Montag, 24. Dezember 2012

24. Türchen



24. Türchen:

Hmmm. Wen oder was soll ich zu Weihnachten in diesem Kalender posten?

Mir fällt da so viel ein, dass ich mich nicht entscheiden kann.
Schmuddeliges Vorfrühlingswetter – trotzdem dicke Weihnachtsgefühle in mir.
Und ich weiß zwar nicht, warum und wie, aber ich habe das sichere Gefühl, dass alles gut wird.
Und ich hab heute alle Menschen lieb!
Zum Abschluss gibt es jetzt noch ein Gedicht von mir. Eines, das meine Frau besonders liebt und das auch irgendwie zu Weihnachten passt.
Und auch noch eins von Arnd Dünnebacke. Und damit soll es auch genug sein...

Macht euch schöne Tage und lasst euch alle nicht runterziehen!

FROHE WEIHNACHTEN !!!


Ich liebe sie

Ihre Augen sind voller Leben und strahlen
mich an
Wenn sie lacht dann steckt das an
und wenn sie weint
kannst du gar nicht anders als sie zu trösten
97 Jahre ist ne hohe Hausnummer
und seit drei Jahren hat sie ihr Bett nicht mehr verlassen
aber wenn ich ihr Zimmer betrete grinst sie mich an
- Da bist du ja. Ich habe schon so lange gewartet
Ich begrüße sie und
manchmal erkennt sie mich sogar
und nennt mich bei meinem Namen
Dann fangen wir auch schon an
zu streiten
- Immer diese Trinkerei – ich bin doch kein Brauereipferd
- Die Emmie hat mich gerade gewaschen
- Tu mir nicht weh
- Ich spuck dir das Essen auf dem Teller
- Tu mir nicht weh
- Scheiß eincremen – lass das sein
Und so weiter
Zwischendurch singt sie
fragt mich nach meiner Frau (Kollegin), meinen Töchtern (Schülerinnen) und
ihrer Mutter und ihrem Mann
Man sagte mir, sie sei dement und völlig neben der Spur aber
so ganz stimmt das nicht:
sie mag mich, nennt mich ihren Liebling und
das ist für mich Beweis genug
dass sie völlig klar im Kopf ist
Sie lebt halt in ihrer eigenen Welt
irgendwo tun wir das doch alle und
sie hat es sich verdient und darf das

Sie kann tierisch nerven
und ist zickig und manchmal ganz schön arschig
und wenn ich ihr das Essen anreiche ist das Folter
- für mich – weil es viel zu lange dauert
und ich doch noch weiter muss
dann fragt sie
- Hast du schon gegessen? Ich hole uns Kuchen
und meistens ist dann auch schon wieder alles okay
Ihre Haut ist wie Pergament
und reißt sehr schnell ein, ihre chronischen Wunden lassen uns verzweifeln
und jede Bewegung schmerzt
aber dann kommt wieder so ein trockener Satz von ihr
und spätestens wenn ich gehen will verlangt sie ein Küsschen und
wenn ich dann gehe
weiß ich wieder
warum ich diesen Job mache


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Arnd Dünnebacke:



Happy Birthday, Jesus!

Saturn ist ein Ding zwei Meter
vor meiner Nase.
Ich blase Rauchringe
um goldene Christbaumkugeln,
sehe einen Stern
über einem gefallenen Engel,
ein angebrochenes Ei
das zwei Flügel umspannen,
ein Gesicht darin
wie etwas Halbentdecktes,
Halbgeborenes, Halberwachtes,
mit einem Auge in den Weltraum
des Tannenbaums spähend,
Miles-Davis-Astronomie
durch 40%ige Radiostrahlen –
doch so sehr ich auch versuche
scharfzustellen, ich kann Jesus
nirgends mehr finden.


Es ist 1:24 Uhr, aber okay
selbst für Jopie Heesters
wurden die Geburtstagsfeiern
irgendwann kürzer; und der
war neunzehnmal jünger.


Es wird halt uninteressant –
eine Kerze wird entzündet,
eine Kerze brennt nach unten.
Dazwischen
Frühstück, Zahnarzt, Rechnungen,
Urlaub, Umzug, Unterhalt;
Weihnachten, Ostern, Regen, kein Regen,
den Toilettensitz austauschen,
den Toast belegen,
Teebeutel mit den Fingern ausdrücken,
ohne Zähneputzen ins Bett;
kein Sex, allein Sex,
zu zweit, zu dritt, zu viert;
Türen aufschließen,
vor Wände laufen,
aufsteigen, fallen, niederknien,
Wein, Weib und Gesang,
Liebe vielleicht,
Streit bestimmt,
Glück für die Wenigsten,
Blindheit für die Meisten;
und Weihwasser, Stechuhren, Rechtsanwälte,
verstauchte Füße, gebrochene Nasen,
aufwischen, aufräumen, aufzählen,
sich bereithalten, drauf pfeifen,
im Bett bleiben bis zum Nachmittag
und nicht mehr aufstehen,
die Waffen gestreckt
im Schatten gewaltiger Arschbacken –
und du versuchst zu kommen,
aber du bist längst da,
und wieder dreht sich alles im Kreis …


Doch weißt du, ich glaube,
betrunken bist du erst,
wenn du auf dem Boden liegst
und dich nicht mehr festhalten kannst.
Das ist eine Frage des Standpunkts.


Und während Miles sein Instrument
streichelt und die Ringe um Saturn
sich aufgelöst haben, hebe ich
das bernsteinfarbene Mundstück
an die Lippen, nehme einen tiefen Schluck,
atme aus, drücke die Ventile und
– taa taa! – da ist es, mein Ständchen
für den Jubilar.




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