilme, in denen die Menschen angezogen sind und der Geschlechtsakt nicht in allen Einzelheiten gezeigt wird können mich anturnen.
So in der Art…

Diese lange Vorrede erklärt vielleicht in Ansätzen den Grusel folgender Begebenheit, vielleicht auch nicht. Vielleicht kann ich es gar nicht erklären. Ich versuche es trotzdem.

Es war ein warmer Sommernachmittag und meine Frau und ich beschlossen, mit unserer Hündin einen kleinen Ausflug zu machen und mal eine andere Gegend zu erkunden.
Wir fuhren zu einer entfernten Stelle des Flusses, parkten unser Auto, schulterten den Rucksack und machten uns auf den Weg.
Claudia wollte zu einer Burgruine auf der anderen Seite des Flusses. Als Kind hatte sie dort öfters Ausflüge gemacht, war sich aber nicht sicher, ob sie den Weg noch finden würde. Mir war es egal. Mein Ziel war der Weg. Der Spaziergang mit Frau und Hündin, die enge Verbundenheit und das feste Band zwischen uns. Ich genoss erstmal nur.

Die Sonne knallte und der Himmel war hellblau, mit Schäfchenwolken durchzogen. Für den frühen Abend waren Gewitter angesagt, aber die Schwüle sollte uns erst erwischen, als wir den Fluss überquert hatten.

Manchmal ist es merkwürdig. Die friedliche und freundliche Stimmung unseres Spaziergangs schlug direkt um, als wir die Fußgängerbrücke über den Fluss überquerten.
Der Pfad entfernte sich auf der anderen Seite vom Ufer, endete an einer schmalen Straße, die an einem schmutzigen Waldrand entlang führte.
Eine Industrieruine, alte Abfälle am Straßenrand und plötzlich kein Mensch außer uns auf der Landstraße.
Claudia wurde immer unsicherer, was den Weg anging. Wir entschlossen uns, bergauf zu gehen, da Burgruinen ja eher selten in Tälern zu finden sind. Ich begann zu schwitzen.
Maya, unsere Hündin, zog immer heftiger an der Leine. Nicht weil sie spielen wollte oder irgendeine Kaninchenspur entdeckt hatte, sondern stur geradeaus auf der Straße, als wollte sie nur weg.
Die Atmosphäre wurde drückender. Unerträgliche Schwüle umhüllte uns und auch wenn keine Wolken am Himmel sichtbar wurden, es wurde düsterer. Das lag auch an dem dichter werdenden Wald, der aber eher schmutzig-grünes Laub trug und keinerlei positive Waldgefühle vermittelte.

Wir schauten uns an.
„Spürst du das auch?“
Ich nickte.

Claudia ist für Stimmungen sehr empfänglich. Auch für parapsychologische. Ich normalerweise weniger, was ich allerdings sehr gut wahrnehme, sind zwischenmenschliche Schwingungen und die Atmosphäre in sozialen Gruppen. Diesmal spürten wir beide diese feindliche Stimmung der Umgebung.
Wir konnten es nicht festmachen, aber die Bedrückung und unser ungutes Gefühl verstärkten sich zunehmend.
Wir fühlten uns verfolgt, beobachtet, belauert. Wir fühlten uns scheiße.
Auch Maya merkte etwas und sie jaulte und knurrte leise, was sie sonst selten tut.
Ihr Nackenfell war steil aufgerichtet und der Schwanz eingeklemmt.

Wir waren nicht willkommen. Eindeutig.
Die vereinzelten Häuser am Straßenrand wirkten grau, wie aus alten Ruhrpottzeiten, als die Kokereien die Farben der Hausfronten in schmutzigem Grau malten. Die Fenster waren mit vergilbten Gardinen behängt. Menschen sahen wir keine.

Wir kehrten um.
Die Schwüle der Luft war mittlerweile unerträglich. Es wehte kein Hauch. Und es war still.

„Hörst du das auch?“
„Ich höre nichts. Und seit gefühlten Stunden sind wir noch nicht mal von einem Auto überholt worden.“
„Stimmt. Es ist still. Keine Vögel. Nichts. Gespenstisch.“
„Ja.“
„Lass uns schneller gehen…“

Das taten wir.

Der Spuk endete punktgenau als wir wieder die Flussbrücke überquerten.
Plötzlich riss der Himmel wieder auf und selbst die Gewitterschwüle war plötzlich verschwunden.
Wir atmeten auf.
Entspannten uns in einem Biergarten.
Und haben diese Gegend nie wieder betreten.

Okay. Das Arrangement für eine Gruselgeschichte ist vorhanden.
Und was passiert?
Nichts.
Vielleicht lasse ich irgendwann irgendwas passieren.
Bis dahin müsst ihr euch mit einer Beschreibung des Gefühls zufrieden geben.
Ich wünsch euch angenehme Träume…


( Geschrieben für „Der lachende Totenschädel Nr.2. Erschien dort im September 2014. Herausgeber: Jörg Herbig.
Weitere Beiträge von Sebastian Brückner, Sybille Lengauer, Jerk Götterwind, Uwe Voehl, Markus K. Korb, Bettina Sternberg, Markus Hintzen, Kai, Andromedar Nebel und Jörg Herbig.
Kontakt über: „Fledermaus und der lachende Totenschädel“ oder Jörg Herbig bei Facebook.)







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen