Mittwoch, 1. März 2017

Kriegsdienstverweigerung vor 35 Jahren



Ich bin jetzt alt genug, um von meinen Grabenkämpfen in den damaligen Kriegsgebieten zu erzählen:

Eigentlich glaube ich an nix. Doch. Ich glaube an die Liebe. Und immer mehr an meine Liebe zu Claudia.
Und irgendwo glaub ich auch an mich, aber da sind auch schon verdammt viele Zweifel dabei.
Ich bin kein Pazifist, aber ich wäre gerne einer.
Wir (damit meine ich die Menschen an sich) bekommen so oft auf die Fresse, da nutzt es nichts, immer die andere Wange hinzuhalten und friedlich zu lächeln, während ganze Volksgruppen ausgerottet oder verfolgt werden.
Soviel vorweg.

Ich bin mittlerweile ein alter Sack. Und das, was ich jetzt schreibe, spielte in einer anderen Zeit und anderer Weltordnung. Vor fünfunddreißig Jahren gab es noch die BRD und die DDR. Und libertären Menschen im Westen wurde gesagt, sie sollten doch „nach drüben“ gehen. Da wollte niemand hin, der real existierende sozialisMUS war scheiße, das wussten wir.
Aber das war für uns kein Grund, nicht nach einer besseren Welt und nach Frieden und Freiheit Ausschau zu halten. Und dafür einzutreten.
Die Bundeswehr war noch eine Verpflichtung: Jeder (west)deutsche Mann sollte seinen Wehrdienst ableisten, sein Vaterland verteidigen. Gegen den roten Feind von „drüben“. Mit 18 wurde mann erfasst und gemustert und nach der Schule oder Ausbildung war mann dann fällig und wurde eingezogen. Wenn mann tauglich war. Und komischerweise war ich damals noch voll tauglich.
Mann“? War ich ein Mann, mit 18 Jahren?
Für das Kreiswehrersatzamt schon.
Ich wollte kein Mann sein. Wollte ich nie, will ich noch immer nicht. Ich will Mensch sein. Ein Mensch, der das Kind in sich nie verleugnet oder vergisst.

Erfassung. Musterung. Verweigerung.
Und nun musste ich meine Verweigerung schriftlich begründen.
Ich informierte mich.
Und schrieb eine Begründung, in die ich meine christliche Erziehung und meinen Glauben, den Kantschen kategorischen Imperativ und Mahatma Ghandi einfließen ließ. Abiturienten-Kacke.
Schleimscheißende Pflichterfüllung.

Bundeswehr war ein Gräuel für mich.
Auf inhaltsleere Disziplin konnte ich noch nie. Befehlsgehorsam war mir zuwider.
Waffen waren nicht mein Ding. Und Schlamm mochte ich nur auf dem Fußballfeld, dumm darin rumkriechen war nicht meins.
Strammstehen? Never!
Die BRD verteidigen?
Warum?
Ich liebte nicht diesen Staat. Ich liebte Menschen. Weltweit.
Und die BRD war nicht der Staat, der dies konsequent und glaubhaft rüberbrachte. By the way: Tuen deutsche Regierungen für mich bis heute nicht…

Und dann bekam ich den Termin zur mündlichen Verhandlung.
Gesinnungs-TÜV, ne Art Gericht, eine fürchterliche Schikane.
Vorsitzender war n Typ von der Bundeswehr, zwei BeisitzerInnen kamen aus dem politisch-gesellschaftlichen Establishment. Ich glaub, dass war es, ich erinnere mich an die Besetzung nicht mehr genau.

Vor der mündlichen Kriegsdienstverweigerung war ich tierisch nervös. Und habe mir am Abend davor die Kante gegeben.
Verkatert und zitternd saß ich vor dem Prüfungsausschuss.
Vielleicht war das meine Rettung.
Ich glaube, den Beisitzerinnen tat ich leid. Und ich wirkte eingeschüchtert und fertig. Auf jeden Fall nicht in der Lage, mit einem Gewehr umzugehen.

„Was tun Sie, wenn ihre Freundin von Russen oder anderen Feinden bedroht wird und Sie mit ihrer MP sie verteidigen könnten?“
„Sie wissen genau wie ich, dass diese Frage nicht mehr bewertungsfindig eingestuft wird. Außerdem könnte ich keine Maschinenpistole bedienen und habe keine Freundin.“

„Was tun Sie, wenn ein Feind unser Land bedroht. Und sie als Einziger durch einen Knopfdruck diesen Angriff abwehren könnten?“
„Ich verweigere den Kriegsdienst, weil ich gerade für solche Entscheidungen nicht geeignet bin.“

So in der Art lief das ab.

Ich schaffte es. Ich wurde anerkannter Kriegsdienstverweigerer.

Meine Führerscheinprüfung, mein Abitur (später meine Krankenpfleger- Prüfung, meine Ausbilderprüfung, meine Wundmanagerprüfung, etc., …) waren ein Scheiß dagegen.

Bei meiner Kriegsdienstverweigerung habe ich bewusst gelogen.
Ich war kein hundertprozentiger Pazifist.
Kant geht mir am Arsch vorbei.
Ghandi ist toll, aber Che ist toller.
Leider habe ich damals meine schriftliche Begründung nicht gespeichert oder kopiert.
Ich glaube, ich könnte lachen und mich schämen.

Ich war damals (bin es auch noch heute) gedanklich wesentlich radikaler, als ich es zugab.

Ich bin kein überzeugter Pazifist. Ich war und bin überzeugter Kriegsdienstverweigerer.

Nach dem Gewissens-TÜV meiner Kriegsdienstverweigerung war ich erleichtert.
Und ausgerechnet mein Vater schaffte es, dass ich wirklich stolz auf meine Leistung war.

Er war in unserem Kaff ein CDU-Mitglied. Als Beamter und Leiter des Straßenverkehrsamtes war damals im Ruhrpott ne CDU-Mitgliedschaft eher ein Karrierehindernis. Deshalb nahm ich ihm die auch nie übel, sondern fand es gut, dass er nicht zu opportunistisch war. Ansonsten kriegten wir uns politisch immer in die Haare, weshalb wir irgendwann beide einfach nur noch schwiegen.

Dann kam sein 65ter Geburtstag. Und alle Bonzen der Stadt waren da, um ihn in die Pension zu verabschieden. Ich kam gerade von meiner Zivildienstschicht.

„Das ist mein Sohn. Der macht Zivildienst. Ich war ja gegen seine Entscheidung, aber er hat sich durchgesetzt. Ich bin stolz auf meinen Sohn.“

Und da wurde ich auch stolz. Auf meine Entscheidung. Und auf meinen Vater.
Ein Moment, den ich mein Leben lang nicht mehr vergessen werde.

Meinen Zivildienst leistete ich beim MSHD der AWO in Castrop-Rauxel ab. Eine Zeit, die ich nicht missen möchte.
Ich verdiente direkt nach meinem Abitur Geld (nicht viel, aber immerhin), ich musste eigenständig Verantwortung übernehmen und bekam Einblick in Krankheiten und Behinderungen und mögliche Hilfsmaßnahmen. Wenn auch erst viele Jahre später, mein Zivildienst war maßgebend für meine Ausbildung zum Krankenpfleger und für die Tätigkeit in der ambulanten Pflege.

Aber das ist eine andere Geschichte, die ich Euch vielleicht irgendwann erzähle…













Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen