Mittwoch, 30. Januar 2019

Entlasstag


„Was freue ich mich! Ist das schön, wieder zuhause zu sein! Danke!“
Und zitternd und voller Tränen umarmt mich meine Schwiegermutter.
Auf dem Sofa liegend strahlt sie, umarmt ihren (eigentlich Claudias, aber sie hat ihn sich angeeignet) Stoffelefanten, streichelt die Hunde, die sich rührend um sie kümmern und lässt sich dann von uns ins Bett begleiten.
Gisela weint und strahlt abwechselnd und ich weiß, das ist ehrlich.
Sie umarmt mich und vor allem immer wieder Claudia und heute Abend haben wir einen der seltenen Momente, wo wir wissen, dass wir alles richtig gemacht haben.

Gisela hat eine Woche Krankenhaus tapfer überstanden. Die Einweisung war nötig, da sie körperlich seit Dezember deutlich abbaute, Wassereinlagerungen an ihren Beinen zunahmen und der Allgemeinzustand sich immer mehr verschlechterte.
Unsere Hausärztin überwies sie in eine geriatrische Station und wollte eine generelle Abklärung, die ambulant nicht am Stück durchführbar ist.
Wir stimmten zu und dachten, dass eine Geriatrie ja durchaus der richtige Ort für Alzheimer-PatientInnen sein müsste.
Leider war es das nicht.

Das Pflegepersonal war nett und nahm sich Zeit. Aber im Team stimmte es nicht, jede/r machte sein Ding und der Informationsaustausch war eindeutig unter aller Sau. Wir mussten viermal die Demenz meiner Schwiegermutter erwähnen und erst nach drei Tagen hatten die PflegerInnen geschnallt, was bei dieser Alzheimer-Patientin zu beachten ist.
Claudia war fast immer im Krankenhaus bei ihrer Mutter. Und es war nötig, weil sie ansonsten oft allein gelassen wurde, oder ihre Demenz nicht angemessen beachtet wurde.
Und nach ihrer Auszeit in der Mittagszeit traf Claudia ihre Mutter zweimal eingekotet und dreimal völlig verzweifelt weinend wieder.
Nicht wirklich beruhigend…

In einer Woche Krankenhausaufenthalt wurde so gut wie nichts an aktivierenden oder fördernden Maßnahmen durchgeführt (auf einer Geriatrie!), eine Pflegerin sagte meiner Frau, dass ihre Anwesenheit für ihre Mutter und auch andere PatientInnen im Tagesraum sehr fördernd wäre und sie zuerst gedacht hätte, dass sie da eine tolle neue ehrenamtliche Kraft hätten.
Na toll!
Eine andere Pflegerin sagte uns: “Wissen sie, wir sind nicht qualifiziert und haben zu wenig Kapazität für Demenzen. Uns fehlt der geschützte Bereich, uns fehlen Alltagsbegleiter und die Zimmer sind nicht dafür ausgerüstet.“
Ich stimmte ihr zu. Die Fernseher waren für demente Personen mit den Kopfhörern nicht zu bedienen, die Lichtschalterleiste viel zu kompliziert und der Notruf als solcher nicht zu erkennen. Ganz zu schweigen von der optischen Gestaltung der Station.
Demente PatientInnen bekamen eine Armbanduhr mit Sender, die einen Alarm auslösten, sobald sie die Station verließen. Könnte Sinn machen. Nur sollte man die Angehörigen und auch die PatientInnen darüber informieren, was leider nicht passierte, wir aber am zweiten Tag dann endlich schnallten.

Der Tagesraum. Immerhin. Zwei Ergometer und n Bildschirm, der Touren anzeigte (was demente Menschen allerdings gar nicht hinkriegen…) und ein großes Mensch Ärgere Dich Nicht – Brett, welches wir ausgiebig nutzten. Ein Fernseher und eine Mini-Anlage für CDs. Ab und zu aktivierende Angebote, wie Singen und Sitztanz (Wohl Dienstags und Donnerstags jeweils ne halbe Stunde, da bleibt ja nicht viel von der Woche…), in den Zeiten, in denen wir da waren (11.00 – 13.00, 15.00- 18.00 Uhr) fand da nichts statt.

Bei unserer letzten Mensch Ärgere Dich Nicht – Runde saß ein bewegungseingeschränkter, scheinbar leicht dementer Mann in einem ungepolsterten Pflegestuhl, seine Nahrungspumpe war angeschlossen und lief, er hatte eine dünne Decke auf den Knien, mit der er nicht klarkam und die er auf den Tisch legte. Im Laufe einer Stunde tauchte kein Pflegepersonal auf, um nach ihm zu gucken. Und die Sitzposition war unter aller Sau.
Sollten wir eingreifen?
Meine Frau und ich schüttelten den Kopf, legten ihm die Decke ordentlich hin und verfluchten das Pflegepersonal, dass da fahrlässig agierte.
Wir wussten, wir können das nicht ändern.
Hängt von der Grundeinstellung des Teams ab und die schien hier völlig heruntergefahren zu sein.

Claudias Mutter wurde von unserer Hausärztin hauptsächlich zur Diagnostik eingeliefert. Ihr sollten mehrere Fachärzte und Stress erspart werden.
Im ersten Gespräch unterstellte der Oberarzt meiner Frau, sie hätte ihre Mutter völlig unnötig stationär eingewiesen. Die Demenz wäre harmlos und körperlich hätte sie nichts.
1.     PatientInnen werden von Ärzten eingewiesen, nicht von Angehörigen!
2.     Wir haben jeden Tag mit Gisela zu tun. Sie ist mit 80 Jahren noch ziemlich fit. Aber wenn wir Veränderungen feststellen, dann wollen wir die diagnostiziert haben und ne Anleitung, wie wir damit umgehen!
3.     Ein Arzt, der in einer viertelstündigen Visite einschätzen kann, wie stark eine Demenz ist, ist ein Gott oder ein überhebliches Arschloch. Ich glaube nicht, dass Ärzte Götter sind.

Kein Vorhang am Fenster kann passieren, vielleicht war vorher ein MRSA- Fall in dem Zimmer und alles musste desinfiziert werden. Eine Woche kein Vorhang finde ich fragwürdig, ist aber nur ne Kleinigkeit.

Generell bemerkten wir ein Scheiß-Egal-Gefühl auf der Station. Keinerlei Kommunikation im Team und noch weniger Kommunikation mit den ÄrztInnen. Claudia und ich konnten nicht verheimlichen, dass wir auch vom Fach waren. Ich spürte, es war ihnen peinlich.
Und ich freute mich, da raus zu sein.
Und ärgerte mich.

Gisela ist wieder zu Hause.
Sie schläft jetzt tief und fest. Wir gucken nach ihr. Ich bin mir sicher, hier ist sie besser aufgehoben, als im Krankenhaus.

Spätestens übermorgen werden wir wieder Stress haben.
Sie wird plötzlich schreien, wird vielleicht wieder zu Nachbarn laufen und behaupten, sie bekäme nichts zu essen oder dürfte nicht zur Toilette oder sowas.
Das gehört zu der Erkrankung. Und in den Momenten glaubt sie das wirklich. Und gerade das ist ja das Fürchterliche an dieser Krankheit. Natürlich ist es nicht so.

Ich hoffe, dass ich ihre strahlenden Augen und ihre tiefe Freude verinnerlichen kann und wir ihr weiter für ihren Lebensabend ein möglichst gutes Zuhause bieten können.

Alzheimer ist ein Arschloch.
Aber zumindest ich konnte ja auch dem Arschloch Krebs meinen Mittelfinger zeigen…






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