„Was freue ich mich! Ist das schön, wieder zuhause zu sein!
Danke!“
Und zitternd und voller Tränen umarmt mich meine
Schwiegermutter.
Auf dem Sofa liegend strahlt sie, umarmt ihren (eigentlich
Claudias, aber sie hat ihn sich angeeignet) Stoffelefanten, streichelt die
Hunde, die sich rührend um sie kümmern und lässt sich dann von uns ins Bett
begleiten.
Gisela weint und strahlt abwechselnd und ich weiß, das ist
ehrlich.
Sie umarmt mich und vor allem immer wieder Claudia und heute
Abend haben wir einen der seltenen Momente, wo wir wissen, dass wir alles
richtig gemacht haben.
Gisela hat eine Woche Krankenhaus tapfer überstanden. Die
Einweisung war nötig, da sie körperlich seit Dezember deutlich abbaute, Wassereinlagerungen
an ihren Beinen zunahmen und der Allgemeinzustand sich immer mehr
verschlechterte.
Unsere Hausärztin überwies sie in eine geriatrische Station
und wollte eine generelle Abklärung, die ambulant nicht am Stück durchführbar
ist.
Wir stimmten zu und dachten, dass eine Geriatrie ja durchaus
der richtige Ort für Alzheimer-PatientInnen sein müsste.
Leider war es das nicht.
Das Pflegepersonal war nett und nahm sich Zeit. Aber im Team
stimmte es nicht, jede/r machte sein Ding und der Informationsaustausch war
eindeutig unter aller Sau. Wir mussten viermal die Demenz meiner
Schwiegermutter erwähnen und erst nach drei Tagen hatten die PflegerInnen
geschnallt, was bei dieser Alzheimer-Patientin zu beachten ist.
Claudia war fast immer im Krankenhaus bei ihrer Mutter. Und
es war nötig, weil sie ansonsten oft allein gelassen wurde, oder ihre Demenz
nicht angemessen beachtet wurde.
Und nach ihrer Auszeit in der Mittagszeit traf Claudia ihre
Mutter zweimal eingekotet und dreimal völlig verzweifelt weinend wieder.
Nicht wirklich beruhigend…
In einer Woche Krankenhausaufenthalt wurde so gut wie nichts
an aktivierenden oder fördernden Maßnahmen durchgeführt (auf einer Geriatrie!),
eine Pflegerin sagte meiner Frau, dass ihre Anwesenheit für ihre Mutter und
auch andere PatientInnen im Tagesraum sehr fördernd wäre und sie zuerst gedacht
hätte, dass sie da eine tolle neue ehrenamtliche Kraft hätten.
Na toll!
Eine andere Pflegerin sagte uns: “Wissen sie, wir sind nicht
qualifiziert und haben zu wenig Kapazität für Demenzen. Uns fehlt der
geschützte Bereich, uns fehlen Alltagsbegleiter und die Zimmer sind nicht dafür
ausgerüstet.“
Ich stimmte ihr zu. Die Fernseher waren für demente Personen
mit den Kopfhörern nicht zu bedienen, die Lichtschalterleiste viel zu
kompliziert und der Notruf als solcher nicht zu erkennen. Ganz zu schweigen von
der optischen Gestaltung der Station.
Demente PatientInnen bekamen eine Armbanduhr mit Sender, die
einen Alarm auslösten, sobald sie die Station verließen. Könnte Sinn machen.
Nur sollte man die Angehörigen und auch die PatientInnen darüber informieren,
was leider nicht passierte, wir aber am zweiten Tag dann endlich schnallten.
Der Tagesraum. Immerhin. Zwei Ergometer und n Bildschirm,
der Touren anzeigte (was demente Menschen allerdings gar nicht hinkriegen…) und
ein großes Mensch Ärgere Dich Nicht – Brett, welches wir ausgiebig nutzten. Ein
Fernseher und eine Mini-Anlage für CDs. Ab und zu aktivierende Angebote, wie
Singen und Sitztanz (Wohl Dienstags und Donnerstags jeweils ne halbe Stunde, da
bleibt ja nicht viel von der Woche…), in den Zeiten, in denen wir da waren
(11.00 – 13.00, 15.00- 18.00 Uhr) fand da nichts statt.
Bei unserer letzten Mensch Ärgere Dich Nicht – Runde saß ein
bewegungseingeschränkter, scheinbar leicht dementer Mann in einem
ungepolsterten Pflegestuhl, seine Nahrungspumpe war angeschlossen und lief, er
hatte eine dünne Decke auf den Knien, mit der er nicht klarkam und die er auf
den Tisch legte. Im Laufe einer Stunde tauchte kein Pflegepersonal auf, um nach
ihm zu gucken. Und die Sitzposition war unter aller Sau.
Sollten wir eingreifen?
Meine Frau und ich schüttelten den Kopf, legten ihm die
Decke ordentlich hin und verfluchten das Pflegepersonal, dass da fahrlässig
agierte.
Wir wussten, wir können das nicht ändern.
Hängt von der Grundeinstellung des Teams ab und die schien
hier völlig heruntergefahren zu sein.
Claudias Mutter wurde von unserer Hausärztin hauptsächlich
zur Diagnostik eingeliefert. Ihr sollten mehrere Fachärzte und Stress erspart
werden.
Im ersten Gespräch unterstellte der Oberarzt meiner Frau,
sie hätte ihre Mutter völlig unnötig stationär eingewiesen. Die Demenz wäre
harmlos und körperlich hätte sie nichts.
1.
PatientInnen werden von Ärzten eingewiesen,
nicht von Angehörigen!
2.
Wir haben jeden Tag mit Gisela zu tun. Sie ist
mit 80 Jahren noch ziemlich fit. Aber wenn wir Veränderungen feststellen, dann
wollen wir die diagnostiziert haben und ne Anleitung, wie wir damit umgehen!
3.
Ein Arzt, der in einer viertelstündigen Visite
einschätzen kann, wie stark eine Demenz ist, ist ein Gott oder ein überhebliches
Arschloch. Ich glaube nicht, dass Ärzte Götter sind.
Kein Vorhang am Fenster kann passieren, vielleicht war
vorher ein MRSA- Fall in dem Zimmer und alles musste desinfiziert werden. Eine
Woche kein Vorhang finde ich fragwürdig, ist aber nur ne Kleinigkeit.
Generell bemerkten wir ein Scheiß-Egal-Gefühl auf der Station.
Keinerlei Kommunikation im Team und noch weniger Kommunikation mit den
ÄrztInnen. Claudia und ich konnten nicht verheimlichen, dass wir auch vom Fach
waren. Ich spürte, es war ihnen peinlich.
Und ich freute mich, da raus zu sein.
Und ärgerte mich.
Gisela ist wieder zu Hause.
Sie schläft jetzt tief und fest. Wir gucken nach ihr. Ich
bin mir sicher, hier ist sie besser aufgehoben, als im Krankenhaus.
Spätestens übermorgen werden wir wieder Stress haben.
Sie wird plötzlich schreien, wird vielleicht wieder zu
Nachbarn laufen und behaupten, sie bekäme nichts zu essen oder dürfte nicht zur
Toilette oder sowas.
Das gehört zu der Erkrankung. Und in den Momenten glaubt sie
das wirklich. Und gerade das ist ja das Fürchterliche an dieser Krankheit. Natürlich
ist es nicht so.
Ich hoffe, dass ich ihre strahlenden Augen und ihre tiefe
Freude verinnerlichen kann und wir ihr weiter für ihren Lebensabend ein
möglichst gutes Zuhause bieten können.
Alzheimer ist ein Arschloch.
Aber zumindest ich konnte ja auch dem Arschloch Krebs meinen
Mittelfinger zeigen…
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